Tichys Einblick
Grabkammer der Unterhaltungsindustrie:

Indiana Jones und der letzte Sargnagel

Der neue Indiana Jones ist viel zu lang, dekonstruiert seinen Protagonisten und baut eine potenzielle Nachfolgerin auf, gegen die selbst andere Mary Sues wie Sympathieträgerinnen erscheinen. Ein Balanceakt zwischen Nostalgie, Wokeness und Abgesang, der letztlich nichts davon wirklich gut macht.

IMAGO / i Images

Es musste kommen und es kam. Nachdem Star Wars bereits durch den woken Disney-Fleischwolf gedreht wurde, war es unvermeidlich, dass auch die Indiana Jones Reihe, die bereits seit dem ungeliebten 4. Teil am Krückstock lief, ein letztes Mal recycelt würde um zwar kein Geld mehr zu verdienen, aber zumindest einen maskulinen Archetypen zu dekonstruieren.

Die Premiere eines neuen Indiana Jones Films wäre früher ein großes Fest gewesen. Doch als ich am Donnerstag um 14 Uhr in die erste öffentliche Vorstellung des neuen Indy-Films im Magdeburger Cineplex ging, war der Kinotempel so ausgestorben wie eine jener verwunschenen Ruinen, in denen der legendäre Archäologe in der Vergangenheit auf Schatzsuche ging. Gewiss, die Tageszeit ist „ungünstig“ und selbst wenn Indiana Jones Fans weniger fanatisch sind als Star Wars Jünger, so hätten sich früher sicherlich einige Leute mehr eingefunden. Ich, hingegen, teilte mir den großen Kinosaal mit 2 weiteren Besuchern.

Bereits in den letzten Wochen und Monaten wollte keine große Vorfreude auf diesen Film aufkommen. Die Tatsache, dass Disneys politische Stoßrichtung bereits seit Jahren hinlänglich bekannt ist, ist nur einer der Gründe dafür. Es war bekannt, dass Indiana Jones mittlerweile in den 1960er Jahren angekommen ist, die Mondlandung vorkommt, er von einer jungen Patentochter begleitet wird, die ihn – wie alle vermuteten – wohl konstant darüber belehren würde, wie sehr er aus der Zeit gefallen ist. Aber zumindest gab es Nazis. Das führt zwar angesichts der Zeitepoche zu Augenrollen über die Einfallslosigkeit, war aber andererseits Garant dafür, dass es um die Wurst ging.

Nun, eines vorweg: Angesichts einer Erwartungshaltung, die gegen Null tendierte, muss man sagen, dass der Film besser ist, als zu befürchten war. Das will aber nicht viel heißen, außer, dass Disney mittlerweile gelernt hat, sich die offensichtlichste Besserwisserei ihrer „Girl Boss“ Heldinnen etwas zu verkneifen. Bei einem kolportierten Budget von über 300 Millionen Dollar, spürt man förmlich den Angstschweiß der Filmemacher, die einerseits von der ideologischen Erwartungshaltung der berüchtigten Produzentin Kathleen Kennedy (die auch bereits die Star Wars Franchise in den Boden rammte) getrieben sind und andererseits versuchten bewährte „Indy-Elemente“ wieder zu beleben, um dem Publikum einen unterhaltsamen – und leidlich erfolgreichen – Abenteuerfilm zu bieten.

Wenn Wokeness nicht das einzige Problem ist

Doch zusätzlich zu diesen wohl dokumentierten Problemen des modernen Hollywoodkinos, gesellt sich im Falle von Indiana Jones 5 ein weiteres Problem hinzu: der 80-jährige Harrison Ford. Dazu muss man sagen, dass ich mir nur wünschen könnte, mit 60 in der körperlichen Verfassung zu sein, in der Ford mit 80 ist. Dennoch stellt es den Charakter des Indiana Jones vor ein Dilemma. Denn Indiana Jones ist, von seiner grundlegenden Konzeption her, zunächst einmal ein Archetyp des Abenteurers einer bestimmten Epoche. Es ist hinlänglich bekannt, dass George Lucas sich bei der Konzeption von Indiana Jones von den sogenannten „Serials“ der 30er und 40er Jahre inspirieren ließ, kurze Abenteuergeschichten, die wöchentlich im Kino liefen und in denen es mal um Cowboys, dann wieder um Piraten, oder sonstige klassische Abenteuerhelden ging, die jeweils die Bösewichte besiegten, den Schatz fanden und im Vorübergehen auch noch die Frauenherzen brachen. Niemand in diesen Geschichten wollte jemals erfahren, was diese Helden in ihrem Ruhestand taten, denn es ging um eine idealisierte Existenz im besten Mannesalter, den Wunschtraum aller Männer nach einem Leben voller Abenteuer und großer Taten.

