Schon als Kind stand ich staunend im Spielwarengeschäft vor einer kleinen Dampfmaschine. Ich stand dort jedes Jahr, und je näher Weihnachten kam, desto länger wurden die Zeiten vor der kleinen Maschine.
Sie hatte einen Kessel, einen Zylinder, ein Schwungrad und noch ein paar Leitungen mit unwiderstehlichen Ventilen. Wenn man das Schwungrad drehte, dann bewegte sich ein kleines, karussellartiges Gebilde. Ich konnte stundenlang davorstehen, das Ventilgewicht anheben, mit dem Schwungrad über den Federriemen das kleine Karussell antreiben und zusehen, wie sich die zwei Pleuelstangen versetzt hin- und herbewegten.
Aber die kleine Maschine war teuer. Sehr teuer sogar: mehrere Hundert Mark. Nicht dran zu denken, so eine jemals selber zu besitzen. Und jeder versicherte mir, wie unsinnig so eine Konstruktion doch war, die nichts konnte, als sich selbst anzutreiben. Dass sie eigentlich immer nur im Regal stehen und einstauben würde. Das war natürlich richtig und vernünftig, und so vergingen die Jahre ohne Dampfmaschine. Irgendwann war die Kindheit vorbei und damit auch die Berechtigung, sich eine Dampfmaschine zu wünschen. Dann machte ich eines Tages zwei Entdeckungen: Erstens, ich wurde Vater, und zweitens, die Dampfmaschine wurde immer noch hergestellt, und zwar praktisch unverändert. Ich verband beide Erkenntnisse zu einem Entschluss und war kurz darauf Besitzer eines solchen Wunderwerks. Zu Weihnachten wurde sie angeworfen.
Männer, die auf Pleuel starren
Das Wasser einzufüllen ist nicht einfach, aber schließlich ist das auch keine Maschinensimulation auf dem iPad, sondern ein Gerät aus Fleisch und Blut, oder welches Material war das doch gleich? Mein Großvater hatte mir gezeigt, wie man Tüten aus Papier dreht und wie man diese auch als Trichter verwenden kann. Jetzt treten die ersten Zuschauer dazu, aber sie sind zu früh.
Offenbar noch zu wenig Druck, also das Ventil wieder zu. Und was macht denn dieses zweite Ventil daneben? Ist das Gewicht für das Überdruckventil auch wirklich richtig eingehängt?
Jetzt das Ventil noch einmal auf. Meine Güte, der Kolben steht ja im Totpunkt, das kann so nicht funktionieren! Man muss das Schwungrad drehen, dann passiert bestimmt etwas. Und das tut es dann auch. Das Rad springt ohne weitere Vorwarnung an. Nicht langsam wie eine alte Dampflock, sondern wie eine Nähmaschine auf Esbit. Die Maschine rattert und zischt, das Wasser brodelt, es riecht nach einem Gemisch aus Trockenbrennstoff und überhitztem Metall, und man kann mit dem Finger die Kraft am Schwungrad spüren. Wenn man zu viel heizt, dann aktiviert das die Dampfpfeife, was zugleich den Dampfdruck senkt und die Maschine etwas langsamer werden lässt. Jetzt können auch die Frauen nicht mehr widerstehen und wollen das Schauspiel sehen. Aber sie kommen erst, als der Druck schon langsam abnimmt und die Drehzahl kleiner wird. Es dauert nicht lange, bis das Brodeln merklich schwächer wird und das Rad schließlich zum Stillstand kommt.
Wenn man nun das Ventil zudreht, etwas wartet und es wieder aufdreht, dann flammt das Rattern noch einmal kurz auf, aber bald geht es endgültig zu Ende.
Faszination für alle Generationen
Das ist der Zeitpunkt, an dem es still wird und alle melancholisch über die Dinge im Leben sinnieren, die unwiederbringlich vorbeigegangen sind. Dann lässt man die Maschine abkühlen und geht zum nächsten Programmpunkt auf dem Weg bis zur Bescherung über. Die kleine Dampfmaschine läuft jedes Jahr zu Weihnachten, obwohl ihr Kauf schon ewig her ist. Von wegen unsinnige Maschine. Seit dem Kauf sind Autos, Tablets, Kameras gekommen und gegangen. Aber die Dampfmaschine ist geblieben und mit ihr die generationenübergreifende Faszination zu Weihnachten. Glauben Sie mir: Da kommt kein Räuchermännchen mit.
Soll ich Ihnen etwas verraten? Die Maschine gibt’s immer noch zu kaufen.