Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sein Ressort erweitert. Er will nun künftig auch Verantwortung als für die Gesundheit verantwortlicher Minister übernehmen. Dabei setzt er zu einer gründlichen Rodung in der deutschen Medien- und Marketing-Landschaft an. Er will die deutschen Kinder schlanker und gesünder machen. Dazu will er Werbung für solche Produkte verbieten, die aus seiner Sicht für die Ernährung von Kindern und Jugendlichen ungeeignet sind. Die Erkenntnis, dass Schokolade, Cerealien und Joghurts gut schmecken, funktioniert bei Kindern und Jugendlichen nach dem Prinzip der Mund-zu-Mund-Propaganda. Das ist nicht nur ein Erfahrungswert von allen, die in ihrem Leben mit Kindern zu tun gehabt haben. Es ist eine Erkenntnis, die bei den meisten Menschen lebenslang bleibt.
Sogar Strafsteuern machen nicht schlank
Die Erfahrungen in England zeigen, dass auch an der Sinnhaftigkeit einer Strafsteuer, die direkt auf den Konsum von zuckerhaltigen Getränken wirken soll, gezweifelt werden muss. Eigentlich müsste deren Effekt deutlich sichtbar werden, weil der Prozentsatz übergewichtiger Kinder und Jugendlicher in England erheblich höher ist als in Deutschland. Die Realität ist jedoch ernüchternd. Am 26. Januar 2023 hat der SPIEGEL ein Interview mit Nina Rogers, Epidemiologin an der Cambridge University, publiziert. Sie erforscht, wie sich die Zuckersteuer auf Softdrinks in Großbritannien auf die Gesundheit von Kindern auswirkt. Ihre Aussagen sind desillusionierend. „Die stärkste Veränderung fanden wir bei Mädchen im Alter von zehn bis elf Jahren. Bei ihnen nahm das krankhafte Übergewicht um 1,6 Prozent ab.“
Da muss man schon sehr sorgfältig messen und rechnen, um diese Gewichtsreduktion zu ermitteln. Ein gewisser Unterschied zeigte sich in sozial benachteiligten Gegenden. „Bei diesen Kindern ging die Zahl der adipösen Mädchen in der Altersgruppe um 2,4 Prozent zurück. “Der Aspekt der sozialen Benachteiligung ist auch der einleitende Satz im Original der Studie der Cambridge University. Er lautet: „Zuckergesüßte Getränke sind die Hauptquelle für Zuckerzusätze bei Kindern, wobei ein hoher Konsum häufig in benachteiligten Gebieten beobachtet wird, in denen auch die Prävalenz von Fettleibigkeit am höchsten ist.“ Das Problem hat also offenbar etwas mit dem Lebensstil zu tun. Besonders ernüchternd ist die Aussage von Nina Rogers, dass Veränderungen in Folge der Zuckersteuer primär bei Mädchen im Alter von zehn und elf Jahren festgestellt werden konnten. Damit erschöpft sich schon der Effekt einer Strafsteuer.
Özdemir braucht weder Wissenschaft noch Forschung für seinen forschen Angriff auf die Meinungsfreiheit und die Ernährung. Er hat genuines Wissen, das auf der NGO-Agitation aufbaut. In seiner Pressekonferenz am 27. Februar 2023 versicherte Cem Özdemir, dass ihm klar sei, dass es für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen keine monokausalen Zusammenhänge geben würde.
Wie bitte? Gleichzeitig treibt er die Monokausalität auf die Spitze, indem er behauptet, mit massiven Einschränkungen von Werbung und Marketing einen Effekt erreichen zu wollen. Mit seinem perfekt trainierten Dackelblick schwingt Özdemir sich zur nationalen Vaterfigur auf und nimmt den Eltern die Verantwortung für ihren Nachwuchs. Er will sie nach eigenen Worten entlasten. Den nachvollziehbaren Hinweis, dass die Eltern sich um ihre Kinder kümmern sollen, und dies auch bei der Ernährungserziehung, bezeichnet er beiläufig als eine Ausrede. Damit wird die elterliche Verantwortung für die Erziehung der Kinder in Frage gestellt. Was seit Generationen prinzipiell gut funktioniert hat, ist nach Einschätzung des Ministers eine billige Ausrede, um die Durchsetzung der Staatsgewalt bei der Heranbildung von Kindern und Jugendlichen in Frage zu stellen.
