Wo ist denn Lenôtre? Zumindest ein Hinweisschild weist noch den Weg, doch den legendären Stand der legendären Pariser Konditorei sucht man vergebens in der Feinschmeckeretage im sechsten Stock des KaDeWe am Berliner Wittenbergplatz. Kurz vor dem 50-jährigen Jubiläum der ersten ausländischen Filiale von Lenôtre fiel die Entscheidung, die Dependance zu schließen. Ein Kapitel kulinarischer Geschichte in Deutschland ist nun selbst Geschichte.
Über die Gründe lässt sich spekulieren. Offiziell heißt es von Seiten einer KaDeWe-Sprecherin, dass man die eigene Marke stärken wolle. „Bereits seit einigen Jahren umfasste das Sortiment der Patisserie-Theke zu neunzig Prozent Eigenkreationen der hauseigenen KaDeWe-Konditorei, lediglich zehn Prozent wurden nach Rezepten von Lenôtre hergestellt.“ In diesem Kontext sei die Entscheidung zur Loslösung von Lenôtre ein „logischer Schritt“.
Vielleicht waren es aber auch die wirtschaftlichen Turbulenzen der vergangenen Jahre mit diversen Besitzerwechseln und Insolvenzen, die das Haus Lenôtre aus eigenem Antrieb dazu brachten, sein Berliner Engagement zu beenden. Von Seiten eines Lieferanten der KaDeWe-Feinschmeckeretage ist zu hören, dass wiederholt Rechnungen nicht bezahlt worden seien und man im Insolvenzverfahren keine Chance hatte, an sein Geld zu kommen.
In diesem Zusammenhang macht auch die zumindest vorübergehende Schließung der Wurstabteilung stutzig. Viele Fleischwaren im KaDeWe werden aktuell vom Münchner Großmetzger Vinzenz Murr geliefert, keine Marke, die dem Premium-Image des KaDeWe gerecht wird.
In welche Richtung der neue Eigentümer des KaDeWe und der beiden Premiumkaufhäuser Oberpollinger (München) und Alsterhaus (Hamburg), die thailändische Central Group, das Gourmetangebot im KaDeWe entwickeln möchte, ist ungewiss. Einiges spricht dafür, dass das Shop-in-shop-Prinzip noch weiter ausgebaut wird als bislang schon, und das eigene Sortiment weiter schrumpft. Das spart Personalkosten, geht aber zu Lasten einer eigenen, unverwechselbaren Identität. Die „Sechste“ als klassische Feinkostabteilung mit spezifischem KaDeWe-Angebot, dürfte mittelfristig ausgedient haben.
Immerhin gibt es einstweilen noch eine sehr ansehnliche Fisch- und Käsetheke und auch das Wein-, Sekt- und Spirituosenangebot wird noch dem enzyklopädischen Anspruch gerecht, mehr oder weniger alles bieten zu können, was Rang und Namen hat. Doch vielerorts in der „Sechsten“ begegnet einem mittlerweile nur noch das ewig Gleiche. Warum Lindt mit seinen Massenprodukten eine so große Fläche in der Süßwarenabteilung beanspruchen darf, ist ein Rätsel – wahrscheinlich verbinden Touris aus Nahost damit immer noch „Schweizer“ Qualität. Und warum Aachener Gewürzprinten neben Elisenlebkuchen aus Langenzenn bei Nürnberg kommen, bleibt das Geheimnis der KaDeWe-Einkäufer.
Immer häufiger sieht man allerlei kulinarische Mitbringsel auf Sonderverkaufsflächen, die vor allem Ansprüche von touristischen Gelegenheitskäufern befriedigen sollen. Die bevölkern das KaDeWe fast den ganzen Tag über und sorgen für Remmidemmi an den zahlreichen Fress-Ständen, den mehr als dreißig Restaurants, Bars und „Food-Countern“. Am besten, man besucht das KaDeWe am frühen Vormittag oder kurz vor Ladenschluss
Mein persönlicher Favorit seit Jahrzehnten: Schweizer Raclette vom halben Laib an der Käsetheke. Mit festen Kartöffelchen und Mixed Pickles. Das tröstet ein wenig über den Abschied von Lenôtre hinweg mit den offenbar nur dort erhältlichen, mit grobem Zucker bestreuten Chouquettes aus wunderbar luftigem Brandteig. War wohl einfach zu französisch. Ach ja, die Galeries Lafayettes in Mitte gibt’s auch nicht mehr. So geht’s bergab mit Deutschland und dem Genuss.