Wärmehallen für Rentner oder die Neuen oben und die Alten unten
Roland Tichy
Die Sylter Fürstenhochzeit hat Neider auf den Plan gerufen. Wir erfreuen uns an den schönen Fotos des adretten Paares und einigen sonstigen Nachrichten zur Lage der Nation.
In den Inflationsjahren der 1920er wurden in deutschen Städten „Wärmestuben“ eingeführt – dicht gedrängt konnten sich ausgefrorene Menschen etwas aufwärmen, ehe sie wieder in ihre kalten Wohnungen zurück mussten.
Neuerdings bereiten Städte Turnhallen als Übernachtungs- und Aufwärmorte für Ältere und Menschen ohne ausreichende Geldmittel für ein neuerliches Luxusgut wie Heizung vor.
Während Merkels Flüchtlingspolitik 2015 dienten diese Hallen und die mit Vorhängen abgetrennten Schlafkojen zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die sind jetzt gut in festen Unterkünften und Wohnungen untergebracht; dafür müssen gegebenenfalls bereits länger hier Lebende im kommenden Winter umziehen. Sie werden es warm haben, ist die Botschaft, die ARD und ZDF zufrieden verbreiten. In Gemeinschaftsunterkünften entfällt auch die GEZ-Gebühr, die im kommenden Herbst wieder steigen wird, nachdem das Bundesverfassungsgericht dafür freie Bahn herbei geurteilt hat.
Der Vorgang symbolisiert das neue Oben und Unten.
Unten wird gefroren, Duschen wird Luxus, der Wirtschaftsminister rät, dass es reiche, einige besondere Körperstellen zu reinigen.
In diese Lage hinein feiert oben die politische Elite des Landes die Hochzeit ihres Finanzministers. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht kam ihrem Status gemäß mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr; Oppositionsführer Friedrich Merz im Privatflugzeug (zweimotorig, kein Jet).
Ein riesiges Sicherheitsaufgebot der Polizei bewacht die hochrangigen Gäste. Einige Punks wollten wohl die Party crashen und haben sich allerdings im Hotel geirrt. Sie kamen per 9-€-Ticket; mehr Symbolik geht kaum. Ex-Bischöfin Käßmann kritisiert, dass kirchlich geheiratet wurde, obwohl beide Brautleute die Kirche verlassen und dies auch öffentlich erklärt haben. Vermutlich deshalb hält kein Pfarrer, sondern der Philosoph Sloterdijk die Trau-Ansprache; er erklärte übrigens schon früher das Christentum als „gescheitertes Projekt“. Gott sei Dank haben wir noch hübsche Kirchen, unbestätigten Gerüchten zufolge erwägt die evangelische Kirche die Umfirmierung in eine Event-Agentur für Feste aller Art; der Finanzminister soll angeblich beratend zur Seite stehen, wie trotzdem die Kirchensteuer vom letzten Gläubigen eingetrieben werden kann.
Nicht das komplette Bundeskabinett feiert seinen Finanzminister; Außenministerin Annalena Baerbock flog auf die winzige Südseeinsel Palau,18.092Einwohner. Sie lässt sich flockig-locker mit nackten Füßen im Südseestrand fotografieren und ist betroffen über den Meeresspiegelanstieg. Zuletzt sei vor 120 Jahren ein deutscher Außenminister nach Palau gereist. Von 1899 bis 1914 war Palau deutsche Kolonie. Baerbock ernennt eine hochrangige Diplomatin Beate Grzeski zur Sondergesandten für die pazifischen Inselstaaten. Von Palau sei Deutschland durch Ozeane getrennt, weiß die geographisch gut beschulte, vor Ort unbeschuhte Ministerin; die Krise sei überall spürbar.
Deswegen tagte inDeutschland der Bundestag in einer Wirtschaftskrisensitzung, um sich dann in den langen Sommerurlaub zu verabschieden; bekanntlich hat der Tourismusausschuss schon frühzeitig die Wartezeiten an Flughäfen getestet und nur überschaubare Mängel konstatiert. Dem Urlaub steht also nichts mehr im Wege, jedenfalls für Besitzer einer Lufthansa Frequent-Traveller- oder Senator-Karte, die schnellere Abfertigung mit Sonderschaltern ermöglichen und längere Wartezeiten in abgeschotteten und gut gepolsterten Lounges versüßen.
