Tichys Einblick
Antifaschismus ohne Faschismus

Saskia Esken bittet um Geschichtsunterricht

Im Tweet sagt Saskia Esken: „157 und Antifa. Selbstverständlich.“ Vor 157 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) als ein Vorgänger der SPD von Ferdinand Lassalle gegründet. Esken wollte also sagen, dass die SPD seit 1863 gegen den Faschismus kämpft. Das erklärt alles.

imago images / Reiner Zensen

Etwas Zeit benötigte ich schon, um die Zahl 157 in dem Tweet der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken zu verstehen, in dem es heißt: „157 und Antifa. Selbstverständlich.“ Zunächst vermutete ich, dass Frau Esken forderte, die Antifa mit 157 Millionen Euro aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Denn schließlich hatte Corona die Antifa hart getroffen. Allerdings würfe das die Frage auf, ob die Antifa nicht bereits über die sogenannten NGOs reichlich Mittel aus dem Steuersäckel erhält. Man könnte sich darüber wundern, weshalb gutfinanzierte Rechercheverbünde, die investigativ tätig sein wollen, in dieser Richtung nicht aktiv werden. Oder ist die Aufklärung über Struktur und Finanzierung der Antifa unerwünscht, weil politische Akteure in diesem Land wie SPD, Grüne und Linke die Antifa zu den Verteidigern der Demokratie zählen, zumindest zu dem, was sie unter Demokratie verstehen? Schließlich bekannte sich Angela Marquardt im Vorwärts bereits zu einem Bündnis mit der Antifa, auch wenn „junge Antifas oder Antideutsche nicht immer den Ton und die richtige Formulierung“ treffen. Den politischen Gegner jedenfalls, der alles rechts von der Antifa umfasst, treffen sie, wenn es nottut, auch mit der Faust ins Gesicht. Schließlich empfindet Marquardt ihre „Kontakte zu den unterschiedlichen antifaschistischen Gruppen“, zu denen die Antifa und die Antideutschen zählen als „eine inhaltliche Bereicherung auch für meine Arbeit in der SPD“. Die Antifa als inhaltliche Bereicherung der SPD?

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Es hat ohnehin den Anschein, dass inzwischen das theoretische Niveau der SPD von der Antifa und von den Jusos bestimmt wird. Anderes als kruden Ökosozialismus, als Enteignungsphantasien, als Systemwechseleuphorien und als die luxuriöse Versorgung verdienter Genossen, wie man letztens erste bei Andrea Nahles, die einmal die Chefin von Angela Marquardt war, und Thorsten Schäfer-Gümbel erleben durfte, und als fragwürdige Praktiken bei der Arbeiterwohlfahrt hört man von der einst stolzen Partei seit geraumer Zeit nichts mehr. Vielleicht bestand das grundlegende und einzige Bildungserlebnis der SPD in den letzten Jahren nur in der Lektüre von Georges Orwell, der davon sprach, dass in der von der SPD anscheinend als Utopie missverstandene Dystopie alle gleich, nur einige gleicher wären.

Aber Esken spielte mit der Zahl 157 auf etwas ganz anderes an, worauf niemand mit auch nur flüchtiger Geschichtsbildung sofort gekommen wäre. Vor 157 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) als ein Vorgänger der SPD von Ferdinand Lassalle gegründet. Esken wollte also sagen, dass die SPD seit 1863 gegen den Faschismus kämpft.

Nun weiß jeder außerhalb der SPD und der Antifa, dass der Faschismus entstand, als Benito Mussolini, dessen politische Karriere in der Partito Socialista Italiano, also bei den italienischen Sozialdemokraten begann, 1919 den Fasci Italiani di Combattimento, aus dem 1921 die Partito Nazionale Fascista hervorging, gründete. Der Gelehrtenstreit über die Definition des Faschismus, der aber von keinem, nicht einmal von den marxistischen Historikern vor 1919 angesetzt wird, soll hier nicht verfolgt werden.

Die SPD und ihre Vorsitzende sind aufgerufen, dem staunenden Publikum zu erklären, wie die SPD von 1863 bis 1919 gegen den Faschismus kämpfte, wo er doch noch gar nicht existierte. Interessant wäre auch zu erfahren, weshalb sich die SPD – laut Eskens These – ab 1919 nach Italien begab, denn nur dort konnte sie gegen den Faschismus streiten und, stünde dann zu vermuten, den Nationalsozialismus in Deutschland gewähren ließ, da sie sich ja transmontan gegen den Faschismus engagierte?