Hier offenbart sich ein mit Hybris gepaartes Verständnis von Politik, für dessen grundsätzliche Fehlorientierung es zahlreiche eindrucksvolle Beispiele gibt. Dieser Aspekt hat auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht Bedeutung. Es existiert nach Art. 6 Abs. 2 S.1 GG ein elterliches Erziehungsprimat, das in Verfassungsrang steht. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass „Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ ist. Im Gegensatz zu Herrn Özdemir, der sich zum Übervater der Nation aufschwingen möchte, geht die Verfassung davon aus, dass in der Regel das Wohl des Kindes am besten durch die Eltern zu verwirklichen ist.
Orientierung nach unten und die Ignoranz nach oben
Özdemir liefert mit seinen Ausführungen zu den geplanten Werbebeschränkungen gleich ein entscheidendes Kriterium für deren Unzulässigkeit. Im Zusammenhang mit der Beschneidung der Erziehungskompetenz der Eltern weist er darauf hin, dass insbesondere Eltern aus sozial schlechteren Lebensverhältnissen und bildungsferne Eltern in der Frage einer sinnvollen Ernährungserziehung ihrer Kinder überfordert sind. Für ein Gesetzesvorhaben, wie es von ihm geplant wird, ist allerdings die „Herstellung gleicher Lebensverhältnisse“ ein wesentliches Kriterium.
Das BMEL führt für die Beschränkung von an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung die Schutzerwägung zur Vermeidung ernährungsbedingter Krankheiten bei Kindern an. Die Behauptung weckt zunächst Sympathie. Relevant ist allerdings die Eignung der Maßnahmen zur Erreichung des verfolgten Zwecks. Und für diese Erreichung gibt es keine wissenschaftlich begründeten Fakten und Erkenntnisse, sondern nur ideologisch basierte Vorstellungen, die einer Plausibilitätskontrolle kaum standhalten dürften. So müsste insbesondere eine Kausalbeziehung der Bewerbung von spezifischen Lebensmitteln sowie ein daraus resultierender Konsum in der Ernährung von Kindern nachgewiesen werden. Kinder müssten also nach der Wahrnehmung betreffender Werbeinhalte die beworbenen Produkte kontinuierlich und ungeachtet der elterlichen Aufsicht in einer ungesunden Menge verzehren. Es existieren keine Studien, die diese Annahme stützen würden.
Eine große Irreführung ist es in diesem Zusammenhang, wenn Ideologen wie Özdemir oder der ehemalige Foodwatch-Aktivist Oliver Huizinga behaupten, über Daten und Erkenntnisse zu verfügen. Sie verweisen dann auf ein unwissenschaftliches Elaborat des Hamburger Rechenkünstlers Tobias Effertz zu „Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Internet und TV“. Effertz liefert eine Auflistung von Reichweiten und Frequenzen, die lediglich dokumentieren, dass Kinder Werbung rezipieren. Auf dieser Basis berechnet er subjektiv eine angebliche Konfrontation mit Werbespots für ungesunde Lebensmittel. Das Zahlenwerk dokumentiert lediglich, dass Kinder viel Zeit körperlich inaktiv vor Bildschirmen verbringen. Sitzen kann in der Tat dick machen. Keine Kausalitäten oder Korrelationen gibt es allerdings zu der interessanten Frage, was die durch Werbung traktierten Kinder tatsächlich essen. Effertz unterstellt einfach eine Gehirnwäsche durch die Werbewirtschaft.
