Der Mitteldeutsche besitzt die Gabe, seinem Publikum zum Jahresende etwas Besinnliches zu bieten. Aus den mentalen Tiefenschichten der ARD-Anstalt steigt dann ein ganz besonderer Geist nach oben. Im Dezember 2020 bekamen die MDR-Zuschauer ein Stück über „Ulbricht als Sportsmann“ geboten, das sich akribisch mit der Wintersportbegeisterung des Generalsekretärs befasste.
In dem Beitrag, teilte der Sender damals mit, habe er „den Politiker außen vor gelassen und persönliche Seiten des späteren SED-Chefs gesucht“. Bekanntlich werden fast alle Diktatoren sympathisch, zumindest sympathischer, wenn jemand fünfzig Jahre später das Politische weglässt. Dann kommt der Naturbursche zu seinem Recht, der sich gern in den Bergen erholte, nachdem er in Berlin die Listen der Gegner abzeichnete, die ihrerseits eine Reise nach Bautzen antraten.
Nach diesem geschichtlichen Rückgriff bemühten sich die MDR-Redakteure in der Jahresendzeit 2021 um größtmögliche Aktualität. Der Sender stellte fest, dass es sich bei dem Weihnachtsmann erstens um einen Mann mit schwierigem Alter und problematischer Hautfarbe handelt:
„Der Weihnachtsmann ist traditionell ein alter weißer Mann, aber ist das noch zeitgemäß? Längst wird über eine geschlechtsneutrale Bezeichnung diskutiert.“
Da die ARD gerade den Begriff „Preistragende“ geschöpft hatte, würde sich „geschenketragende Jahresendfigur“ geradezu aufdrängen. Die Diskussion findet zwar nicht an jedem Küchentisch im Gebiet der ARD-Anstalt statt, schon gar nicht längst. Aber wie gesagt: Dieses Mal wollten die Avantgardisten des MDR ihrer Zeit eben ein bisschen vorauseilen. Geleitet wird der MDR übrigens von Karola Wille, einer früheren DDR-Juristin mit SED-Bilderbuchkarriere. Natürlich wird sie sich in die redaktionelle Arbeit nicht einmischen. Aber offenbar herrscht beim MDR ein Klima, in dem eben sowohl das Lob des Wintersportlers Walter Ulbricht gedeiht, als auch die Fusion aus alter Weihnachtsfeindlichkeit mit dem hoch modernen Kampf gegen alte weiße als männlich gelesene Personen. Damit erreicht der Sender, wie man in der DDR zu sagen pflegte, Weltniveau.
Wer trägt eigentlich die Schuld daran, dass die Vorstellung eines zipfelbemützten alten Herrn mit Geschenkesack so fest in den Köpfen sitzt? Nicht Coca Cola, das Unternehmen, das nach populärer Legende den patriarchalischen Weihnachtsmann erfunden hat. Sondern ein Deutscher, genauer gesagt: ein Bayer, nämlich Thomas Nast, geboren 1840 in Landau. Nast wanderte in die USA aus, wo er Karriere als Pressezeichner machte. Seinen Ur-Weihnachtsmann entwarf er zum ersten Mal 1863 für „Harper’s Weekly“, damals noch in schwarz-weiß: Sein Holzschnitt zeigt den Alten mit Bart, wie er in einem Truppenlager der Union – der Bürgerkrieg tobte damals in den USA – Geschenke an die Soldaten verteilt. Nasts Zeichnung wurde so populär, dass er Jahr für Jahr einen neuen Santa Claus für „Harper’s“ und davon noch etliche Varianten schuf, insgesamt 76 Holzschnitte. Sein wahrscheinlich populärster Weißbart erschien am 1. Januar 1881.
Für seinen Santa griff Nast auf die Nikolausfigur zurück – ebenfalls alt, weiß, männlich –; die enorme Beliebtheit verdankt seine Figur aber nicht nur dem christlichen Bezug, sondern der Figur des pazifistischen, gütig geschenkeverteilenden Großvaters. Von den USA verbreitete sich die Weihnachtsmannfigur weltweit (später tatsächlich mit Hilfe des Limonadenherstellers).
Trotz aller Bemühungen, Oma (und damit auch irgendwie Opa) als „Umweltsau” zu entlarven (das war der WDR zur Weihnachtszeit 2019), genießen alte Herren mit Geschenkpäckchen auch heute noch in den meisten Familien eine erstaunliche Popularität, auch und gerade bei Jüngeren. Womöglich sind sie sogar beliebter als die ARD.
Wie kann sich die Senderfamilie eigentlich mit Blick auf Weihnachten 2022 noch steigern? Wir schlagen schon einmal vor, dass dann eine exotische junge Frau mit Ulbrichtbart die alten verkrusteten Bilder aufbricht, indem sie mit dem Lastenrad vorfährt, ein progressives Klimakampflied singt und ein Säckchen aufhält, verbunden mit der Forderung, dort ein Demokratiesonderopfer für die Öffentlich-Rechtlichen in Höhe von 18,36 Euro einzuwerfen.
Wofür das Sonderopfer? In Großbritannien sind Senioren – also alte und weiße und auch farbige Männer – übrigens von der Abgabe für die BBC befreit. Zumindest keine Rundfunkbeiträge mehr von alten weißen Männern zu akzeptieren – das sollte für die ARD eigentlich Ehrensache sein. Denn es ist nicht mehr zeitgemäß.
Darüber wird auch schon längst diskutiert.