„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“ So heißt es im normalen Leben. In der Politik ist manches anders. So auch hier. Denn da heißt es: „Wenn zwei sich streiten, freuen sich beide.“
Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist Deutschlands wichtigste Gesundheitsbehörde. Eine Whistleblowerin hat nun brisante interne Dokumente aus der Corona-Zeit an Journalisten weitergegeben. Das RKI hatte bisher mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass das Material öffentlich bekannt wird. Trotz Gerichtsbeschlüssen rückte das Amt nicht alle Papiere heraus – und wenn doch, dann teilweise mit absurd umfangreichen Schwärzungen.
Der Inhalt der durchgestochenen Unterlagen ist atemberaubend. Schwarz auf Weiß kann man nun nachlesen, dass nicht die RKI-Fachleute ihre unabhängige Expertenmeinung lieferten und die Politiker dann auf dieser Grundlage Entscheidungen trafen. Tatsächlich war es genau umgekehrt: Die Politik hatte Maßnahmen beschlossen, und das RKI musste dafür dann eine wissenschaftlich klingende Rechtfertigung liefern.
Die schlimmsten Schurken in diesem Stück versuchen sich nun in Schadensbegrenzung – allen voran Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD. Der spielt die Bedeutung der Enthüllungen herunter. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen:
„Das RKI hatte ohnedies vor, mit meiner Zustimmung, die RKI-Files des Corona-Krisenstabs zu veröffentlichen. Jetzt geschieht es ohne dass die Rechte Dritter, auch Mitarbeiter, vorher geschützt worden wären. Zu verbergen gibt es trotzdem nichts.“ (Schreib- und Grammatikfehler aus dem Original übernommen, Red.)
Ein typischer Lauterbach, verschwurbelt bis zur Unverständlichkeit. Was SPD-Karlchen meint: In den jetzt geleakten Papieren kommen auch sogenannte „Dritte“ vor – also Menschen, die weder zum RKI noch zur Regierung gehören. Die sollten wohl gefragt werden, ob man ihre Namen öffentlich machen darf.
Auf den ersten Blick wirkt das wie ein halbwegs plausibler Grund, weshalb das RKI die Dokumente noch nicht selbst veröffentlicht hat. Doch schon auf den zweiten Blick wird aus der Aussage eine billige Ausrede. Denn, oh Wunder, es stellt sich heraus: Das RKI hat noch gar nicht alle diese „Dritten“ überhaupt gefragt. Das enthüllt ausgerechnet Wolfgang Kubicki von Lauterbachs Koalitionspartner FDP:
„Als ‚Dritter‘, dessen Name in den Protokollen auftaucht, kann ich sagen, dass ich keine Anfrage hinsichtlich einer ungeschwärzten Veröffentlichung bekommen habe. Ich darf daher meinen Zweifel an dem Willen zur zügigen und umfassenden Veröffentlichung anmelden.“
In der Kurzfassung für den eiligen Leser übermittelt Kubicki hier also die Botschaft: Lauterbach lügt.
So ein Regierungsbündnis muss eine tolle Sache sein. Der Bundesminister von der einen Partei verbiegt mühsam die Tatsachen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der Bundestagsvizepräsident von der anderen Partei zieht derweil die Schlinge noch ein bisschen fester zu.
Was dem unbedarften Uneingeweihten wie eine Todfeindschaft erscheinen muss, ist aber in Wahrheit eine echte politische Männerfreundschaft. Denn das Ganze ist einfach nur ein Schaukampf, bei dem beide gewinnen. Die Attacke des FDP-Manns zwingt die Sozialdemokraten, ihrem auch intern durchaus enorm unbeliebten Gesundheitsminister beizuspringen. Lauterbach sitzt also fester im Sattel.
Kubicki wiederum hat sein Profil als Lauterbach-Gegner geschärft. Letzterer ist auch bei wichtigen Anhängern der Liberalen geradezu verhasst. Es nutzt sowohl Kubicki persönlich als auch der FDP insgesamt, wenn ab und zu aus den Reihen der Freien Demokraten auf den Gesundheitsminister geschossen wird.
Was das gemeine Publikum nicht merkt: Geschossen wird mit Platzpatronen. Weder Lauterbach noch die Koalition sind durch solche Show-Manöver auch nur entfernt in Gefahr. Denn wenn es ernst wird – zum Beispiel bei Abstimmungen im Bundestag über umstrittene und definitiv illiberale Projekte der Ampel –, dann hebt auch Wolfgang Kubicki stets und verlässlich seine Hand im Sinne der Regierung.
Wenn man nach Avataren für Lauterbach und Kubicki sucht, dann wird man in Kinderbüchern fündig. Der Gesundheitsminister ist der hölzerne Junge mit der langen Nase. Der Bundestagsvizepräsident ist der Turtur aus „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“.
Turtur ist ein Scheinreise: Er wirkt übergroß und bedrohlich in der Ferne. Doch je näher er kommt, desto winziger wird er.