Es scheint paradox: Immer mehr Menschen gehen essen, die Restaurants sind voll trotz hoher Preise, die Bringdienste boomen. Dennoch erreichen Kochbücher hohe Auflagen und zählen zu den wichtigsten Umsatzbringern des Buchhandels. Rund 1740 neue Titel sind im Jahr 2018 laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels erschienen – jüngere Zahlen gibt es nicht. Und das ist noch nicht einmal der Spitzenwert: 2016 wurden in Deutschland sogar annähernd 2000 Titel rund ums Essen und Trinken publiziert.
Ich selbst habe in meinem Bücherregal zwei große Abteilungen für alles Gastronomische reserviert, inklusive Wein. Und ständig kommt etwas hinzu, denn Kochbücher zählen bekanntermaßen zu den beliebtesten Geschenken. Wenn man nicht gerade einen umweltbewussten Veganer mit einem Folianten über die Fleischzubereitung nach der schwer angesagten, wegen des hohen Abfallaufkommens leider sehr unökologischen Sous vide-Methode beglücken möchte, kann man mit einem Kochbuch als attraktive Gabe zu festlichen Anlässen wenig falsch machen.
Schwer und anklagend im Regal
Ein paarmal wird man erfahrungsgemäß darin herumblättern, doch dann stehen sie schwer und anklagend im Regal. Denn zum Kochen benutze ich die oft recht voluminösen Schmöker- der „Goldene Plachuta“, ein Geschenk notabene, kommt auf gute zwei Kilogramm – eher selten. Eigentlich dienen mir die meisten Kochbücher, ich hoffe meine Leser mit diesem Geständnis nicht zu enttäuschen, nur als Recherchehilfe für meine Artikel und als Lektüre fürs stille Örtchen. Wenn sie dann noch auf Französisch geschrieben sind wie eines meiner Lieblingskochbücher „La vraie cuisine francaise“ von Michel Olivier, dem einstigen Chefkoch des berühmten „Grand Vefour“ in Paris, haben sie zudem noch einen hübschen Lerneffekt.
Und die Rezepte und frechen gastronomischen Reportagen von Wolfram Siebeck, dem unvergessenen „Fresspapst“, sind ja eigentlich Literatur. Siebecks völlig unprätentiös aufgemachtes Kochbuch „Alle meine Rezepte“ ist das einzige, von dem ich wirklich profitiert habe und immer wieder profitiere. Im Internet kann man es antiquarisch kaufen – für 50 Euro aufwärts. Trotzdem würde ich sagen, die Investition lohnt sich.
Schöne, verlockende Titel tragen meine Kochfibeln: „Das große Buch vom Käse“, „Das große Buch der Desserts“, „Die echte italienische Küche“, „Kaiserliche Mehlspeisen“, „Bayerische Hausmannskost“ oder „Bocuse – Die neue Küche“. Interessant ist es auch, in historischen Kochbüchern zu blättern, etwa in Alexandre Dumas 1873 erschienenem „Wörterbuch der Kochkunst“. Doch am Ende landet (fast) immer wieder das ewig Gleiche auf dem Esstisch, selbst wenn man Tiefkühl- und Fertigkost (Pizza!) konsequent meidet.
Es gibt wohl nichts Beständigeres als einen bürgerlich-häuslichen Speiseplan. Ich habe mich immer gefragt, woran das liegt und bin zu dem Schluss gekommen, dass im täglichen Leben zwischen Arbeitsplatz, Supermarkt, Hausarbeit und Hundespaziergang eben meist die Routine den Sieg am Herd davon trägt. Man macht das, was schnell und zuverlässig ein einigermaßen akzeptables Ergebnis liefert, eben was man „drauf“ hat, selbst wenn man überhaupt keine Lust verspürt, nach einem anstrengenden Arbeitstag noch einmal den Elektroherd anzuschmeißen. Und mittags für Kinder zu kochen, die im Grunde genommen nur Pommes, Schnitzel und Pizza essen, ist eine Aufgabe, um die ich meine selige Mutter auch posthum nicht beneide.
Ambitionierter und innovativer gekocht wird vielleicht am Wochenende, wobei man keinesfalls auf den Gedanken verfallen sollte, Gäste mit neuen Kreationen zu beglücken, denn die Wahrscheinlichkeit eines spektakulären Reinfalls ist nicht gering zu veranschlagen. Ich erinnere mich noch gut an einen Freund, der sich zum Silvesteressen erstmals an einer „Charlotte au citron“ versuchte, einem technisch höchst anspruchsvollen Rezept der französischen Grande cuisine. Das Ergebnis überzeugte zwar im Geschmack, der allerdings von einer durchaus gewöhnungsbedürftigen Konsistenz überlagert wurde – beim Stürzen floss der schöne Kuchen nach allen Seiten davon.
Jeder kennt und fürchtet die notorische Frage „Was kochen wir morgen“, die in den seltensten Fällen nach einem Blick in eines von fünfhundert Kochbüchern beantwortet wird. Man wird nach einem Stoßseufzer („Keine Ahnung“) etwas genervt einen Vorschlag in den Ring werfen, worauf die Replik „Ach, das hatten wir doch erst letzte Woche“ nicht lange auf sich warten lässt. Am Ende eines kurzen Brainstormings wird man sich salomonisch schließlich auf das einigen, was man vorletzte Woche schon hatte. Solcherlei Beständigkeit hat etwas Beruhigendes.
Wie philosophierte Helmut Fischer alias Monaco Franze über das Kantinenessen? „Das Essen in der Kantine ist mir am meisten abgegangen in meiner Ehe. Die Soß! Man kriegt jeden Tag was anderes, bloß die Soß bleibt alliweil dieselbe. Da ist eine unheimliche Kontinuität drin, das braucht der Mensch. Die Soß, die bindet, die pappt die Tage und die Wochen zusammen und kaum schaust Dich um, schon ist ein Jahr vorbei.“
Dieser Artikel wurde für Tichys Einblick von Aufgegessen.info geschrieben – dem Blog für freien Genuss.