Tichys Einblick
Gutes Aussehen als Argument der Politik

Darf ein Dicker Deutschland regieren?

Der Dicke hat es dem Spötter schon immer leicht gemacht. Auch in der Politik – und erst recht im Wahlkampf.

Davon zeugen die zahllosen Medienberichte in den USA über die Beleibtheit des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Chris Christie, Gouverneur von New Jersey, wobei ausgerechnet eine (Talk-)Lady, Barbara Walters, im TV die Häme auf die Spitze trieb mit ihrer Frage: „Kann es sein, dass Sie nie Präsident werden, weil Sie zu fett sind?“

Die gleichen Blätter und TV-Sender beömmeln sich über das von Paparazzi aufgespürte Treffen von Hillary Clinton mit einem Diät-Guru. In Frankreich lästert man über Francois Hollande, der seit Amtsantritt wegen Mayonaise-Eiern und Schokokuchen im Elysée 15 Kilo zugenommen habe – und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sich Erzrivale Nicolas Sarkozy neu in Stellung bringt.

Ist Sigmar Gabriel zu dick für das Kanzleramt?

Hierzulande bekam nun gerade Sigmar Gabriel sein Fett weg, als etwas perfide die „Bild am Sonntag“ ihre Interviewpartnerin Katja Suding fragte: „Kann man mit einer Figur wie (…) Sigmar Gabriel noch Kanzler werden?“ Die sportliche FDP-Frau Suding (Boxen, Joggen, Fitnessstudio), die sich selbst neulich auf ihre schlanken Beine reduziert sah, antwortete ebenso maliziös, dass „es nicht an der Figur liegt, dass Gabriel niemals Kanzler wird.“ Um freundlich hinterherzuschieben, es sei für Menschen wie den SPD-Mann doch „sinnvoll, mehr Sport zu machen.“ Die FDP mit dem drahtigen Lindner, verpflanzten Haaren und langen Beinen auf schnellen Schritten zurück in den Bundestag – wird das klappen? Anders gefragt:

Ist Körperfett also wirklich ein Wahlkampfthema? Stehen die Wählerstimmen diametral zu den Kalorien?

Okay, Spitzenpolitiker haben einen Knochenjob, kaum ein anderer ist so ungesund. Egal, ob sie Joggen oder Rad fahren. Der Altkanzler – und kultige Kettenraucher – Helmut Schmidt war stets eher schlank, aber fiel während seiner Amtszeit etwa reportierte 100 Mal in Ohnmacht. George Bush sen., Football-, Baseball-, Fußball-, Tennis-, Squash- und Golfspieler, Angler und Jogger, erbrach sich einmal während eines Staatsbanketts in Tokio spektakulär auf der Brust des japanischen Premierministers Kichi Miyazawa, kurz bevor er das Bewusstsein verlor.

Von Politikern wird Disziplin, Selbstkontrolle erwartet. Behäbigkeit füttert gerade in diesen Zeiten nicht wirklich die Nation. Gerade in einem mächtig fetten Land wie Amerika, in dem jeder dritte Bürger übergewichtig ist. Seit den 70er Jahren werfen politische Wahlaspiranten dem Volk ihre Gesundheitsbulletins zu Füßen. Neu ist allerdings, mit welcher Unterwürfigkeit sie das tun. Jeb Bush, der gerade in den Umfragen hinter Hillary Clinton und dem schrägen Baumilliardär aka Showman Donald Trump liegt, wusste sich zuletzt nicht anders zu helfen, als mit seiner Paleo-Diät aufzutrumpfen. Hillary Clinton wiederum ließ vergangene Woche ihre bereitwillig der Schweigepflicht entbundenen Ärzte mitteilen, dass sie trotz Übergewicht und einer Pollen-Allergie topfit sei dank Yoga, Schwimmen sowie einer Gemüse-Obst-Eiweiß-Kost.

Politik in Zeiten der Size-Zero-Green-Smoothies

Die Frage ist: Muss Hillary in Zeiten mitunter alberner Gender-Debatten das wirklich tun? In Zeiten der dynamischen Size-Zero-Green-Smoothie-Generation?
In Zeiten, in denen die politischen Gegner – und Freunde! – mangels eigener Marketingideen fremde Körperpfunde als Spöttelthema ausmachen? So zum Beispiel der Franzose Nicolas Sarkozy , der vor gut drei Jahren nach einem Staatsdinner mit seiner guten Freundin „Onschela“ Merkel wenig galant ausplauderte, sie habe sich „zweimal vom Käsebuffet genommen, obwohl sie auf Diät war“.

Es gab aber auch Zeiten, in denen Politikern solche Boshaftigkeiten einfach am Wohlfühlbauch vorbeigingen. Helmut Kohl etwa ließ einfach die ewigen Geschichten über seine Leibspeise Saumagen über sich ergehen – und hätte einen Teufel getan, als sich zu rechtfertigen. Der schwergewichtige Winston Churchill, selten ohne Havanna-Zigarre, ein Glas Whisky oder seinen Lieblingschampagner Pol Roger gesehen, antwortete einmal dem britischen Feldherrn Montgomery („Ich bin Nichttrinker, Nichtraucher und hundertprozentig gesund“): „Ich trinke und rauche und bin zu 200 Prozent gesund.“

Was die nicht wirklich von Adipositas gefährdete Hillary Clinton und ihr Polit-Freund im Geiste Sigmar Gabriel falsch machen? Sie spielen einfach zu sehr mit dem leidigen Kilo-Kram. Hillary, mit ihren Gesundheitsattesten lenkt vortrefflich von wichtigeren Themen wie ihrer Email-Affäre ab. Sigmar Gabriel kokettiert zuletzt etwas albern und mädchenhaft im ZDF-Sommerinterview mit dem Übergewichts-Mitleidsbonus: „Meine innere Mitte ist dann hoffentlich schmaler als heute.“ Motto: „Ich bin einer wie Ihr!“

Vielleicht sollte er sich doch lieber mal ein Eigen-PR-Pfündchen von Angela Merkel abschneiden, die nicht im Leben darauf kam, öffentlich auf die Debatte vergangenes Jahr um ihre verlorenen (und wiedergefundenen) Kilos einzugehen. An der unkaputtbaren Mutti Merkel prallen solche Banalitäten schlichtweg ab.

Sigmar Gabriel, der etwas sprunghafte Ambitionierte im falschen Ministerium, dagegen kämpft womöglich mit ganz anderen Problemen. Nämlich damit, dass er politisch gewogen – und als zu leicht befunden wurde.

Die mobile Version verlassen