Tichys Einblick
Chebli - der neue Sarrazin?

Sawsan, lass uns Freundinnen werden!

Es ist Zeit, sich von Satire, bösen Formulierungen zu verabschieden und nie mehr auszusprechen, was Chebli bekannt gemacht hat. Elisa David hat eine versöhnliche Bitte an Sawsan Chebli.

Screenprint: Youtube/"Jung & Naiv"

Liebe Sawsan, wir waren ganz dolle böse zu dir. War schon scheiße von uns. ‘Tschuldigung. Gut, ich war’s zwar nicht, aber der Tichy war’s ja auch nicht. Aber mal ehrlich – also jetzt so von einer jungen Frau zur anderen – musste das jetzt alles sein? Ich versteh ja, Du bist im Wahlkampf. Und es war ja auch beeindruckend, was Du für Handlanger und Oberschleimer bei den hohen Tieren der Weltpolitik mobilisieren kannst. Namentlich Lambsdorff, Merz und Bär – das Witzfigurenkabinett.

Aber versteh doch bitte, Du hast Rolexarmbanduhren und ich krieg hier keinen Cent, wenn das so weiter geht. Also lass uns doch ’nen Deal machen: ich sorg bei TE dafür, dass nur noch Leute über G-Punkte schreiben dürfen, die auch wissen, wo der ist, und Du rufst deine Jagdhunde zurück. Denn jetzt mal ehrlich: die High Heels, die Du da letztens anhattest, die gibt es auch in rosa und das würde so wunderbar zu meinem Teint passen, also hab doch bitte Erbarmen. Wir Vogue-Leserinnen müssen doch zusammen halten.

Sawsan Chebli möchte 2021 für die SPD in den Bundestag einziehen – und konkurriert in ihrem Wahlkreis Berlin-Charlottenburg mit dem amtierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. Eine große Herausforderung, der sie sich stellen will. Vor wenigen Tagen legte sie daher in einem Interview mit Tilo Jung bei “Jung & Naiv“ ihre Standpunkte und Ziele dar. Sie will in die erste Reihe um mal richtige Politik zu machen und was zu verändern. Von dem Vorsprung ihres Konkurrenten Müller lässt sie sich dabei nicht abschrecken.

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Normalerweise sollte man gerade bei SPD-Politikern sehr skeptisch sein, wenn sie darüber reden, dass sie die Politik nach der Wahl viel, viel besser als vor der Wahl machen wollen – denn dann stelle ich mir immer die Frage, was die denn meinen, in den letzten hundert Jahren gemacht zu haben. Aber Donnerwetter, bei Dir, liebe Sawsan, habe ich mich geirrt. Nach dem Interview würde ich sagen, dass sie wirklich neuen Wind reinbringen will – wenn auch aus einer völlig unerwarteten Richtung.

Zu Anfang habe ich das Video noch geschaut, weil ich mir bei einem einstündigen Videomaterial nur mit Frau Chebli, jede Menge Angriffsfläche versprochen habe – sie wissen schon, Rechtspopulisten wollen nachtreten. Also quasi nach dem Motto: Wenn ich sie nicht anhaltslos kritisieren darf, dann suche ich mir halt einen Anhaltspunkt. Aber jetzt, eine Stunde später, muss ich sagen, ich bin geschockt – ja begeistert sogar! Denn Chebli meint es ernst, wenn sie sagt, dass sie enttäuschte ehemalige SPD-Wähler zurückholen will.

Beim Thema Sozialstaat etwa positioniert sie sich gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Sie selber fand es mit Blick auf ihren Vater immer ungerecht, dass er hart arbeiten muss, um nur wenig Geld zu verdienen und andere Menschen für das Nichtstun bezahlt werden. „Du kannst doch nicht einfach so denjenigen, die nichts machen, belohnen, indem du ihnen ein Gehalt gibst, ja? Kann doch nicht sein.“

Unverdient Geld bekommen ist unfair und peinlich? Völlig neue Töne aus der SPD! Besinnt sich da etwa jemand auf die Ursprünge der Partei zurück?

Das fragt sich wohl auch der Interviewer Tilo Jung, vor allem als das Thema auf Olaf Scholz kommt. Den findet Chebli nämlich gut, sie gesteht sogar, ihn trotz Schwarzer Null gewählt zu haben. „Ja? Mister Schwarze Null?!“, fragt Tilo ungläubig. Chebli lässt sich von ihm nicht in die Enge treiben und erklärt, dass sie zwar lange auch skeptisch war, aber inzwischen auch der Meinung wäre, dass man nicht immer nur Schulden machen kann.
Sie sei außerdem wegen Gerhard Schröder in die SPD eingetreten und hat die Agenda unterstützt. Bitte, was?! Bekennt sie sich jetzt zu ihrem wahren Ich, hat in ihr schon immer ein Rechtspopulist geschlummert?

