„Kalt, blutleer, kleingeistig, heuchlerisch, selbstverleumderisch und nachtragend“, so beschreibt die Autorin Judith S. Graham die Puritaner. Die britischen. Aus dem 17. Jahrhundert. Da führen sie Bürgerkrieg gegen die britische Monarchie. Und gewinnen. 1647 sind sie bereits stark genug, um den Bürgern Weihnachten verbieten zu können. Die sollen an dem Tag ganz normal arbeiten.
Weihnachten ist den kalten Blutleeren in London zuwider. Weil es heidnische Bräuche aufgreife und es gar nicht klar sei, ob Jesus am 25. Dezember geboren sei. Aber vor allem mögen es die Selbstverleumder nicht, weil sie Menschen nicht gerne feiern sehen. Weihnachten ist für Puritaner nur eine Gelegenheit, „um ausgiebig zu essen, zu trinken und der Unzucht nachzugehen“, wie es der Autor Bernard Capp im Hamburger Abendblatt beschreibt. Bis 1660 ist das Verbot im Vereinten Königreich in Kraft.
Der Fraktionsvorsitzende ist schon länger bei den Grünen, er hat seine Jugend in der Partei verbracht. Er kennt die kalten und blutleeren Tendenzen seiner Grünen. Vor allem aber weiß er, dass die Partei nicht die Macht hat, so eine Debatte öffentlich durchzustehen und zu gewinnen. Noch nicht. Wir schreiben 2011. Die bundesweiten Schlagzeilen, der Grünen als Grinch-Partei, die Weihnachten stellen will, überlässt der Fraktionsvorsitzende anderen.
Und andere Grüne greifen tatsächlich zu. 2013 der Berliner Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg. Der wolle auf der Straße kein Weihnachten mehr feiern lassen. Bezirksbürgermeisterin ist Monika Herrmann. Doch es gibt den Protest, der 2013 noch zu erwarten ist. Also rudert der Bezirksverband zurück: Niemand habe gewollt, dass der Vorschlag auf Kritik stoße. Auch habe man das nie gesagt, sei falsch verstanden und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Kurzum: Frohe Weihnachten. 2016 haben die Grünen dann nochmal den Zeh in den Pool gestreckt. Dieses mal in Düsseldorf. Dort sollte es keine Weihnachtstanne mehr geben. Dann kam Robert Habeck als Parteivorsitzender und die Partei ließ politische Vorstöße sein, von denen klar war, dass sie nicht zu gewinnen sind – noch nicht.
Der Hass linker Bewegungen gegen Weihnachten ist alt. Zum einen richtet, der sich gegen die bürgerliche Kultur, zu der das Fest mittlerweile gehört. So sollte in der DDR der Weihnachtsengel „Jahresendfigur“ heißen. Doch immerhin ließ das SED-Regime seine Genossen Weihnachten feiern. Über das Regime ließe sich viel Schlechtes sagen, aber gefeiert hat der Osten gerne. Sind die Bewegungen indes kalt und blutleer, ist die Lust ein anderer, umso schwerwichtiger Grund, den Menschen „Fröhliche Weihnachten“ klauen zu wollen. Wie der verbitterte Grinch, der in seiner einsamen Höhle all das Lachen nicht aushält.
Weihnachten 2022 sieht die Diskussion in Deutschland anders aus als noch 2011, 2013 oder 2016. Das sei so, weil die Lage so sei, wie noch nie zuvor. Das stimmt. Das sind Lagen in der Regel aber immer. Ja, es gibt einen Krieg in der Ukraine, Energieknappheit in Deutschland und eine Wirtschaftskrise, von der wir vermutlich bisher erst den Anfang erlebt haben. Aber es gab auch einen Krieg, bei dem Amerikaner in Aachen und die Russen in Polen gestanden haben, die Energiekrise von 1973 und einen Winter von 1918/19, als Hunger und Spanische Grippe die Menschen reihenweise dahingerafft haben. Trotzdem haben die Menschen Weihnachten gefeiert.
Was wirklich anders ist. Zumindest für Westdeutsche, die Jahresendfiguren nur als exotische Anekdote kennen: Die Partei, die sich schon seit Jahren an Weihnachten schrubbert, ist an der Macht. Anders als vor 16 Jahren ist sie nicht der Kellner eines willensstarken Gerd Schröders (SPD), der solch unsinnige Initiativen im Keim erstickt hätte. Die Grünen koalieren mit Bundeskanzler Olaf „Meine Richtlinienkompetenz habe ich auch vergessen“ Scholz (SPD). Der ist bisher aufgefallen dadurch, dass er die Zeitenwende angekündigt hat, sich für die Gehälter von Fußballerinnen eingesetzt hat und die Zeitenwende nicht durchgeführt hat.<
Habeck oder Ricarda Lang preschen nicht selbst vor. Sie mögen nichts verstehen von Wirtschaft – aber wie man auf dem ARD-Klavier den grünen Walzer spielt, wissen sie dafür umso besser. Also übernimmt die Deutsche Umwelthilfe den Job. Jener Klageverein, der mehr Fanboys und Fangirls unter deutschen Journalisten als Mitglieder hat. Der prescht vor: Weihnachtsbeleuchtung sei dieses Jahr nicht drin. Für Private ebenso wenig wie für Kommunen. Ein beleuchteter Baum pro Ort müsse reichen. Die britischen Puritaner hätten ihre Freude dran.