Mit James Mangold wählte Disney, nach dem prophetischen Ausscheiden von Steven Spielberg, einen Regisseur, der mit dem Film „Logan“ bereits ein gefeiertes Alterswerk eines Superhelden ablieferte. Offensichtlich hoffte man bei Lucasfilm, dass Mangold Indy einen ähnlich standesgemäßen Abschied bereiten könnte. Doch die Sache hat einen mehr wie offensichtlichen Haken: Hauptdarsteller Hugh Jackman war bei Erscheinen von Logan 2017 noch keine 50 Jahre alt und somit nochmal 15 Jahre jünger als Harrison Ford es im ebenfalls bereits 15 Jahre alten Indiana Jones 4 war. Hinzu kommt, dass Hollywood sich alten Protagonisten – womöglich resultierend aus der eigenen Unfähigkeit alternder Produzenten sich mit ihrer Sterblichkeit abzufinden – prinzipiell nur mehr auf eine erniedrigende und elende Art und Weise nähern kann. Das Happy End aus Teil 4, in dem Indiana Jones die vermeintliche Liebe seines Lebens, Marion Ravenwood aus Teil 1, heiratet und seinen Sohn Mutt anerkennt, wird bereits zu Beginn des Films zunichtegemacht. Stattdessen wurde Indy von seiner Frau verlassen (warum exakt, begreift das Publikum nie), sein Sohn starb in Vietnam (eine bequeme Lösung um Shia LaBeouf aus dem Film zu schreiben), seine Studenten hören ihm nicht mehr wirklich zu und er ergibt sich grantig dem Suff, bis seine besserwisserische Patentochter Helena (Phoebe Waller-Bridge) ihn aus der Lethargie reißt und ihn über die Bedeutsamkeit seiner eigenen vergangenen Abenteuer aufklärt.

Aber nachdem Indy als alternder Held eingeführt wurde, begibt sich der Film auf genau jene Action-Achterbahnfahrt, die man von einem Indiana Jones Film erwartet. Der 80-Jährige Ford schlägt dabei nach wie vor junge Männer K.O., auch wenn er es weniger häufig tut als in der Vergangenheit. Dennoch bleibt vom Trio der Protagonisten – Opa-Indy, Helena und einem Kind – niemand mehr übrig, dem diese körperlichen Leistungen auch mit viel Fantasie zuzutrauen wären.

Verstehen, was Indy ausmacht, und dennoch dagegen verstoßen

Für eine lange Zeit kennt der Film nur zwei Modi: Exposition und Action. Nach einer äußerst umfangreichen Einstiegssequenz, in der man den digital verjüngten Harrison Ford (ein dystopischer Vorausblick auf die Zukunft der Unterhaltungsindustrie) sich durch Nazihorden im 2. Weltkrieg prügeln sieht, erfolgt der Einstieg in die Gegenwart der 60er Jahre, in der Helena versucht innerhalb aufeinanderfolgender Szenen im Schnelldurchgang zu erklären, warum das – ehrlich gesagt uninspiriert anmutende – Artefakt wichtig ist, warum Indy nochmal in ein Abenteuer muss und dieser sich zunächst sträubt. All das wirkt schematisch und vor allem altbekannt. Daran knüpft sich die vielleicht wichtigste Frage: Ist Indiana Jones eine Reihe stets erneuerbarer Klischees und Tropen rund um einen relativ eng gefassten Archetypus, oder ist er doch ein Charakter mit nachvollziehbaren Stärken und Schwächen und einer Entwicklung?

Denn indem der Film zwar erkennt, welche Motive und Szenen „typisch Indy“ sind, und diese inszeniert, präsentiert er sich als zeitloses Phänomen, eines von vielen Abenteuern eines Helden, dem Woche für Woche und Jahr für Jahr solche Erlebnisse widerfahren, ohne dass sie ihn nachhaltig prägen und verändern. Doch wollte man dies, dann hätte man sich schon längst für eine Neubesetzung des Charakters entscheiden müssen, und man könnte, theoretisch bis in die Unendlichkeit, wie bei James Bond die Abenteuer von Indiana Jones ausschlachten. Dies entspräche auch dem ursprünglichen Charakter der zugrunde liegenden Serials.

