Patrick, Fred, Phil, David and Brett betreten zaghaft die Bühne. Männer in den „besten Jahren“ treten bei der Castingshow „Britain’s got Talent“ an, um sich dem Publikum und den Juroren zu präsentieren. Die auch sogleich nicht verhehlen können, wie sie die fünf Männer aus Essex und London einsortieren.
Laaaaangweilig, sagen die Minen. Der Rentnerverein Essex-Süd etwa auf dem Ausflug in die große Stadt verirrt? Auf dem Weg zur Kegelbahn falsch abgebogen?
Leichte Genervtheit in den Gesichtern, als die Gruppe sich kurz vorstellt. Lehrer, IT-Manager, Teilzeitlehrer seien sie. Und die Augenbrauen der Leute im Publikum gehen hoch. Was wollen die fünf Männer hier?
In altbackene Pullover in beige und weiß gekleidet; die Strickjacke, die über dem Bauch eines weiteren Kandidaten spannt – sie alle rufen laut: Ooooopiiiiis im Anmarsch!
Die Jurorin fragt, ob nun das, was die Männer darbieten wollen, auch die Queen und die Royal Family mögen würde. Oh ja, lautet die einstimmige Antwort, die würden das lieben. Na, wenn da mal keine Stimmungsaufheller aus dem Heim an dieser Antwort schuld sind.
Dann mal in Aufstellung. Ein freundliches „Best of luck“ und los geht die Show (die das europäische Festland allerdings mit der Geschwindigkeit eines Rollators erreicht – diese Staffel von „Britain’s got Talent“ stammt aus dem Jahr: 2015 …).
„I won’t dance“ erklingt, der Teilzeitlehrer in beigem Strick fängt in leichten Swing-Schritten an herum zu tänzeln. Auf dem Gesicht von Juror Simon zeichnet sich die komplette luftgemachte Frustration ab: vor ihm swingt die Bestätigung all seiner Vorurteile. Und es ist auch ein Abbild dessen, was man selbst gerade denkt: Oh maaaaan, im Ernst jetzt?! Dem Klischee beim Steppen zusehen. Na, danke!
Dann – ein Bruch – die Musik setzt abrupt ab, ändert sich – die erste Bewegung der Männer so untypisch, dass sie umgehend aus der Rille der Schallplatte der vorab festgelegten Meinung springt, was auch exzellent in der Einstellung von „Little Britain“-Comedian und BgT-Juror David Walliams erstaunter Miene gespiegelt und dem Zuschauer widergegeben wird: Waaaas geht denn hier ab?
Nun, sehen Sie selbst:
Das Publikum? Flippt aus vor Staunen, Freude und Begeisterung. Die Juroren? Können sich das Lachen nicht mehr abschminken.
Auch Sie als geschätzter Leser haben nun gelernt, dass die Luft allmählich dünner wird. Nicht nur, dass sich die meisten Mitte 20-Jährigen gegen die „Old Men Grooving“ wie ganz müde Stubenfliegen ausnehmen, nein, Sie merken auch, dass man sich bald auf rein gar nichts mehr verlassen kann, nicht mal mehr auf anständig und langjährig gepflegte Vorurteile.
Weder am Alter, noch an den Klamotten läßt sich ableiten, was dahinter steckt. Die Männer, die man gerade noch als gestrig, old fashioned und Brexit-Wähler in die Schublade gesteckt hat, springen da einfach behende wieder raus. Schlimmer noch – sie grooven und breaken sich einem entgegen und wedeln einem die eigene Trötigkeit in der synchron einstudierten Choreographie aller interpretierten Stücke auch noch freudig lachend um die Nase.
Age is nothing but a number – das muss man sich heute gut merken. Sonst könnte es passieren, dass man als 20-30Jähriger bei seiner nächsten Runde Altersdissen im Beisein seiner Gesinnungsfreunde von einem Strickjacken-Vati gepflegt unter den Tisch getanzt wird. Da kann man sich übrigens weniger gut mit dem Grätenverschluck-Beispiel behelfen. Es sieht heute so aus, dass die Wahrscheinlichkeit von einem „old man“ gedancebattled zu werden, deutlich höher liegt, als an einer verschluckten Gräte zu ersticken.
Age is nothing but a number – da ist heute einfach nichts mehr so, wie es sein sollte in der Klischeekopfkommode.
Ein schönes Wochenende beim Überprüfen und Ausmisten einiger Ihrer Vorurteile!