Bundeskanzler Olaf Scholz war bei der Wirtschaftsdebatte nicht anwesend, die Regierungsbank blieb leer, das Sylter Hochzeitszeremoniell fordert zeitliche Opfer von Politikern. Aus Zeitgründen können auch die offenkundig manipulierten Wahlen in Berlin zum Bundestag und Abgeordnetenhaus erst im Herbst, über ein Jahr nach der Wahl, ernsthaft überprüft werden; und zwar nur in einem so geringen Umfang, dass Abgeordnete nicht um den Verlust ihres Mandats fürchten müssen. Selbstverständlich werden auch die Sitze der Linken nicht korrigiert, man kennt sich, man hilft sich und hat vorher Urlaub. Soweit zu Berlin.
Baerbock konnte statt des Anstiegs der Weltmeere nur angetriebenen Müll als Problemfall besichtigen. Es ist sicherlich schöner, die Krise der globalen Entsorgung im tropischen Palau zu begutachten und die Vorbereitung in Deutschland den Fachleuten zu überlassen, die allerdings angesichts der zunehmenden Vermüllung der Innenstädte überfordert sind. Im Ahrtal liegen Häuser und Ortschaften ziemlich genau ein Jahr nach dem katastrophalen Hochwasser noch in Trümmern; Opfer beklagen fehlende Hilfe und überteuerte Kredite für den Wiederaufbau.
Der Landrat muss sich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten, weil er zwar seinen Porsche vor den Fluten rettete, aber die Bevölkerung nicht zu warnen in der Lage war; er soll dafür die Nacht bei seiner Geliebten verbracht haben statt im Lagezentrum, das überfordert und desorganisiert war und nur für einen kurzen Foto-Aufenthalt geeignet erschien. Nach der Katastrophe hat er sich im August 2021 krankschreiben lassen und wurde ab Oktober in den vorzeitigen Ruhestand geschickt; bei vollen 10.200 € Monatsgehalt. Die Untersuchungen wegen fahrlässigen Totschlags von 134 Menschen sind noch nicht abgeschlossen, sagt die Staatsanwaltschaft.
Wir ersparen uns, Details über Marken und Preise der Schuhe und Kleidung der Braut anlässlich der Sylter Fürstenhochzeit zu berichten, wie es sämtliche Boulevard-Magazine dem mal freudigen, weil noch besser situierten, zuletzt aber sich doch mehr um seine Heizung sorgenden Bürger auf allen Kanälen in die Stuben senden.
In früheren Zeiten hätte man ausgerechnet, dass die Mittel dafür etwa für die Energierechnung von 10 Rentner-Haushalten für jeweils ein ganzes Jahr gereicht hätten. Dank der Explosion der Energiepreise entspricht der Gegenwert nur den Energiekosten für spitz gerechnet 1,2 Rentnerhaushalte, war also sozial durchaus angemessen. Sollten sich die Energiepreise tatsächlich verneunfachen, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befürchtet, könnte die Garderobe sogar als geradezu prekär bezeichnet werden; Designerklamotten zum alten Preis sind ein Schnäppchen, wenn man sie in Energiewährung abrechnet. Die Schere zwischen den Neuen oben und den Alten unten schließt sich also, wie man sieht.
Das ist ein gutes Zeichen für den Sozialstaat Deutschland, finden wir und verabschieden uns aus der Lektüre der heutigen Nachrichtenlage. Alles wird gut und lassen Sie sich den kühlen Juli nicht verderben. Richtig kalt wird’s erst wieder im Januar; aber vielleicht sind wir dann schon nach Palau umgezogen, um dort den Klimawandel an vorderster Front zu bekämpfen. Ohne Schuhe.
Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass die Aufzählung von Fakten zur Delegitimierung des Staates und seiner Repräsentanten führen kann oder sogar führen muss, aber weisen jeden Verdacht der bewussten Aktion weit von uns.
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