Tichys Einblick
Grüne Realsatire

Grüne gestalten die Volksgesundheit – Sitzen wird olympische Disziplin

Müsli macht dick und muss staatlich reglementiert werden? Naja, aber wer gleichzeitig einen stundenlang vor dem Bildschirm sitzenden Menschen als hart trainierenden Athleten versteht, lässt den Verdacht aufkeimen, ein unterzuckertes Gehirn leide unter temporären Wahrnehmungsstörungen.

@ Getty Images

Politiker sollten sich um das Wohlergehen der Menschen verdient machen. Dazu gehört es auch, einen Lebensstil zu ermöglichen, der sowohl der geistigen als auch der körperlichen Gesundheit Chancen bietet. Im Deutschen Bundestag hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spätestens seit der Veggie-Day-Initiative, die im November 2010 beschlossen wurde, einen Ruf als führende Partei für Fragen der Volksgesundheit zu verteidigen. Ausstiege, Einstiege und Wenden stehen auf ihrer Agenda der gesellschaftlichen Transformation.

Ernährungswende erreicht den Städtebau

Mit der Drucksache 19/6441 hat die Fraktion den Bundestag aufgefordert, gesunde Ernährung im Alltag einfach zu machen und damit die Ernährungswende umzusetzen. „Es ist Aufgabe der Bundesregierung, die politischen Rahmenbedingungen für ein gutes, nachhaltiges und gesundes Angebot an Essen zu setzen und hierbei insbesondere Kinder und Jugendliche im Blick zu haben.“ Dieses Angebot existiert in großer Vielfalt und deshalb ist der Gedanke überflüssig aber nicht verwerflich. Die Vorschläge zur Umsetzung, die von dem Wirtschaftsunternehmen Foodwatch diktiert zu sein scheinen, sind es dagegen schon. Eine nationale, ressortübergreifende Strategie für gutes Essen soll entwickelt werden. Die Bayern werden für ihren Schweinsbraten ebenso kämpfen müssen wie die Schwaben für die Maultasche oder die Hanseaten für Labskaus. Viele Köche werden an den nationalen Rezeptbüchern mitarbeiten, bei denen auch das Verteidigungsministerium für die Fälle der Versorgung in Krisensituationen ein wichtiges Wort mitzureden hat.

Gemeinsam mit den Ländern soll gesunde und vielfältige Ernährung als fester Teil der Stadtentwicklung und der ländlichen Entwicklung etabliert werden. Dazu, so der Antrag, soll auch der Aufbau zivilgesellschaftlicher Ernährungsräte zur Entwicklung regionaler Ernährungsstrategien im Rahmen der Programme der Städtebauförderung gehören.

Eine ausgewogene und gesunde Ernährung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher in allen öffentlichen Einrichtungen von der Kita bis zum Pflegeheim soll ermöglicht werden. Warum diese derzeit nicht möglich sein soll, entzieht sich der unmittelbaren Einsicht.

Und dann werden natürlich im Antrag die verbindliche nationale Reduktion von Zucker, Salz und Fett in verarbeiteten Lebensmitteln ebenso gefordert, wie die Nährwert-Ampel, Werbeverbote und Strafsteuern. Einfallslose Agitation mit populistischer Wirkung.

Die Begründung des Antrags zeigt, auf welcher schwachen Basis die Forderungen stehen. Die weltweite Zunahme von Übergewicht und Adipositas wird beschworen. An den Nahrungsmitteln kann es eigentlich nicht liegen. Im gleichen Kontext weisen die Autoren des Papiers auf die hohe Prävalenz von Essstörungen hin, die vor allem mit Untergewicht einhergehen. Was nun? Adipositas oder Untergewicht? Und wie sollen sich die zunehmenden Essstörungen durch staatlich vorgegebene Rezeptu-ren, Ampeln oder Strafsteuern beheben lassen? Es geht in Wirklichkeit um den Lebensstil, der uns Probleme beschert, und nicht um ein Müsli mit weniger Zucker.