Der Verzicht sei notwendig, wegen des Kriegs und wegen der Energieknappheit. Schon auch wegen des Klimaschutzes, ja, schließlich bekommt die Deutsche Umwelthilfe für das Thema ja ihre staatlichen Gelder und privaten Spenden. Doch die Parole der Stunde sei, Krieg und Energieknappheit. Wie lächerlich es ist, wenn Grün-Linke plötzlich die nationale Solidarität bemühen, da es ihnen passt – weil sie jetzt an der Macht sitzen – das wäre ein eigenes Thema für sich.
Es ist ein lustiges Thema – aber nicht zum Lachen. Eben weil die Weihnachtsdiebe jetzt an der Regierung sitzen. Weil sie gefährlich sind. Menschen, die anderen ihre Weltvorstellung aufzwängen wollten und vorm Privaten nicht haltmachten, sind am Anfang immer lächerlich. Aber am Ende verheerend, wenn man sie gewähren lässt. Die DDR hat noch 1989 auf flüchtende Bürger schießen lassen, weil die Sozialisten überzeugt waren, damit den Sozialismus zu schützen und der Menschheit was Gutes zu tun.
Neben der Tatsache, dass die Grünen jetzt gleichberechtigt an der Macht sitzen, ist die Einmischung ins Private der zweite, entscheidende Punkt an der Debatte rund um Weihnachten: Ihnen und mit ihnen befreundeten Klagevereinen geht es nicht darum, die Politik bestimmen zu wollen. Das ist in einer Demokratie ja zulässig. Sie wollen ins Private reinregieren. Wie die Grünen sollen die Bürger das Fahrrad statt dem Auto nehmen; den Tofu-Schwamm statt das Schnitzel essen, Hanf statt Tabak rauchen – und die Hose gleich auch daraus gestalten lassen.
Es ist ein spannendes Feldexperiment, auf einen grünen Parteitag mit einer Jumboflasche Coca-Cola und einer Tüte Chips zu gehen. Am besten von der Marke Chio. Der ehemalige Pressesprecher hat es getan. Die Reaktionen darauf ähnelten sich und traten vermehrt auf: Langsam anschlurfen, das Gesicht zur Schildkröte zusammenziehen und passiv-aggressiv sagen: „Du weißt schon, wie ungesund das ist“, wenn die Belehrung wohlwollend klingen soll. Wenn es gleich nach Belehrung klingen darf, kommen Argumente wie: Arbeiter werden durch die Unternehmen ausgebeutet, die Natur auch und Bayern München wieder Deutscher Meister.
Doch es ist gar nicht nötig, selbst private Erfahrungen zu sammeln. Die Grünen kommen von sich aus ins Privatleben. Ungebeten. Allen voran der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Erst belästigte er phantasiebegabte Menschen mit der Idee davon, wie er seinen durch Maoismus der 70er Jahre gestählten Körper mit dem Waschlappen reinigt. Dann lässt er Videos drehen, in denen Onkel Winfried vormacht, wie man Heizungen runterstellt. Von staatlichen Geldern finanziert. Natürlich. Wir reden von Grünen. Noch.
Denn jetzt geht es zurück zu den Puritanern. Ins Jahr 1647. Ihre Versuche Weihnachten abzuschaffen, blieben recht erfolglos. Zuhause feierten die Menschen weiter Weihnachten und wer am 25. Dezember seinen Laden öffnete, musste damit rechnen, am 26. Dezember seinen demolierten Laden aufräumen zu müssen. Seit gut 6000 Jahren gibt es den zivilisierten Menschen. Versuche, ihm die Lust auszutreiben, sind in schöner Regelmäßigkeit unternommen worden – und genauso regelmäßig gescheitert. Dadurch, dass sie Weihnachten aus der Kirche ins Private drängten, haben die Puritaner den Weg dazu geebnet, das Fest zu dem zu machen, was es heute ist: ein bürgerliches, das sich immer mehr von seiner religiösen Wurzel trennt, sagt Capp. Deswegen braucht keiner vor Puritanern zurückschrecken. Auch nicht vor Grünen. Der Widerstand mag mitunter 13 Jahre dauern – aber am Ende feiern immer die, die gerne feiern wollen.
Nun werden manche Grüne gegen diesen Text einwenden: Ja, aber privat feiere ich doch Weihnachten. Richtig. Dieser Punkt, nennen wir ihn den Oktoberfest-Aspekt, muss noch genannt werden: Grüne schaffen es durchaus, sich etwas zu gönnen, was sie anderen hauptberuflich vermiesen wollen. Da waren die puritanischen Vorbilder vielleicht blutleerer – aber wenigstens konsequenter.