Ein altes Sprichwort, das den Dakota-Indianern zugeschrieben wird, lautet: Wenn Du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab. Und aus dem Englischen kommt der Hinweis, dass es dann auch keinen Sinn mache, auf das Tier einzuprügeln (“no use flogging a dead horse”).
Beide doch so simplen Weisheiten befolgt man bei der ARD nicht. Zum 50. Jahrestag der ersten Ausstrahlung eines “Tatorts” am 29. November 1970 schickt man, um beim Pferd zu bleiben, zwei ganz alte Schlachtrösser (Kommissare Leitmeyer und Batic, München) nochmal ins Rennen, und gibt ihnen zur Unterstützung lediglich die “Depri-Truppe” aus Dortmund (Augsburger Allgemeine) mit. Das Erste Deutsche Fernsehen scheint sich ganz auf das alte Motto: Jetzt erst Recht, auch wenns wehtut, zu verlassen. Weh tun schon mal die brutalen Szenen in dem Krimi, da hat sich seit Schimanski einiges geändert.
Auf der Website der Jubiläums-Ausgabe ergeht man sich von Regie bis Drehbuchautor in artigen Komplimenten füreinander, unter anderem zeige diese Doppelfolge (ARD) .. wofür der „Tatort“ auch steht: für seine integrative Kraft in jeder Beziehung …. das sei “ein Generationenprojekt.”
Regisseur Dominik Graf: “Der Polizeifilm sollte in einer auseinanderbrechenden Gesellschaft nicht die Funktion der Bestätigung des Etablierten einnehmen, sondern eher die subversive Antithese. … er ist das wuchtigste Film-Genre, das realste und fantastischste gleichzeitig.”
Dieser Fall ist nicht fantastischer gestrickt als die des einstigen Publikumslieblings Schimanski, der sich aber schon zu seiner Zeit im Tatort mit “bunteren” Fällen plagen musste: Bei seinem allerersten Tatort “Duisburg Ruhrort” mit türkischen Schlägern, gleich mehrmals in der italienischen Schutzgeld-Szene (Rechnung ohne Wirt, 1984, Schimanskis Waffe 1990), sowie mit iranischen (Der Tausch, 1986) arabischen (Blutspur 1989) und französischen (Zahn um Zahn, 1985) Killern. Der Kern der Geschichte ist auch nicht ganz so neu, 1996 hatte der “Bulle von Tölz” (Ottfried Fischer in „Palermo ist nah“) einen Fall zu lösen, in dem eine Mafia-Familie in scheinbar gutbürgerlichen Verhältnissen samt unwissender Tochter die zentrale Rolle spielte, wenngleich hier auch die Sizilianische Mafia gemeint war.
Die italienische Mafia rangiert in Punkto Aufmerksamkeit (Ausnahme ein sechsfacher Mord in Duisburg 2007) aktuell hinter Berliner Großfamilien. Die ARD fragt Drehbuchautor Bernd Lange, warum er sich für diesen Stoff entschieden habe, denn “… Kokainhandel der Mafia und Geldwäsche über ein italienisches Lokal sei ein Thema, das in der letzten Zeit etwas aus dem Fokus gerückt sei…”. Ja, aus der Zeit gefallen, alt und müde kommt er daher, der Jubiläumstatort, trotz der jungen Dortmunder Kollegen Jan Pawlak (Rick Okon) und Nora Dalay (Aylin Tezel). Mit alten weißen Kommissare, einem Vorspann aus den 70er Jahren, und als Bühne “das verwüstete Ruhrgebiet, eine Schatten-Landschaft“ (Regisseur Domink Graf).
Die Jubiläumsfolge startet mit der von Graf angekündigten Wucht in der Eröffnungssequenz mit dem Holzhammer. In München wird ein Drogendealer vor den Augen seines Sohnes erstochen, blutrot zieht sich die Fährte des Mörders durch München und in einem Pasta-Lieferwagen nach Dortmund wo die “Ndrangheta”,also die kalabrische Mafia, ihren dunklen Machenschaften nachgeht. Die Trattoria von Luca (Beniamino Brogi) und Janina Modica (Antje Traue) dient als Geldwaschmaschine und Drogen-Versende-Zentrum. Erstaunlich, wie da wöchentlich der Lkw kiloweise Pasta ablädt, für deren Abnahme in dem bescheiden besuchten Restaurant irgendwie die Kundschaft zu fehlen scheint. Die Dortmunder Polizei hat Lunte gerochen, dass da ein dicker Fisch ins Netz gehen könnte, und beobachtet eifrig, aber irgendwie nachlässig. Das wird sich noch rächen.