Aber gleichzeitig beansprucht das Werk, auch der Abschluss einer langen Geschichte zu sein. Indem Indiana Jones als alt und aus der Zeit gefallen gezeigt wird, müssen die Erfahrungen der früheren Filme nachhaltigen Einfluss auf den Charakter ausgeübt haben. Eigentlich war das sogar spätestens seit Teil 4 deutlich, genau genommen aber bereits in der ursprünglichen Trilogie angelegt. Denn die Crux des rein archetypischen Ansatzes bei Indy liegt darin, dass vor allem der erste und dritte Teil der Serie schlicht und ergreifend bereits zu gut waren, da sie das rein Archetypische überschritten und damit dem Charakter eine Tiefe verliehen – Indiana Jones als Vertreter der „Lost Generation“ mit all den einhergehenden Zwängen und ihrer Entwurzelung, sowie die komplexe Beziehung zu seinem Vater in Teil drei – die es schwierig machte, zum simplen Archetypus zurückzukehren. Diese Schwierigkeit zeigte sich bereits exemplarisch an Teil zwei der Serie, der darunter litt, dass er sich vielmehr auf die Wurzeln der Serials berief und weniger Charakterentwicklung bot.

Ebenso liegt hier auch der Grund für die Wiederkehr der Nazis in Teil fünf begraben. Die Drehbuchautoren erkannten nämlich sehr gut die essenzielle Bedeutung der Nazis als ultimativen Widersachern von Indy, denn sie stellten in ihrer fast schon mystisch anmutenden Effizienz (auch wenn sie sich letztlich wie Sturmtruppen in Star Wars verhielten) die größtmögliche Bedrohung dar. Auch boten Teil eins und drei mit der Bundeslade und dem heiligen Gral bereits zwei der bekanntesten und bedeutendsten mythologischen Artefakte der Geschichte, sodass von Anfang an viel mehr auf dem Spiel stand, als nur ein simples Abenteuer um einen Schatz (wie z.B. in den Quartermain Filmen). Ob nun Kristallschädel als Objekt der Begierde oder Sowjets als Widersacher – diese konnten nur verblassen gegenüber dem ultimativen Preis und der ultimativen Bedrohung.

Insofern haben die Drehbuchautoren gut begriffen, was eine gute Indiana Jones Geschichte benötigte, allerdings fehlte ihnen dazu der passende – sprich: junge – Indiana Jones. Ergo steckte man einen alten Mann samt nerviger Begleitung in ein Abenteuer für einen jungen Mann, dessen dramaturgische Schwächen durch in die Länge gezogene und übertriebene Action-Szenen kompensiert werden mussten. Am Ende jedoch bot sich die Chance, nachdem man pflichtbewusst einen Indiana Jones Film nach Schema F abgeliefert hatte, zum Alterswerk zurückzukehren und dem Charakter womöglich doch noch einen würdigen Abschluss zu verleihen. Denn – Spoileralarm – nachdem der angeschossene Indy im Nazibomber zurück in der Antike bei der Schlacht bei Syrakus gelandet ist (klingt absurd wenn man es so liest, ist aber dennoch noch einer der unterhaltsameren Teile des Films), möchte Indy plötzlich in der Vergangenheit bleiben und seine letzten Stunden im Austausch mit Archimedes verbringen. Aber Helena kann dies nicht gestatten und schlägt Indy kurzerhand K.O., bevor dieser wieder in seinem Appartement in der Gegenwart der 60er Jahre erwacht.

Dieses Ende erweckte einigen Unmut bei den Zusehern, zumal durchsickerte, dass es wohl mehrfach überarbeitet wurde. So gab es wohl zwischenzeitlich bis zu sechs verschiedene Enden, in denen Indy zwar in der Vergangenheit starb, aber Helena seinen Hut aufnahm und in Indys Fußstapfen trat. Diese Version dürfte beim Testpublikum regelmäßig durchgefallen sein, da niemand – wirklich absolut niemand – Phoebe Waller-Bridge als Nachfolgerin von Indiana Jones sehen möchte. Anstatt aber diesen offensichtlich unbeliebten Charakter beiseite zu legen und Indiana Jones jenen tröstlichen Abtritt, umgeben von einem der Helden seiner Archäologenkarriere, zu gönnen, musste Indiana Jones überleben – frei nach dem Motto: Wenn das Publikum der Frau nicht die Nachfolge gönnt, dann gönnen wir Indy nicht den vollendeten Tod.

