Es gibt sie noch, die Wahlüberraschungen kurz vor Schluss. Eigentlich dachten wir alle, Matteo Salvini würde diesmal auftrumpfen: mit der Ankündigung, das Verbrennerverbot der EU zu bekämpfen, sobald die rechte Regierung in Amt und Würden ist. Das war doch ein Knaller! Doch was Giorgia Meloni selbst auffährt, hat allen die Sprache verschlagen.
Während das Öko-Auto des linken Spitzenkandidaten Enrico Letta mitten im Wahlkampf liegenbleibt, schiebt die EU-Kommissionspräsidentin den Wahlkarren der rechten Spitzenkandidatin persönlich an. Offenbar war der Beliebtheitsbumerang, den der Deutschlandbesuch bei Olaf Scholz mit sich brachte, noch nicht genug.
Niemand Geringeres als Ursula von der Leyen macht noch einmal deutlich, weshalb nur Giorgia Meloni und Matteo Salvini die richtigen Kräfte für das neue Italien sind. „Wenn die Dinge in eine schwierige Richtung gehen – ich hatte schon über Ungarn und Polen geredet – dann haben wir Werkzeuge“, sagt sie. Das Gläserklingen aus den Parteizentralen in Rom klirrt bis nach Brüssel: Danke Ursel, für das Zusatzprozent!
Noch nie hat die EU in einer solchen Deutlichkeit klargemacht, nach welchen Kategorien Länder behandelt werden. Von wegen umstrittene polnische Justizreform oder ungarische Scheindemokratie: Es geht lediglich darum, ob die Parteien im Land herrschen, die man gut oder schlecht findet. Und das heißt: Der Wählerwillen ist da schlicht egal.
Das hatte Brüssel zwar gegenüber Italien schon zweimal exerziert, nämlich 2011 und 2021. Doch dieser klare imperiale Gestus hat noch gefehlt, um auch langjährigen, vorsichtig pro-europäischen Kräften klarzumachen, dass die EU sich als kaiserliche Hoheit versteht. Sollten die rebellischen Italiener es wagen, die EU-Statthalterschaft erneut abzuwerfen, wie sie es unter Mario Monti und Mario Draghi getan haben, ist mit einem Italienzug zu rechnen.
Dazu kommen die Äußerungen aus berufenem Munde – weiß doch gerade die EU-Kommissionspräsidentin, wie schädlich Wahlen sind. Sie selbst ist ja auf ganz eigenem Weg ins Amt gekommen. Da wäre eine populäre Frau aus einfachen römischen Verhältnissen, die den Rückhalt der Mehrheit hätte, ein paradoxes Gegenbild. Wer nicht wenigstens mit etwas Hinterzimmergeklüngel und Funktionärsapparat ins Amt kommt, ist verdächtig.
Unverhofft schafft von der Leyen damit einen neuen Konflikt in Italien zwischen pro-europäischen Ghibellinen und anti-europäischen Guelfen. Da bekommt die Lega Lombarda von Salvini wieder ganz neue Bedeutung! Das Phänomen kennt man aus den Jahrhunderten zur Genüge. Dass das schon einmal mit der Einmischung imperialer Kräfte nicht so gut in Italien ausging, weiß man im geschichtslosen Brüssel freilich nicht. Insofern: Die römischen Blumensträuße sind bereits in von der Leyens Büro unterwegs.