Es existieren viele Studien – keine zur dicken Werbung
Im Gegensatz zu der naiven Vorstellung des BMEL, durch Restriktionen bei der Werbung das Gewicht von Kindern und Jugendlichen senken zu können, existiert eine Vielzahl von Studien, aus denen sich Gründe für die Präferenzen von Kindern und Teenagern bei der Auswahl ihrer Nahrungsmittel ablesen lassen. Dies sind Untersuchungen zu den Prävalenzraten für Übergewicht in sozial benachteiligten und bildungsfernen Gruppen. Eindrucksvolle Daten und Fakten existieren zu den signifikanten Unterschieden bei Mädchen und Jungen. Die enge Korrelation im Familienkreis ist untersucht worden. Selbst zum Einfluss des Freundeskreises auf das individuelle Konsumverhalten gibt es Untersuchungen. Es existiert eine Vielzahl von Studien zu den unterschiedlichen Kausalzusammenhängen und den verschiedenen Ursachen von Bewegungsmangel bis zum sozial-ökonomischen Status und Bildungsgrad sowie zur Adaption von Verhaltensweisen im sozialen Umfeld.
Die Vorstellungen des BMEL ignorieren nicht nur die Vielzahl der Fakten, sondern sind ausgesprochen naiv. Würde die Werbung für Seifen und Deos eingestellt, wäre die Konsequenz wohl kaum eine unhygienische und stark riechende Bevölkerung. Hier wird eine Politik verfolgt, die von den eigentlichen Aufgabenstellungen ablenkt. Wie wäre es mit einem fundierten Programm zur Information über Lebensstil und Ernährung? Wie müsste ein solches Programm gestaltet werden, um speziell auch sozial schwächere und bildungsferne Gruppen in der Gesellschaft zu erreichen? Wie könnten Kinder und Jugendliche für einen vitaleren Lebensstil mit körperlicher Bewegung begeistert werden?
Es existieren viele Aufgaben, mit denen zu mehr Gesundheit maßgeblich beigetragen werden könnte. Mit einer Zeitenwende und einem Doppel-Wumms wäre viel zu erreichen. Aber das erfordert eine sachliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Problemen und erhebliche Anstrengungen bei deren Lösung. So machte es sich ein Politiker wie Özdemir einmal mehr recht einfach und präsentiert unter dem Applaus von NGOs und anderen wohlmeinenden Wirtschaftsunternehmen, zu denen nicht zuletzt auch die Interessenverbände der Mediziner gehören, populistische Argumente und Maßnahmen. Das bringt zwar nichts, aber der Minister hat zumindest einen guten Eindruck hinterlassen.
WHO: Korruption statt Kriterien
Bei der Definition der Produkte für geplante Werbe-Restriktionen macht das BMEL es sich einfach. Man nimmt Bezug auf das Nährstoffprofil-Modell des Regionalbüros für Europa der WHO. Dieses Modell schlägt für weitreichende Kategorien umfassende Werbe- und Marketingverbote vor, ohne dass es dabei auf bestimmte Nährwertkriterien und valide Grenzwerte ankommt. Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Modells sind angebracht. Das gesamte Thema der angeblichen Adipositas-Epidemie ist bei der WHO durch eine nachgewiesene Korruption mit Millionen-Zahlungen aufgebaut worden.
Cem Özdemir hat bereits 2013 als Vorsitzender der Grünen mit dem Veggie-Day ein Fiasko bei der Durchsetzung staatlich vorgeschriebener Ernährung erlebt. Jetzt versucht er es durch die kalte Küche zu erreichen. Parallelität der Strategie. Mit dem Ernährungsprogramm des BMEL, noch ein Projekt des Volkserziehers, soll vegetarische und vegane Ernährung durchgesetzt werden und für unliebsame Produkte werden Marketing- und Werbeverbote erlassen. Das Volk soll nur essen, was der grüne Minister auf den Tisch stellt. Özdemir schwingt sich auf, die Bürger zu entmündigen und den Eltern ihre Erziehungskompetenz abzusprechen. Aber er ist in seiner Funktion als selbst ernannter Gesundheitsminister schließlich noch relativ neu.
Bei seinem neuen Aufgabengebiet könnte dem Minister der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erste Hilfestellung bieten. Er sollte dessen Ausarbeitung vom 20. Juli 2010 lesen. Werbebeschränkungen wird darin eine recht deutliche Abfuhr erteilt. Auch im Jahr 2010 haben bereits Studien zu Werbebeschränkungen in Großbritannien gezeigt, dass soziale, umweltbedingte und kulturelle Faktoren für Übergewicht bei Kindern relevant sind. Ein Werbeverbot für Lebensmittel sei weder verhältnismäßig noch für sich allein wirksam. Der Wissenschaftliche Dienst stellt fest, dass es schwierig ist, die Faktoren, deren Gewichtung und das Zusammenwirken zu erfassen, die letztlich das Konsumentenverhalten beeinflussen.
