Die Rixdorfer Zeitung aus dem Jahr 1908 klingt verlockend: Das Blatt schreibt von einem „Meer von Schaubuden, Vergnügungsstätten, Karoussels, Schankstätten, Musik-Pavillons, Würfelbuden und Lachkabinetten“. Wer kann da etwas dagegen haben. Doch die Zeitung klagt auch über das Klientel, das diese Art von Amusement anzieht: „Zahlreiche unlautere Elemente … allerlei lichtscheues Gesindel aus Berlin gesellten sich zu diesem Abschaum der Großstadt … Zuhälter, Dirnen und Verbrecher.“ Eugen Philippi (Musik) und Oskar Klein (Text) widmen der damals noch eigenständigen Stadt im Süden Berlins sogar einen Schlager: „In Rixdorf ist Musike …“.
Das spätere Neukölln hatte im Kaiserreich ein Imageproblem. Selbst verfügte es nicht über viel Industrie, diente stattdessen als Wohnstadt für die Arbeiter Berlins. Doch die brachten kaum Steuern in die Stadtkasse. Rixdorf galt vor der Fusion 1920 als eine der ärmsten Städte des Kaiserreiches. Also versuchte die sozialdemokratische Führung, Geld durch Gastronomie zu generieren. Mit Erfolg. Allerdings zu viel Erfolg, sodass Rixdorf zum Sündenpfuhl von Berlin wurde. Eine Namensänderung sollte die Probleme lösen – und Wilhelm II. persönlich stimmte ihr zu. Stichtag war sein 53. Geburtstag am 27. Januar 1912.
Bis zum Zweiten Weltkrieg lief es schlecht für Neukölln. Danach noch schlechter. Der Stadtteil wurde buchstäblich an den Rand gedrängt. Im Westen landeten die Flugzeuge auf dem Tempelhofer Flughafen, im Osten stand die Mauer. Freiwillig dort leben wollte kaum noch einer. Also zogen die Menschen dorthin, die sich nichts anderes leisten konnten und die von Vermietern häufig über den Tisch gezogen wurden: die „Gastarbeiter“ der Bundesrepublik.
Nun haben die Neuköllner wieder eine Verantwortliche, die auf sie schießt. Dieses Mal nur verbal: Franziska Giffey (SPD) kanzelte die Bewohner des Stadtteils bei Maischberger ab: Eltern seien nicht da für ihre Kinder, schickten sie daher auf die Straße und so komme es dann zu Szenen wie in der Silvesternacht. Giffey tat, als ob sie mit alledem nichts zu tun habe. Dabei war sie schon zweimal für Neukölln verantwortlich: lange als Bezirksbürgermeisterin, aktuell als Regierende Bürgermeisterin Berlins. Die dort geleistete Sozialarbeit sei toll, schwärmte Giffey in der Talkshow – auch wenn die offensichtlich nicht viel gebracht hat.
Vielleicht wäre es ja wieder mal an der Zeit für einen Namenswechsel. Initiativen, den Stadtteil wieder in Rixdorf umzubenennen, gab es schon mehrfach. Etwa 1987 oder 2019. Doch die seien immer versandet, wie die BZ berichtet. Zudem fehlt es dieses mal an einem Staatsoberhaupt wie Wilhelm II., der die Umbenennung einfach durchsetzt – von Frank-Walter Steinmeier ist ja nicht mal bekannt, ob er reiten kann.
Zielführender wäre es vielleicht, an die alte Tradition anzuknüpfen und Rixdorf-Neukölln wieder zu einer „Amüsiermeile“ zu machen. So mit Ausflugslokalen, Rummel und Ringelpietz mit Anfassen – Saufen statt Böllern. Der Song zu dem Projekt wäre schon da und klingt eigentlich auch einladend:
„Ja dann geht es raus zu ihr / Feste mit vergnügtem Sinn / Pferdebus nach Rixdorf hin / Dort erwartet Rieke mir / Ohne Rieke kein Plaisir / In Rixdorf ist Musike / da tanz ick mit der Rieke.“