Der Thienemann Verlag knickt ein vor dem „antirassistischen“ Zeitgeist: Ausgerechnet in Michael Endes „Jim Knopf“-Reihe wütet die Zensur, und das, obwohl diese Menschenfreundlichkeit atmenden Kinderbücher gerade das Gegenteil von Ausgrenzung und Diskriminierung postulieren. Der Scheinriese, der wegen seiner Größe keine Freunde hat, der Halbdrache, das schwarze Findelkind, die chinesische Prinzessin: Niemand soll wegen Äußerlichkeiten abgewertet werden, jeder wird gewürdigt um seiner inneren Werte willen.
An dieser Stelle erlaube man mir eine biographische Anmerkung: Ich habe als Dunkelhäutige bereits als junges Kind unter rassistischen Beschimpfungen und Beleidigungen gelitten. In Michael Endes Welten, die ich als Bücherwurm ausgiebig frequentierte, begegnete mir Rassismus indes niemals.
Dass der woke Wahn immer unverfrorener um sich greift, ist nichts Neues, wie die zum Teil hanebüchenen Verschlimmbesserungen der Kinderbücher Roald Dahls im angelsächsischen Raum zeigen.
Nun hatte Michael Ende selbst bereits Änderungen erbeten; die ursprünglich in China angesiedelten Abenteuer wurden ins Fantasieland „Mandala“ verlegt. Allerdings ist diese Änderung nicht nur auf den Wunsch des Autors selbst zurückzuführen, sie ist auch nachvollziehbar, weil so die gesamte Handlung in eine Fantasiewelt rückt, und nicht aus dem fiktiven Lummerland ins „echte“ China führt. Eine Entscheidung, die die Kongruenz bewahrt, während die fernöstliche Atmosphäre selbst unangetastet bleibt, ebenso wie der weiterhin klar als chinesischer Bonze erkennbare „Pi Pa Po“.
Abgesehen von der Humor- und Fantasielosigkeit solcher Eingriffe ist dieser Umgang mit literarischen Werken generell problematisch. Übermalen wir Holbeins Porträts, um den Dargestellten zeitgemäße Kleidung zu verpassen? Schreiben wir Mozarts Requiem um, damit es klingt wie ein Song von Taylor Swift? Zum andern sind Bücher durchaus auch historische Quellen. Sie öffnen uns eine Tür zum Denken vorhergegangener Generationen, zu Lebens- und Erfahrungswelten – wenn wir es denn zulassen. Diese Tür wird mit Karacho zugeworfen, weil der eigene Tellerrand als Horizont gilt.
Unter woken Vorzeichen ist dies zudem nichts anderes als Manipulation und Geschichtsfälschung. Unser kulturelles Gedächtnis wird ausradiert, der Mensch wird zum heimatlosen, unbeschriebenen Blatt Papier, dem man aufprägen kann, was man will: Die sozialen Medien hallen derzeit von Gelächter wider, weil Googles AI-Programm Gemini bei Anfragen nach historischen Darstellungen von Wikingern oder den Gründervätern der USA jene als Schwarzafrikaner darstellte. Noch ruft diese plumpe Fälschung Heiterkeit hervor; doch wie lange noch? Wird nicht schon die nächste Generation kaum noch dazu in der Lage sein, zwischen plausibler und frei erfundener Darstellung zu unterscheiden, wenn schon die Sichtbarkeit eines Unterschieds „rassistisch“ ist?
Und dies bringt uns zum dritten Punkt, der insbesondere bei Kinderliteratur fahrlässig ist: Manipulationen wie diese nehmen der Welt ihre (Wieder-)Erkennbarkeit, die Kinder doch gerade erst entdecken. Um das, was uns umgibt, sinnvoll einordnen zu können, müssen wir es benennen dürfen. So erfassen wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die Angst vor „stereotypen Beschreibungen“ zeigt, dass hier nicht der Autor korrigiert oder Kinder geschützt werden sollen. Vielmehr soll das eigene spießige, provinzielle Weltbild therapiert werden. Denn nur, wer insgeheim nicht dazu in der Lage ist, zwischen Stereotyp und Individuum zu unterscheiden, nur wer in sich Wertesysteme trägt, die bestimmte Augenformen oder Hautfarben abwerten, kann an neutralen Beschreibungen Anstoß nehmen.
Exemplarisch für die Absurdität dieser Säuberungsaktion steht so das Wort „Mandelaugen“ – eine neutral bis positiv besetzte Alternative zum verletzenden „Schlitzauge“. Warum, um Himmelswillen, will man Kindern Begriffe zur genaueren Erfassung der Welt vorenthalten, obwohl diese nicht einmal ansatzweise diskriminierend sind? Abgesehen davon müssen Kinder auch den bösen, menschenfeindlichen und diskriminierenden Worten begegnen – allein schon, um zwischen richtig und falsch unterscheiden zu lernen, um besser vorbereitet zu sein, wenn sie ihnen im echten Leben begegnen.
Indem man Kindern die Ausdrucksfähigkeit nimmt, zwingt man sie in die Sprachlosigkeit: Das Wahrgenommene muss namenlos bleiben, in der Hoffnung, dass es mit dem Namen irgendwann auch die Existenz verlieren möge. Wenn wir nur nicht sagen, dass Menschen unterschiedlich aussehen, werden wir sie irgendwann auch als gleich und gleichförmig wahrnehmen. Das Ergebnis dieses Trugschlusses ist nicht weniger Diskriminierung, sondern eine graue, eintönige, konturlose Welt.