Tichys Einblick
Atomausstieg

AKW-Files: Wenn Manipulation und Mauschelei zur Normalität erklärt wird

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hält die AKW-Files für einen konstruierten Skandal. Habeck gibt ohne Not zu, dass er alles gewusst habe. Und die Grüne Nestle spricht gar von normalem Verwaltungshandeln. Offenbar hat sich die Ampel daran gewöhnt, dass ihre Verstöße zur Tagesordnung gehören.

picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON

Es gibt verschiedene Strategien, mit einem Skandal umzugehen. Am Beispiel der Habeck-Files kann man sie neuerlich beobachten. Die beliebteste Methode: Schweigen. Die Strategie hatten die meisten Medien in Reaktion auf den Bericht aus dem öffentlich-rechtlichen Umfeld am Veröffentlichungstag angewendet. Eine andere Strategie: bezweifeln, dass es überhaupt ein Skandal ist. So etwa das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), das behauptet, es handele sich um einen „durchschaubaren“ und „albernen“ Versuch, einen Skandal zu konstruieren. Das ist kein Zufall. Das RND ist Abteilung des Madsack-Konzerns, an dem die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH maßgebliche Eigentums- und noch höhere Stimmrechte besitzt und zu 100 % im Eigentum der SPD stehtSelbstverständlich nimmt die SPD keinerlei Einfluß auf die Berichterstattung.

Interessant ist jedoch nicht nur das Gebaren der gewogenen Medien, sondern in erster Linie das Verhalten der politisch Verantwortlichen. Dort herrscht gerade die sonderbarste Strategie vor. Wenn man davon ausgeht, dass im Bundeswirtschaftsministerium die gute Tradition vorherrscht, den Hausherrn möglichst aus der Schusslinie zu nehmen, und unterstellte Beamte für dessen Verfehlungen als Opfer darzubieten, dann muss man konstatieren: Habeck scheint diese Strategie nicht zu verstehen oder konterkarieren zu wollen.

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Stefan Tidow ist der neue Graichen
Aktueller Stand der Dinge ist: Seine ehemalige rechte Hand, Staatssekretär Patrick Graichen, hat mit Staatssekretär Stefan Tidow aus dem Bundesumweltministerium und dem Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit, Gerrit Niehaus, über Bande gespielt. Das würde Habeck persönlich entlasten und neben dem geschassten Graichen vor allem Tidow und Niehaus belasten. Mehrere Medien, darunter auch die Springer-Blätter Bild und Welt hatten in den Schlagzeilen suggeriert, dass man den Wirtschaftsminister „ausgetrickst“ habe. Ministerium und Medien legen also dem Bundeswirtschaftsminister das Alibi auf dem Silbertablett vor.

Doch Habeck macht diese ganze Ausweichstrategie mit einem Satz zunichte: „Insofern ist also die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hätte, falsch.“ Das heißt konkret: Habeck besteht darauf, dass er nicht ausgetrickst wurde. Er besteht darauf, alles zu wissen. Das heißt auch: über die manipulierten Vermerke, das Konterkarieren wissenschaftlicher Expertise und den Vorzug von Ideologie gegenüber dem öffentlichen Wohl. Bei diesen Worten wird sich so mancher PR-Berater die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben.

Die Grünen fahren demnach eine Strategie der Groteske. Es kann nicht falsch sein, weil es nicht falsch sein kann – eine Steigerung zum Morgenstern-Gedicht. Die Grundsätze unabhängiger Beamtenarbeit wird kurzum auf den Kopf gestellt: Das Beamtentum dient dem öffentlichen Wohl, und das öffentliche Wohl definieren die Grünen. Anders kann man sich diese Kapriole nicht erklären. Noch weiter geht Habecks Bekundung, es habe 2022 enge Abstimmungen mit den Kraftwerksbetreibern gegeben, letztere hätten gesagt, dass die Brennelemente „ausgelutscht“ seien.

Damit verlegt Habeck nicht nur den Debattenplatz – denn im Cicero-Bericht ging es ja eben nicht um die Besprechungen mit den AKW-Vertretern, sondern um hausinterne Manipulationen von Dokumenten. Überdies hat die Bundesregierung in dieser Frage mehrfach die Tatsachen verschleiert, Aussagen falsch oder verkürzt wiedergegeben oder schlicht gelogen.

Denn die Beschaffung neuer Brennstäbe war kein Problem. Das Thema wurde schon im Juli 2022 diskutiert. Die Ampel war schlichtweg nicht daran interessiert, neue Brennstäbe zu beschaffen. Eine rechtzeitige Lieferung wäre möglich gewesen. Dass Deutschland überdies weiterhin Uran-Brennstäbe produziert, gehört zu den Treppenwitzen dieses angeblichen Brennstabproblems.

Bei der Welt verteidigt Ingrid Nestle ihren grünen Parteikollegen. Es ist, ebenfalls wie der Geheimwissen-Satz von Habeck, ein Eigentor. Die Vorwürfe beschrieben lediglich „normales Verwaltungshandeln“. Transparenz hätte bestanden, alle Argumente ausgetauscht. Das ist schon a priori fragwürdig: wenn all diese Vorgänge so öffentlich und transparent waren, warum mussten  die Geheimakten überhaupt freigeklagt werden? Es war doch das Bundeswirtschaftsministerium, das behauptete, dass davon die Legitimität des Atomausstieges abhinge, überspitzt formuliert. Und nun hat jeder gewusst, dass das eigene Haus gegen die Verlängerung war? Und man hat es durchgedrückt, trotz Empfehlung zur Laufzeitverlängerung? Kurz: Nestle empfindet es also als ein gutes Argument zu verlautbaren, man wäre sich doch einig gewesen, die Energiesicherheit Deutschlands müsse entgegen Bedenken in Gefahr gebracht werden?

Das ist in der Tat eher eine Eskalation denn Beruhigung der Lage. Denn: Wollen Medien wie das RND oder Politiker wie Habeck und Nestle dem Bürger wirklich weismachen, dass es zur Normalität der Beamtenrepublik Deutschland gehört, missliebige Dokumente umzuschreiben und nicht abzuwägen, sondern ministerielle Arbeit nach ideologischen Vorgaben auszurichten? Dann bräuchte man allerdings kein Ministerium, keine öffentliche Arbeit, keine Sachverständigen mehr. Dann kann man Behörden gleich zu Vollstreckern von Politik und Partei umdeklarieren. Dann sollte man aber auch so ehrlich sein, dass man nicht dauernd den Rechtsstaat oder gar „die Demokratie“ gottgleich anruft. Beides geht nicht.

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