Tichys Einblick
KINDERERNÄHRUNG

Kindermund tut Wahrheit kund

Allen Ernährungsideologien zum Trotz – von jeher weigern sich Kinder, bestimmte Lebensmittel zu essen, sei es Spinat, Brokkoli, Tomaten oder Möhrenbrei. Lieber greifen sie zu Gerichten, die als ungesund gebrandmarkt sind, wie Pizza, Pasta und Pommes. Das hat einen natürlichen Grund.

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Fast alle Kindergerichte sind ungesund“, befanden Experten der Universität Heidelberg. Umgehend forderten die üblichen Verdächtigen, die Lebensmittelindustrie müsse „mehr Verantwortung für gesunde Ernährung übernehmen“. Der Handel ließ sich nicht lange bitten, und setzte „im Kampf gegen den Zucker“ seine Lieferanten unter Druck. Lidl will im Rahmen seiner „Reduktionsstrategie 2025“ in Joghurt und Co bereits 520 Tonnen Zucker eingespart haben. Tolle Leistung! Da der Kalorienkonsum der Kunden aus biologischen Gründen konstant bleibt und bleiben muss, rechnet es sich: Man streicht nahrhafte, sprich teure Rohstoffe aus den Rezepturen und kann dann doppelt so viel Ware verkaufen. Einst eine verwerfliche Manipulation, heute der Königsweg zum Heil.

Auch Michelle Obama hat ein auf Verschlankung und Gesundung ausgelegtes staatliches Schulessen eingeführt – für „Healthy Hunger-Free Kids“: Das Mittagessen macht also nicht satt, sondern nur „hungerfrei“. Die Kids klagten in der Tat, dass ihnen angesichts der ekligen Menüs schnell der Appetit vergangen sei. Um die Entsorgung der weggeworfenen Hunger-Free-Menüs bezahlen zu können, mussten manchmal die Ernährungsberaterinnen entlassen werden. US-Medien berichteten, dass mancherorts Cops entlang der Schulwege patrouillierten, damit sich die Schüler keine Pizza holten. In der Folge entstand auf den Schulhöfen ein Schwarzmarkt für Salz, Zucker und anderes Begehrtes. Ja, lernen fürs Leben – und wenn es sein muss, dann eben im Pausenhof.

Einen ähnlich abstoßenden Vorgang gab es in Großbritannien. Dort erklärte sich Jamie Oliver, wie es heißt, ein Starkoch, bereit, für Schüler gesunde Menüs zu kreieren. Alsbald reichten besorgte Mütter Pausenbrote durch die Gitterstäbe der Schulhoftore. Es folgten Straßenproteste, in denen Schüler und Eltern für richtiges Essen demonstrierten. Unsere Politik wird diese Vorfälle zum Anlass nehmen, um den Druck auf die Kinder zu erhöhen. Natürlich ahnen wir im Grunde unserer Herzen, dass das Paradies der gesunden Ernährung nur erreichbar ist mit Stacheldraht, Wachtürmen und Hunden.

Vogelfutterkreationen fürs Kind

Zu allen Zeiten haben Mütter probiert, ihren Sprösslingen eine Kost angedeihen zu lassen, die diesen widerstrebte. Doch es war vergebliche Liebesmüh, ihnen Spinat oder Pampelmusensaft einflößen zu wollen, später folgten Vogelfutterkreationen, die in bewussten Haushalten Insektenbeilagen enthielten, weil das Korn bei wohligen Bruttemperaturen gehortet wurde, um es tagesfrisch zu schreddern. Eine immer noch aktuelle Strategie ist das Prinzip Panschen: Wenn die Köchin den untergerührten Brokkoli nicht mehr rausschmeckt, dann merkt ihr Kind auch nichts. Ganz bestimmt.

Verehrte Leserin, geschätzter Leser, wie war das bei Ihnen? Könnte es sein, dass Sie das, was Sie essen mussten, über lange Jahre nicht mehr freiwillig in den Mund genommen haben? Kinder, die ständig wider Willen „Gesundes“ reingewürgt bekommen, werden dies ein Leben lang verabscheuen.