In Wahrheit bekämpfte die SPD bereits in der Novemberrevolution die Kommunisten und im Laufe der Weimarer Republik die Kommunisten und die Nationalsozialisten, weshalb die Sozialdemokraten von den Kommunisten als „Sozialfaschisten“ beschimpft wurden. Wie steht es also in der SPD um den antitotalitären Konsens, der von Ebert, Scheidemann bis hin zu Kurt Schumacher, Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt in der SPD existierte?

Woher Eskens Faschismusbegriff stammt, ist hingegen unschwer zu erkennen, nämlich von Stalins Paladin Georgi Dimitroff, der als Komintern-Chef erhebliche Mitschuld an der Verfolgung und Ermordung ausländischer Kommunisten trug, die vor dem Nationalsozialismus und vor dem Faschismus geflohen waren und in der UdSSR ein Exil gefunden hatten.

Von der Genese eines Begriffs
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Der Stalinist definierte den Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Diese dubiose Definition erlebte im Neomarxismus der Studentenbewegung ihre Wiederauferstehung. In der DDR war sie von Anfang an Staatsdoktrin und im Geschichtsunterricht musste ich Dimitroffs Faschismus-Definition auswendig lernen, die in einer Leistungskontrolle abgefragt wurde.

Die Mauer, die den Bürgern der DDR die Freizügigkeit nahm, die Freiheit dorthin zu reisen, wohin sie wollten, trug den offiziellen Titel „antifaschistischer Schutzwall“.

Die Faschismusdefinition diente dazu, den Antitotalitarismus, also die Vorstellung der Freiheit, letztlich als Faschismus zu denunzieren, weil alle nicht kommunistischen Bewegungen per definitionem im Dienst des Klassenfeinds standen. Was heute unter Haltung, moralischer Haltung oder der richtigen Gesinnung verstanden wird, ist die Neufassung des marxistischen Begriffs des Klassenstandpunktes, von dem alles aus zu beurteilen war. Der kommunistische Schriftsteller Bertolt Brecht setzte diese Ideologie so in Verse:

„Und was immer ich auch noch lerne
Das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
Mit der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden
Das uns beide jemals vereint:
Der Regen fließt von oben nach unten
Und du bist mein Klassenfeind!“

In dem Bündnis der SPD mit der Antifa zeigt sich, wie sehr die SPD inzwischen der neutotalitären Versuchung erliegt, zeigt sich, wie die Absage an den antitotalitären Konsens dazu führt, die Verbrechen der kommunistischen Diktaturen, Genickschuss, Gulag, Terror, Umsiedlung, Holodomor inzwischen zu verharmlosen, zu leugnen oder zu ignorieren. Die Doktrin des Antifaschismus diente von jeher dazu, unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Faschismus auch gegen den Pluralismus, gegen die Freiheit und gegen die Demokratie zu kämpfen, denn in nichts anderem bestand das Ziel des antifaschistischen Schutzwalles in der DDR.

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Glaubhaft tritt man dem Neofaschismus und dem Rechtsextremismus nur entgegen, wenn man zugleich gegen jeden Totalitarismus, gegen jede Diktatur im Kampf für Freiheit und Demokratie eintritt. Der Antifaschismus jedenfalls kann seine Herkunft aus der kommunistischen Ideologie, aus dem Totalitarismus nicht verbergen. Skylla ist keine Alternative zu Chariybdis.

Es wäre gut, die Vorsitzende der SPD nähme eine Auszeit zwecks historischer Unterweisung und besänne sich auf den antitotalitären Konsens, der zur guten Tradition der SPD gehört. Andernfalls wird die Partei als Anhängsel der neokommunistischen Linken und der ökosozialistischen Grünen enden. Vielleicht spielen die Funktionäre der SPD auch nur auf Zeit und hoffen auf einen luxuriösen Versorgungsposten a la Andrea Nahles. Wie lautete doch das letzte Wort der abgewählten Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein und SPD-Funktionärin Heide Simonis, das man von ihr vernahm: „Und was wird aus mir?“

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