Ich bin kein Hindu, aber das Rind ist mir heilig. Wahrscheinlich schlagen meine k.u.k.-Wurzeln durch. Denn es gibt abgesehen vom Hinduismus keine Kultur, die dem Rind hingebungsvoller huldigt als die österreichische Rindfleischküche. Das rituelle Mahl ist einschließlich der exakt definierten Beilagen so komplex und unantastbar wie die 245 Dogmen der katholischen Kirche. Eines lautet: Die Welt wurde zur Verherrlichung Gottes erschaffen. Hier gilt: Das Rind wurde zur Verherrlichung der Kochkunst geschaffen. Deshalb wird in der traditionellen österreichischen Metzgerei das Rind auch anders zerlegt als etwa beim Massenschlachter Tönnies, einem Piefke.
Die Ehrfurcht vor dem Geschöpf Rind setzt Wissen um Anatomie, Qualität und Behandlung der Rinderteile voraus. Das Tier wird nach der Tötung nicht einfach in zwei Hälften gespalten, sondern die Brust als Ganzes abgetrennt. Wir müssen es nun auf die Spitze, gewissermaßen auf den Tafelspitz treiben.
In der österreichischen Küche wird das Fleisch gekocht, anderswo lieber gebraten und geschmort. Auch die kunstvolle Reifung des Rindfleisches, hier beispielsweise in Barcelona, ist ein Zeichen kultischer Verehrung des Rinds.
Warum ich das erwähne? Weil es gerade einer Hochkultur an den Kragen geht. Das Rind soll dem Klima geopfert werden. Das wäre so, als verzichtete die katholische Kirche auf die Verehrung der heiligen Jungfrau Maria wegen Überfüllung des Himmels. Das zeigt nicht nur, wie fundamentalistisch der gemeine Klimaretter agitiert, sondern vor allem, wie kulturlos er sich verhält. Er versteht unter Essen ausschließlich Ernährung, einen Tankvorgang mit möglichst erneuerbarer Energie.
Die vegetarische Welle rollt entgegen marktgängiger Beteuerungen nicht aus diätetischen Gründen, nicht mit dem Ziel, die Menschheit gesünder und damit älter werden zu lassen. Es wäre kontraproduktiv. Die Übervölkerung des Planeten nähme weiter zu. Es geht auch nicht um das Wohl der Rindheit. Sie scheißt und atmet zu viel. Dezimiert werden sollen Vieh und Mensch. Deshalb zielt der politische Vegetarismus zuerst auf die Lust am Speisen. Der Homo sapiens als Verbraucher, Verschwender und Verschmutzer.
Dahinter steckt ein verwerfliches Menschenbild. Es begreift den Erdbewohner Mensch nur noch als Schädling. Seinem eigenen verachtenswerten Sein wirkt der woke Kostverächter entgegen. Die Krone der Schöpfung erhebt sich selbst zum moralischen Gipfel der Evolution, indem sie sich selbst erniedrigt und kasteit. Es ist pervers. Wäre der Mensch ein gewöhnliches Tier, dürfte er darauf pochen, artgerecht zu leben. Mit so viel Rücksicht durch seinesgleichen hat er selbst nicht zu rechnen.
Mit der Esskultur fing die artgerechte Menschenhaltung einmal an. Das Beutetier musste nicht mehr roh gefressen, es konnte zubereitet, verfeinert werden, gebraten und dann mittels tönerner oder metallischer Gefäße gekocht. Einen Teil der Verdauungsarbeit übernahm das Feuer. So entlastet, blieb dem Menschen mehr Energie zum Denken übrig.
Viehzucht ist der Schlüssel: Ohne die damit verbundene Sesshaftigkeit gäbe es weder Zivilisation noch Kultur. Aber ein nicht zu übersehender Teil der Menschheit, der sich für besonders fortschrittlich hält, will entschlossen zurück zur vermeintlichen Natur.
Würde die Menschheit sich selbst weniger verachten, würde sie das Rind mehr ehren. Im Stall, wo der Geschmack in es hinein, und auf dem Tisch, wo er wieder aus ihm herauskommt. Stattdessen wird es zu Hackfleischeinerlei verarbeitet. Für die weltweite Burgerschnellimbisskulturschande kann das arme Vieh nichts. Aber wir sehen: Das Rindheitsproblem ist nicht nur die Schuld irregeleiteter Vegetarier.
Aber der Mensch muss gar nicht zum Veganismus gezwungen werden. Er lässt sich auch anders täuschen. Hackfleischersatz, wohin man blickt. In nicht mehr allzu ferner Zukunft werden weltweit nur noch ein paar Dutzend Kühe benötigt. Aus ihren Stammzellen wird Material generiert, das sich zwischen den Zähnen so ähnlich wie Fleisch anfühlt und sogar entfernt danach schmeckt. Auch Bratlinge aus Mehlwürmern sollen ernährungsphysiologisch 1a sein. Von Mikroben produzierter Proteinfleischersatz aus Pilzkulturen steckt ebenfalls bereits in der technologischen Pipeline.
Nur einen Tafelspitz oder ein weißes Scherzl wird man niemals nachbauen können. So kommt unter die Räder, was weder Lebensmittelchemie noch Diätetik jemals begriffen haben: die kulinarische Kultur.