Wer sich zwischen Nostalgie und Alterswerk nicht entscheiden kann, scheitert an beidem

Blickt man zurück auf die Geschichte der Indiana Jones Filme und stellt sie in Relation zur zweiten großen Erfindung von George Lucas, Star Wars, so erkennt man einige interessante Parallelen, aber auch Unterschiede. De facto erfand George Lucas mit diesen beiden Trilogien die popkulturelle Nostalgie in den späten 70ern und frühen 80er Jahren. Beide Serien waren inspiriert von Serials und der vergleichsweise unschuldigen und schematischen Unterhaltung der 30er und 40er Jahre. Diese Nostalgie war Lucas‘ Antwort auf die dunkleren und erwachseneren Erzählungen des New Hollywood Kinos der 70er Jahre. Indiana Jones folgte auf Star Wars und auch als Ende der 90er Jahre die nächste Nostalgiewelle die Popkultur erfasste, schuf Lucas zunächst die berüchtigten Prequels, die mittlerweile zwar sehr kritisch gesehen werden, denen man aber zumindest zugute halten muss, dass sie einen Versuch darstellten, eine neue Geschichte zu erzählen. Indiana Jones 4 erschien drei Jahre nach dem letzten Teil der Star Wars Prequels und stellte einen ähnlich misslungenen Versuch für die Indy-Serie dar. Spätestens aber mit der Übernahme durch Disney wurde zunächst Star Wars zu einem Nostalgiezombie, einem seelenlosen Versuch, die alte Magie zu kopieren und mit einem woken Anstrich zu versehen. Nun erscheint Indiana Jones 5 wiederum nur wenige Jahre nach dem letzten Teil der Haupthandlung von Star Wars und tappt ebenso in dieselbe woke-nostalgische Falle wie die Sternensaga.

Einen Vorteil hat jedoch, das Echo-Dasein im Schatten von Star Wars: Das Publikum von Indiana Jones ist mehr wie vorgewarnt und dürfte den neuesten Ableger auch an der Kinokasse nicht honorieren. Knappe 900 Millionen Dollar müsste Indy 5 einspielen um seine Kosten (nach Abzug der Betreiberanteile und Werbekosten) wieder zurück zu verdienen. Das Eröffnungswochenende in den USA endete mit ernüchternden Einnahmen von nur 60 Millionen Dollar, sodass bereits jetzt ein Verlust von bis zu 300 Millionen Dollar vorausgesagt wird. Zumindest dürfte sich damit die Frage erübrigt haben, ob irgendjemand eine Fortsetzung der Serie mit einer woken Protagonistin sehen möchte.

Für den Kindheitshelden vieler Fans ist es jedoch ein unrühmlicher und trauriger Abgang. Anstatt Harrison Ford bereits vor Jahren – a la James Bond – durch einen jüngeren Schauspieler zu ersetzen und die Abenteuer strikt in jener magischen Epoche der 20er und 30er zu belassen, hielt man an Ford fest und ließ den Charakter mit ihm altern. Anstatt ihm – wie es z.B. ein Clint Eastwood bereits vor 30 Jahren mit „Erbarmungslos“ vorexerzierte – einen altersgemäßen Abgang zu ermöglichen, ja zumindest ein würdiges Ende zu gönnen, endet die Legende unzähliger Kindheitserinnerungen damit, dass eine selbstgerechte Projektionsfläche der Produzentin Kathleen Kennedy ihn in eine trostlose Gegenwart zurück zwingt, in der Indy sich verloren und überflüssig fühlt. Das hat Indy wahrlich nicht verdient.

Fazit: Die Indiana Jones Trilogie ist wunderbares Popcornkino in Reinkultur, das jedem Filmliebhaber nur ans Herz gelegt werden kann. Die Abenteuer des Archäologen mit Zerstörungswut endeten mit der Aussöhnung zwischen Indy und seinem Vater und einem gemeinsamen Ritt in den Sonnenuntergang am Ende von „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“.

Fortsetzungen?

Welche Fortsetzungen?

Anzeige
Die mobile Version verlassen