Dieser Eindruck erhärtet sich, als Chebli auf das Thema Bildungspolitik kommt. Ihr Neffe geht in eine Klasse mit über 90% Migrationsanteil zur Schule – was sie scheinbar problematisch findet, weil so niemand mehr richtig integriert werde. Sie selber war früher in einer Klasse mit drei Migranten – aus ihrer Sicht ist das einer der Gründe, weshalb sie es so weit nach oben geschafft hat. Durch die Mischung wurde sie gut integriert; wären es mehr Migranten gewesen, wäre das wohl nicht möglich gewesen. Mehr deutsche Kinder und weniger Migranten sind das Rezept für bessere Bildung? Und das ist noch nicht genug! Sie selbst mag Autos zwar nicht, aber ihr Bruder fährt einen Diesel und der Rest ihrer Familie will auf keinen Fall die Autos abschaffen. Der rechtspopulistische Apfel fällt also nicht weit vom rechtspopulistischen Stamm.

Sie widerspricht dem Tilo Jung, der der Meinung ist, man müsse jetzt alle Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Denn wir hätten vielleicht an sich die Kapazität, sie alle aufzunehmen, aber nicht alle zu integrieren. Außerdem hat Berlin eine Wohnungsknappheit und schließlich findet Integration nicht in Flüchtlingsheimen statt.
Für alle, denen das noch nicht bürgerlich genug ist, der halte sich bitte jetzt fest. Denn trotz palästinensischer Abstammung sprach sich Sawsan Chebli gegen die BDS-Bewegung aus und trat damit für Israel ein. Ein Boykott israelischer bzw. jüdischer Produkte erinnert sie an Nazi-Methoden. Außerdem sagt sie, dass sie vonseiten der BDS-Bewegung schon oft als Verräterin bezeichnet wurde – wegen ihrer Haltung gegen Antisemitismus. Die Organisation als antisemitisch einzustufen, findet sie richtig.

Für alle, die sich jetzt die Frage stellen – nein, das Interview wurde nicht undercover nachts in einer Kneipe gedreht, sondern am helllichten Tag in einem Café. Und vor ihr steht nur eine kleine Tasse Kaffee, das heißt, selbst wenn der mit Schuss gewesen wäre, würde das nicht ausreichen, um Zitate zu erklären wie z.B.: „Auch wenn Trump Dinge macht, muss es ja nicht automatisch schlecht sein“ im Bezug auf die amerikanische Nahost-Politik. Man muss also davon ausgehen, dass sie Sätze wie folgende tatsächlich nüchtern gesagt und ernst gemeint hat: „Ich bin die Letzte, die sagt, dass wir die Polizei unter Generalverdacht stellen sollten. Ich werde ja beschützt von LKA-Beamten. Und sie haben mein vollstes Vertrauen. Und ich finde es ätzend, wenn sie angegriffen werden, wenn sie mich begleiten und mich schützen sollen, von Linken zum Beispiel, die Anti-Polizei sind. Das geht nicht!“

Das bringt uns natürlich jetzt in eine unangenehme Situation. Hätten wir gewusst, dass die liebe Frau Chebli in die Fußstapfen des von uns sehr geschätzten Herrn Sarrazin treten würde, hätten wir sie doch niemals so angegriffen. Es scheint ja so, als würde die Genossin die SPD wieder auf die alten sozialdemokratischen Positionen zurückführen wollen.

Vielleicht war es aber auch ein abgekartertes Spiel, dass Herr Tichy mit Frau Chebli vorbei an uns Autoren abgedealed hat. Vielleicht hat der sich mit der Sawsan hingesetzt und gesagt: Wie können wir gewinnbringend zusammenarbeiten. Ist uns gelungen – sie ist Deutschlandweit in aller Munde und triumphiert hoffentlich über Schlaftablette Michi Müller – und unsere Auflage steigt und steigt. Wenn es so ist: Chapeau, lieber Roland, liebe Sawsan!

Aber so oder so, was können wir jetzt Anderes machen, als Sawsan natürlich voll und ganz zu unterstützen. Gut, sie hat in dem Interview auch gesagt, dass sie die Souveränität der einzelnen EU-Mitgliedstaaten für ein einheitlicheres Europa einschränken will, aber was soll’s – ein Freund von Trump ist auch ein Freund von uns!

Meine einzige Sorge ist jetzt, dass gegen Frau Chebli demnächst auch ein Parteiausschlussverfahren eröffnet wird. Sollte das passieren, kannst Du selbstverständlich gerne zu uns kommen, wir haben muslimische Autoren, auch aus dem nordafrikanischen Raum, aber noch nicht so viele palästinensisch-stämmige Frauen – Du wärst eine Bereicherung! Das Gendern kriegst Du schon weg, ein paar Anfangsschwierigkeiten und gut ist.

Solltest Du uns aber nicht mehr lieb haben, weil Du immer noch böse auf uns bist, verstehen wir das natürlich. Allerdings raten wir Dir dann dennoch dazu, Deine Postion zu überdenken. Denn wenn Du weiterhin anstrebst der neue Sarrazin zu werden, wäre es gut, jemanden zu haben, der auf Deiner Seite steht. Noch mag das größte Problem Sexismus sein, aber wenn Du von linker Seite erstmal als „Nazischlampe“ bezeichnet wirst, kannst Du nicht mehr dagegen klagen.

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