Die “Familia” parkt den Münchner Mörder im “sicheren Haus” unter dem Deckmantel der gutbürgerlichen Idylle von Janina und Luca. Unsympathisch und agressiv tritt der untergeschlüpfte Guiseppe „Pippo“ Mauro auf, glaubwürdig gespielt von Emiliano De Martino. Und er entpuppt sich als toxisch für die Beziehung seiner Gastgeber, bringt seine archaischen “Regeln” mit und versucht, den braven Familienvater zur dunklen Seite hinüberzuziehen, macht ihm den Mund wässrig nach mehr und einfacherem Geld, weg von der kleinen Trattoria mit “Nudeln für 6 Euro”.
Die deutsche Ehefrau Janina will, nachdem sie die Bekanntschaft dieses Verwandten gemacht hat, aussteigen, besonders als sie merkt, wie tief die Familie bereits seit Jahren im Mafia-Sumpf steckt. Töchterchen Sofia Modica aber (Emma Preisendanz) ist völlig ahnungslos und gerät immer mehr unter den Einfluss des großkotzigen Pippo.
Unheilvolle Polizeizusammenarbeit
Klar, das Treffen zweier so unterschiedlicher Teams wie dem aus München und den Preußen aus Dortmund im gleichen Revier den einen oder anderen Kalauer wert ist: Das Leben im tristen Dortmund ist so viel mieser als im mondänen Bayern, wo schon der Kaffee besser ist. Man reibt sich bei den Ermittlungen (Die Bajuwaren- respektlos als “Kasper und Seppel” tituliert – wollen den verhaften, den die Dortmunder noch observieren möchten) und Kommissar Faber (Jörg Hartmann) tut alles, um die Einschätzung seines Chefs Matuschek zu bestätigen: “der ist auf dem Weg nach unten …”
Humor ist fehl am Platz, schnell wird es tragisch. Oberkommissarin Dalay pirscht sich auf Inititative von Faber verdeckt an die Ehefrau von Luca Modica an, um mehr über den Kokainschmuggel zu erfahren. Sie hat aber Skrupel, die Frau als Instrument zur Belastung ihres Mannes einzusetzen. Es entspinnt sich eine Auseinandersetzung sowohl innerhalb der unfreiwillig zusammengeworfenen Ermittler wie auch dem Team in Dortmund. Und wie Drehbuchautor Bernd Lange es angekündigt hat: durch den Aufprall „… einer weltweiten, mafiösen Kraken-Struktur auf den oft hilflosen Kleinklein-Apparat unserer deutschen Kommissare …” kommt es zur Katastrophe. Janina fliegt auf.
Mord und Entführung, und die Polizei steht hilflos daneben. Der aus Kalabrien unter Druck gesetzte Luca erdrosselt, während die Observierung läuft, seine geliebte Janina, Pippo, das Scheusal entkommt mit Tochter Sophia vor den Augen der Polizei und fährt den Verfolgern einfach mit 240 km/h davon. Natürlich zeigt der Tatort, wie die Darstellerin von KHK Bönisch, Anna Schudt sagt: “… eindrücklich, wie die organisierte Kriminalität in eine Familienstruktur einzieht und sie von innen heraus zerstört …“. Viel eindrücklicher wird beim Zuschauer aber haften bleiben, wie amateurhaft sich gleich zwei bundesdeutsche Ermittler-Teams haben austricksen und vorführen lassen.
Ob, wie Redakteur Frank Tönsmann meint, nur mit einer Erweiterung auf zwei Folgen “… die Geschichte der Opfer, Täter und Verdächtigen gründlicher und ohne die üblichen Romantisierungen oder Verteufelungen, all den Klischeebildern, (über die Mafia) erzählt werden könne …”, darf bezweifelt werden. Jedenfalls zeigt der Film sehr anschaulich, wie primitiv die Motive und Werkzeuge der Mafia im Grunde sind: es geht darum, fette Autos zu fahren, um Rausch, Macht, protzige Häuser und viel Geld, Geld Geld in den Taschen zu haben, und immer nimmt man es den, wie Pippo sie nennt, “Normalen, Nichtssagenden“ mit brutaler Gewalt weg.
Während der unglückliche Luca die Mord-Anweisungen seiner kalabrischen Familie entgegennimmt, blendet der Tatort Fotos aus Kalabrien ein, die aber seltsamerweise nur Häuser und Straßen zeigen, in denen augenscheinlich normale, ärmere Kalabrier wohnen. Die dicke Villa, von der Pippo Luca noch Fotos gezeigt hat, bleibt unsichtbar.