Der Wirtschaftswoche geht ein Licht auf: Merkel war doch nicht so toll
Mario Thurnes
Die Hofnarren von der „Wirtschaftswoche“ distanzieren sich von der gestürzten Königin Angela Merkel.
Der Journalismus erlebt stürmische Zeiten. Da ist die Wirtschaftswoche wie ein Fels in der Brandung. Sie hat ihre verbreitete Auflage in den vergangenen zwei Jahren fast gehalten. Das verdankt sie ihrer wirtschaftlichen Kompetenz. Etwa im Umgang mit Bilanzen. Denn wie man die schönt, weiß kaum jemand so gut wie die Wirtschaftswoche: Von 124.000 auf 101.000 Exemplare ist die verkaufte Auflage in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen. Das entspricht einem satten Minus von 19,0 Prozent. Aber es gibt auch einen Aufwärtstrend: Die Zahl der „Freistücke“ ist in der gleichen Zeit von 6800 auf 32.000 Exemplare gestiegen. Fast jeder vierte Leser bekommt die Wirtschaftswoche also geschenkt.
Apropos geschenkt. Die aktuelle Wirtschaftswoche macht mit der Titelgeschichte auf: „Das fatale Erbe der Ära Merkel“. In den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft seien viele Aufgaben liegen geblieben und stattdessen neue hinzugekommen, so die Kernthese. Was für eine Nachricht das wäre – wenn wir eine Zeitmaschine hätten und sie ins Jahr 2015 zurückschicken könnten. Oder wenigstens ins Jahr 2020, als Kritik an Merkel noch nicht mit der Währung Gratismut bezahlt werden musste. Und die Wirtschaftswoche noch ankündigte, dass sie die Kanzlerin dereinst vermissen werde.
Doch auch der Absolutismus hat seine schönen Seiten, wenn man erst mal der Bruder des Königs ist. Oder wenigstens sein Hofnarr. Wer dann schön auf der Lyra spielt, darf beim Abendmahl neben dem Herrscher sitzen und ist auch in Sachen Kanzlerinnen-Flugzeug nicht draußen. Ganz ohne ihr Sohn zu sein. Oder ihr Bruder. Es müssen halt nur die richtigen Texte zur Lyra erklingen. Doch Vorsicht! An dem Punkt unterscheidet sich die Demokratie vom Absolutimus: Letzterer lässt seinen Hofnarren bedeutend mehr Freiheiten.
„Nationale Grenzkontrollen unterlaufen das Prinzip der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union und setzen womöglich eine Kettenreaktion in Gang – es droht eine Rückkehr der Schlagbäume, der bewaffneten Staatspolizeien, das Ende des Schengen-Raumes.“
Das Zitat stammt nicht von einem Redenschreiber des Kanzleramts. Es hat auch kein Covidiot gesagt, der die Einführung der Grenzkontrollen zur Pandemiebekämpfung kritisiert hat. Kann er gar nicht. Denn das Zitat stammt aus dem Jahr 2018. Aus einer Analyse der Wirtschaftswoche. Die Königin hat dazu wohlwollend genickt. Dann darf der Hofnarr hinten im Text auch ein paar Gemeinheiten gegen seine Herrscherin unterbringen.
Hofnarr ist kein Lehrberuf. Jeder muss seinen Platz neben dem Thron selber finden. Aber erst ein geisteswissenschaftliches Studium und dann „irgendwas mit Medien“ sind ein guter Weg dahin. Entsprechend viele Hofnarren haben wir hierzulande. Und da ist dann sogar einmal Gendern angebracht: Besonders Hofnarr:innen haben wir hierzulande viele. Wie die Rheinpfalz. Die titelte: „Die Kanzlerin der Moderne“. Netter Versuch.
Aber in Sachen übertriebenes Kanzlerinnen-Lob ist das Erste der erste: „Wir werden sie noch vermissen“, titelte Tagesschau.de noch im Dezember. Journalistische Neutralität halten deren Redakteure ohnehin nur noch für einen Haltungsschaden. Doch auch die ARD musste es dann akzeptieren: Die Kanzlerin ist weg. Eine Dokumantation über seine einstige Königin zog das Erste beschämt zurück. Zu viel Lobhudelei. Zu wenige Hinweise darauf, dass es vielleicht doch nicht so ganz so zu Ende gedacht war, die Energieversorgung eines „Export-Weltmeisters“ in die Hände eines kriegsführenden Diktators zu legen.
„Wenn der Schnee weg ist, siehst du, wo die Scheiße liegt“, hat es Bernd Stromberg so schön gesagt. Ein Experte für Schadensregulierung. Das ist das neue Thema in der Ära nach der Königin. Schadensregulierung. Die Wirtschaftswoche hat’s erkannt. Immerhin: Gratismut liefert sie frei Haus. So wie fast jede vierte Ausgabe auch.
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