Sachlich und auch rechtlich kompetenzfrei
Detailliert geht der Wissenschaftliche Dienst auch auf die komplexe Rechtslage in Deutschland ein. Sowohl TV-Anstalten als auch die werbende Wirtschaft haben einen ganzen Katalog von Regeln und Bestimmungen zu berücksichtigen. Neben dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Bundesländer, Jugenschutzrichtlinien der Landesmedienanstalten, Werberichtlinien der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstalter sowie nicht zuletzt das Jugendschutzgesetz.
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages verweist in seiner Ausarbeitung sowohl auf die medienrechtlichen Rahmenbedingungen als auch auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Kommunikationsgrundrechte. Insbesondere beschäftigt sich der Dienst mit den Grenzen der Gesetzgebungskompetenz, die dem Bund hier gesetzt sind. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Bundesverfassungsgericht, Bundesverwaltungsgericht und auch sachlich kompetente Literatur zu einem einheitlichen Ergebnis kommen: Dem Bund kann aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 GG keine Kompetenz für den Jugendschutz im Bereich der elektronischen Medien zugesprochen werden.
Werbeverbote sind zugleich Kommunikationsverbote, die nicht nur für die Wirtschaft negative Folgen haben, sondern ebenso für eine freie Information in einer demokratischen Gesellschaft. Wenn ein Bundesministerium einen gravierenden Schritt beabsichtigt wie den massiven Eingriff in die Freiheit der Kommunikation, ist dafür eine wissenschaftliche Datenbasis unabdingbar. Es reicht nicht, ein allgemeines Stimmungsbild aufzugreifen, das von NGOs und auch Massenmedien, oft ohne ausreichende empirische Belege, den Eindruck vermittelt, der Anteil übergewichtiger Kinder und Jugendlicher würde kontinuierlich steigen. Schon das ist nach aktuellen Studien nicht zutreffend. Noch weniger zutreffend ist die Behauptung, dass Werbung dick macht.
Prof. Lucia A. Reisch, Lehrstuhl für Behavioural Economics and Policy an der Universität Cambridge, kommt mit ihrem Forscherteam nach Auswertung umfassender Studienrecherchen zu dem Schluss, dass die Gesamtwirkung von Werbung auf das Ernährungswissen und die Vorlieben von Kindern eher gering ist. Ernährungsentscheidungen von Kindern und ihren Familien werden weit mehr von Einstellungen und Vorlieben als von erworbenem Wissen geprägt. Werbung ist kein isolierter Einflussfaktor, sondern muss im Zusammenhang mit dem familiären Einfluss sowie dem Einfluss von Gleichaltrigen gesehen werden. Die Entscheidung von Kindern für ein bestimmtes Nahrungsmittel ist komplex und nicht auf eine einzige Determinante zurückzuführen. So betonen Wissenschaftler, dass Lebensmittelwerbung bei Kindern nicht den Konsum beeinflusst, sondern lediglich dazu dient, Markenpräferenzen zu bilden.
Wenn im BMEL wissenschaftliche Recherche zu den tatsächlichen Fakten betrieben würde und zudem die Rahmenbedingungen der Gesetzgebungskompetenz analysiert würden, die spätestens vor dem Verfassungsgericht relevant werden, dürften Zweifel an der geplanten Volkserziehung aufkommen. Aber Ideologie schlägt Fakten. Es ist zu hoffen und durchaus auch zu vermuten, dass Cem Özdemir in der Tradition des Veggie-Days einmal mehr scheitern wird. Einen Lichtblick für die demokratische Freiheit lassen die Spekulationen durchschimmern, dass er nach versuchtem Kahlschlag in der Bundespolitik als Nachfolger von Winfried Kretschmann nach Baden-Württemberg geht. Dort kann er sich dann mit kalorienhaltigen Speisen wie Maultauschen, Spätzle und Schupfnudeln beschäftigen. Der Mann hat Aufgaben.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.