„Statt Übergewicht und Adipositas zu individualisieren, kann die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die es den Menschen ermöglichen, sich gesund zu ernähren.“ Der Satz ermöglicht einen tiefen Einblick in die Politiker-Gedankenwelt. Über- oder Untergewicht werden nicht individualisiert. Sie sind individuell. Jeder hat heute die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren. Dazu muss kein staatlich sanktionierter Einheitsbrei verordnet werden. Der persönliche Lebensstil entscheidet über die Figur und mögliche Folgen. Die Fraktion sollte einmal den CDU-Abgeord-neten Dietrich Monstadt einladen. Es ist bedauerlich. Aber er hat es nach eigenem Bekunden geschafft, durch jeglichen Verzicht auf sportliche Aktivität und permanentes Sitzen bei gleichzeitig hoher Zufuhr von Süßigkeiten zum Diabetiker zu werden. Seine Willenskraft hätte auch ein Mehrpreis von 20 Cent bei Gummibärchen nicht außer Kraft setzen können. Jeder Mensch ist eben individuell.

Verantwortungslose Meinungs-Manipulation

Die fehlende Balance zwischen Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch ist das entscheidende Problem in einer zunehmend durch Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft. Die von den Antragstellern nur selektiv zitierte KiGGS-Studie stellt fest: „Neben genetischen Ursachen ist ein dauerhaftes Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch die wesentliche Ursache für die Entwicklung einer Adipositas.“ Auf das sitzende Verhalten in Schule, Ausbildung und Beruf sowie durch medienbezogene Aktivitäten in der Freizeit wird als wesentlicher Risikofaktor für Übergewicht hingewiesen. Die Kämpfer für die Volksgesundheit blenden dies allerdings konsequent aus, weil die daraus abzuleitenden Strategien für die Politik erheblich komplizierter wären als platte Beschuldigungen der Ernährungswirtschaft oder Strafsteuern. Wer will schon über komplexe Lösungen nachdenken müssen, wenn mit schlichten Behauptungen das Meinungsklima mani-puliert werden kann?

Ebenso negiert werden eine WHO-Studie, die Bewegungsmangel als globales Problem definiert, oder eine weltweite Untersuchung der Acitve Healthy Kids Global Alliance, nach der sich deutsche Kinder und Jugendliche deutlich weniger bewegen als Gleichaltrige in vielen anderen Ländern. Deutschland hat im Bewegungszeugnis dreimal die Note vier bekommen. Wir gehören zu den Sitzenbleibern. Das stört die auf staatlichen Dirigismus konzentrierte Fraktion ebenso wenig wie das bei diesem Thema bewährte Wirtschaftsunternehmen Foodwatch. Diese Organisation, deren Geschäftsmodell wesentlich auf dem Prinzip der Lüge basiert, behauptet nach wie vor, dass es sich wissenschaftlich nicht belegen lässt, dass sich Kinder und Jugendliche heute weniger bewegen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Vor dem Hintergrund erdrückender Studienergebnisse, die zudem jeder halbwegs wache Mensch durch eigene Beobachtung bestätigen kann, sind solche Aussagen ver-antwortungslos. Sie verharmlosen den dramatischen Bewegungsmangel in der Gesellschaft.

Sitzen soll Volkssport werden

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht allerdings noch einen Schritt weiter, um in Deutschland den Triumpf des Gesäßes über das Gehirn salonfähig zu machen. Mit der Drucksache 19/5545 wird der Antrag gestellt, die Entwicklung des eSports zu fördern und zu gestalten. Dies ist ein Sport, der sich durch konzentriertes Sitzen auszeichnet. Das „kompetitive Spielen von Videospielen am Computer, der Konsole oder anderen Geräten“ soll als gemeinnützig und damit förderungswürdig anerkannt werden, um dann auch in den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) aufgenommen zu werden.

Die Bündnis/Grünen lassen in ihrem Antrag zahlreiche Probleme nicht unerwähnt. Im Fall von eSport reichen diese von Cybermobbing und HateSpeech über die Suchtgefahr der Spiele bis hin zur Prävention von Gaming Disorder in Programmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Online-Spielsucht wurde schließlich bereits in den neuen WHO-Katalog der Krankheiten aufgenommen. Davon unbeeindruckt wird die Gemeinnützigkeit der sitzend gesteuerten Pumpgun von den Aktivisten der gesellschaftlichen Transformation angestrebt. Kein Mensch soll sich dem entziehen können. Es wird gefordert sicherzustellen, „dass sowohl in ländlichen als auch in urbanen Räumen Internetanschlüsse mit ausreichend hohen Bandbreiten zum Spielen zur Verfügung stehen, um die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu gewährleisten.“ Jetzt wissen wir endlich, in welche Richtung sich unser gesellschaftliches und kulturelles Leben aus Sicht dieser Fraktion entwickeln wird.