Meist hat es biologische Gründe, wenn Kinder bestimmte Speisen nicht mögen. Im Kochfisch beispielsweise sind nicht nur Gräten drin, die eine gewisse Zungenfertigkeit erfordern. Ihm entströmt auch ein eigenwilliger Duft. Die Aversion dagegen ist angeboren – und der Protest des Nachwuchses bei Tisch ein Zeichen von Gesundheit. Bei panierten Fischstäbchen ist das alles kein Problem: Sie riechen nach Gebratenem und sind frei von Gräten. Statt sich darüber zu freuen, stufen viele Ernährungsexperten Fischstäbchen lieber als „ungesundes Fast Food“ ein.

Mamas Essensekel prägt den Fötus

Eskimokinder wiederum lieben Fisch. Weil Föten aktive Geruchsnerven besitzen, nehmen sie Speisegerüche über das Fruchtwasser wahr. Nun wird hiesigen Schwangeren empfohlen, viel Kochfisch zu essen, damit sich das Kind schon im Mutterleib daran gewöhne. Das geht meist schief. Traditionell ernährte Eskimos finden Fisch lecker. Die Botenstoffe im Nabelschnurblut signalisieren dann: Muttern geht’s jetzt richtig gut. Wenn bei uns Schwangere zu einer fischelnden Kost genötigt werden, dann halten sich die Glücksgefühle meist in Grenzen. Die Botschaft für die Leibesfrucht ist klar: Wenn’s nach Fisch riecht, ekelt sich Mama. Pfui Teufel!

Tückisch für die Kleinen ist Brokkoli: „Diese Bäume ess ich nicht“, lautet die natürliche Reaktion eines ernährungstechnisch unverdorbenen Kindes. Als Ursache fällt zunächst die Bitterkeit auf. Bitteres ist für Kinder ein Warnsignal, damit sie das Zeug sofort ausspucken. Deshalb ist die Bitterempfindung bei ihnen viel intensiver als bei Erwachsenen. Erst wenn die Leber gereift ist, nimmt diese Aversion ab. Dazu kommt der „Kohlmief“, der bei vielen Kindern eine Reaktion wie bei Kochfisch auslöst.

Das Seveso-Gift im Brokkoli

Gesundheitsexperten raten zu Brokkoli wegen seines Gehaltes an Indol- 3-Carbinol. Dieses zählt aufgrund seiner leider krebsfördernden Wirkung toxikologisch zu den „natürlichen TCDD-artigen Verbindungen“. TCDD ist als „Sevesogift“ bekannt. Dann folgt „hochgesundes“ Sulforaphan. Daraus bildet der Körper erhebliche Mengen Dithiocarbamat. Diese Stoffe sind klassische Pestizide. Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln in Gemüsen sind im Vergleich dazu bedeutungslos. Wenn schon Kohl, warum nicht Blumenkohl? Der ist weder bitter noch giftig.

Vorlieben haben ebenfalls ihre Gründe. Das gilt auch für Nudeln und Pizza, die vielen Eltern den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Warum bloß? Millionen italienischer Bambini mussten das immer essen, damit sie groß und stark wurden. Da wird bei uns erst Mittelmeerkost gepredigt, und kaum haben die Kinder ihre Lieblingsspeisen in Form von Pasta und Pizza entdeckt, wird davor gewarnt. Was für eine Bigotterie! Dabei sind Pizzen ein vollständiges Menü mit Mehl, Tomaten, Käse, Schinken, Paprika, Sardellen und vielen anderen Zutaten als Belag. Das wird dann als „einseitig“ geschmäht. Wie verlogen ist das denn?!

Es ist ganz normal, wenn Kinder Phasen haben, in denen sie sich auf ein bestimmtes Lebensmittel konzentrieren, sich tatsächlich „einseitig“ ernähren. Der Maßstab sind nicht Nährwerttabellen, sondern einzig und allein das Gedeihen des Kindes.


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