Der eSport ist natürlich nicht aufzuhalten. Er ist bereits eine mit gravierenden Problemen verbundene Realität. Aber verantwortungsbewusste Politiker sollten ihn nicht auf den Olymp heben wollen, sondern sich mit den durch die Gaming-Epidemie verursachten Problemen und deren breitgefächerten Konsequenzen für die Gesellschaft beschäftigen. Der eSport-Bund Deutschland e. V. (ESBD), der das Millionengeschäft der Professionalisierung vor Augen hat, erhält von den Bündnis/Grünen willkommene Unterstützung. Er sieht im Sitzen vor dem Bildschirm eine sportliche Handlung, bei der durch den Bewegungsablauf eine „eigenmotorische Betätigung mit keinem anderen Zweck als der Beherrschung des Spielgeschehens“ entsteht. Rückenprobleme von Kindern nach stundenlangem Sitzen vor der Spielkonsole, wie sie zunehmend von Orthopäden diagnostiziert werden, lassen sich also durch die flinken Finger kompensieren. Bei den Könnern an Tatstatur und Controller spricht der ESBD sogar von Athleten. Der athletische Körper wird also künftig durch den athletischen Daumen ersetzt.

Laufen, werfen, schwimmen, turnen, Fußball spielen etc. – das scheint alles eher für die ewig Gestrigen zu sein. Der ESBD sieht seine sportlichen Aktivitäten, und das scheint auch die Bündnis/Grünen so zu beeindrucken, als die zukunftsorientierte gesellschaftliche Transformation des Sports. Einem umfangreichen Grundsatzpapier des ESBD ist zu entnehmen: „Was eSport als Sportart von anderen unterscheidet, ist die ihm inne liegende generische Digitalität. eSport ist damit die folgerichtige Entwicklung in einer Welt, die sich aus dem Zeitalter der physischen Arbeitsleistung hin zur digitalen Dienstleistungsgesellschaft entwickelt und in ihrem Kern statt über die Verfügung von Produktionsmitteln zunehmend über die Verwertung von Ideen und gedanklichen Schöpfungen gestaltet wird.“ Wer soll sich da noch physisch auf dem Sportplatz quälen, wenn die gedankliche Schöpfung beim Kriegsspiel so bequem im Sessel ausgelebt werden kann? Schwitzen wird zu einem Merkmal der gesellschaftlich Zurückgebliebenen. Ballernde Inspiration statt mühevolle Transpiration.

Ein fatales Signal

Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter und deren Mitspieler senden mit ihrer Initiative ein fatales Signal. Durch eSport soll nach Aussage des ESBD eine „Vorbildfunktion gegenüber einer jungen und großen Zielgruppe“ wahrgenommen werden. Deshalb ist diese sportliche Anerkennung verantwortungslos. Stundenlange Detonationen im Jugendzimmer werden dann künftig mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des täglichen Trainings begründet, um ein anerkannter Athlet zu werden. Körperliche Inaktivität, vom Kind bis zum Erwachsenen, erfährt damit eine Manifestation, deren Konsequenzen massiv sein werden. Neue Krankheiten werden evident, die bisher durch Bewegungsmangel initiierten Probleme werden intensiviert und die Entwicklung mentaler Folgen bleibt zunächst der Phantasie überlassen. Vielleicht kommt dann auch im Rahmen gesellschaftlicher Transformation die Veggie-Week weil das Heer der Sitzenden kaum noch Kalorien braucht. So geht Volksgesundheit.

Wer mit gesetzlich vorgegebenen Rezepturen, zivilgesellschaftlichen Ernährungsräten und Strafsteuern auf besonders wohlschmeckende Lebensmittel die Freiheiten der Bürger ohne eine evidente Beweisführung beschneidet, gleichzeitig die entscheidenden Probleme des inaktiven Lebensstils, die mit einer überzeugenden Studien-Vielfalt eindringlich dokumentiert werden, ignoriert und stattdessen Sitzen zu einer olympischen Disziplin machen möchte, sollte dringend etwas gegen die Unterzuckerung des Gehirns tun und an die frische Luft gehen, um die geistige Beweglichkeit zu erhöhen.


von Detlef Brendel

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