Tichys Einblick
Schnell auf der Palme

Marketing-Effekt? Boris Palmer und die Deutsche Bahn

Dabei stand am Anfang nur die einfache Frage des interessierten Palmer, wenn auch quasi aus dem Nichts, welche Gesellschaft die Bahn eigentlich abbilden wolle?

imago images / Metodi Popow

Beginnen wir heute einmal kritisch mit Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Und ich frage mich wirklich, hat Boris Palmer, politischer „Tausendsassa“ zu viel Zeit? Regiert oder leitet sich eine Stadtverwaltung von allein? Tübingen ist immerhin eine mittelgroße internationale Universitätsstadt – mit einem Bahnhof. Palmers letztes Erlebnis am selbigen Tübinger Bahnhof war wirklich nicht schön. Nach einem Winterurlaub samt Kind und Kegel, kam der Zug nicht nur zu spät in der Nacht in der Provinz an, zu allem Überdruss mussten sich Palmer und andere Fahrgäste sogar von Migranten und Asylsuchenden am Ausgang auch noch anpöbeln lassen. Die Situation war beängstigend, wie Palmer später via Facebook mitteilte – wofür er von den einen abermals hart gescholten und den anderen als „Klartext“-Sprecher gelobt wurde. Ein sich stetig wiederholendes Schauspiel von Empörungswellen.

Ansonsten fährt Boris Palmer gerne Rad, und wann immer der OB kann, eben auch wie die junge Greta mit dem Zug von Termin zu Termin – trotz aller Verspätungen und Erschwernisse.

Irgendwie scheint aber neulich beim OB Palmer ein Zug etwas entgleist zu sein, oder aber er war verspätet. Jedenfalls postete Palmer auf Facebook einen Screenshot der Deutschen-Bahn-Seite mit der Reiseauskunft, oben drüber in der Kopfleiste, wohl seit neustem, fünf dargestellte Zugreisende. Allesamt Promis, die der Autor hier überhaupt nicht erkannt hat. Eigentlich schaut man über solche Fotos eher hinweg.

Okay, ein vermutlich afrikanischer DB-Kunde, der fröhlich in ein Sandwich beißt, eine Mama, die mit ihrem Kind schmust, ein Geschäftsmann sowie eine Frau mit Laptop und Tablet und ein blonder junger Mann, eher nordisch anmutend. So der erste Eindruck beim flüchtigen Betrachten.

Palmer aber, nun wie ein scharfer Fahrkartenkontrolleur, vielleicht würde er als OB auch noch diesen Posten rund um Tübingen abdecken wollen, beißt sich in der Bilderzeile fest.

Boris Palmer sieht sofort ein Provokations-Potential. Wäre doch gelacht, die Deutsche Bahn so einfach und oberflächlich davon kommen zu lassen. Also pfeift Boris Palmer recht schrill, schnell einsteigen, seine S-Bahn der Gedanken und Provokationen rollt an, während die DB wie eine schwere phlegmatische Dampflok noch am Prellbock verharrt.

Der Tübinger OB schreibt ganz offen, „Der Shitstorm“, werde nicht vermeidbar sein. Ja, er rechne fest damit (nur drei Stunden später sind es über 1.400 Kommentare; wenige, die Palmer unterstützen, viele, die ihn sonst wohin wünschen – am liebsten zur AfD), und schreibt über die Fotozeile und die ausgesuchten Personen: „Ich finde es nicht nachvollziehbar“, nach welchen Kriterien die Deutsche Bahn „die Personen auf dieser Eingangsseite“, ausgewählt habe. Und weiter, jetzt total im Element, welche „Gesellschaft“ solle das abbilden?  (Theodor Dalrymple veröffentlichte vor kurzem zu eben diesem Thema einen sehr lesenswerten Beitrag hier bei TE.)

Nun im Auge des Social-Media-Orkans, Palmer gegen den Empörungs-Mob, (ja, Palmer bettelt fast darum), baut schon vor, und provoziert schon wieder, fast wie ein Schwarzfahrer, der den Kontrolleur mit Ausreden hinhält, und schreibt an seine erhitzten Kritiker in einer noch erhitzteren Gesellschaft (oder einem Zugabteil im Hochsommer ohne Klimaanlage): „Alle die mich jetzt fragen, warum ich dieses Thema aufgreife, frage ich zurück: Wenn die Auswahl dieser Bilder vollkommen belanglos, normal, unbedeutend ist, warum regt ihr euch dann so auf?“

Palmer ginge es schlichtweg darum, wenn sich Linke und Rechte im Lande stets hochschaukeln, dann würde er eben gern vorgegebene Symbolik hinterfragen. Besonders bei einem Unternehmen wie der Deutschen Bahn.

Palmer visiert die nächste Station an und läuft auf Hochtouren. Als was? Als Aufklärer einer Gesellschaft ohne Kompass?

Was wir hier diskutieren, so Palmer, sei Identitätspolitik. Und zwar von Rechts wie von Links. „Die einen sagen, man wisse nicht mehr“, in welchem Land man lebe, die anderen bekämpfen dagegen „alte weiße Männer.“ Und gemeinsam haben die Identitätspolitiker es ziemlich weit damit gebracht, uns zu spalten – darauf zielt Palmers „Provokation“. Natürlich hat Palmer Recht mit dieser Analyse, und dennoch frage ich mich: Warum ausgerechnet dieses Beispiel, wo doch die abgebildeten Personen von vielen übersehen, und als eigentliche Promis nicht erkannt werden.

Nun rollt die schwerfällige Dampflok an, die Presseabteilung der DB hatte gehörig Zeit, sich vorzubereiten, zu briefen, und antwortet Palmer kurz und bündig via Twitter, in der Hoffnung, populistisch bei vielen „Bessermenschen“ zu punkten, die ansonsten viel Frust über das Zugfahren schieben, und sich, entschuldigen Sie die Wortwahl, in den Sozialen Meiden über die Deutsche Bahn „auskotzen“. (Ganz ehrlich? Nicht wenige Mitarbeiter der DB schieben Frust über den eigenen Vorstand).

Die DB-Presseabteilung twittert also leider ziemlich niveaulos in Richtung OB Palmer: „Herr #Palmer hat offenbar Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft“, solch eine Haltung lehnt das Unternehmen „Wir“, natürlich ab. Und endlich die Auflistung der Promis (die sicher ein gutes Honorar erhalten haben, um für die DB Werbung zu sitzen): „ Nico Rosberg, Nazan Eckes, und Nelson Müller“, seien positive Identifikationsfiguren, und die Deutsche Bahn arbeite mit ihnen gern zusammen…

Der eine, Palmer, provoziert die Gesamtlinke, wo er nur kann, und zieht als herausragender Aufmerksamkeitsökonom (absichtlich?) Hass auf sich. Die anderen, im Netz und nun auch das Unternehmen der DB, arbeitet mit Unterstellungen in Richtung Rassismus, die gegen eine Person wie Palmer keiner näheren Betrachtung standhalten.

Dabei stand am Anfang nur die einfache Frage des interessierten Palmers, wenn auch quasi aus dem Nichts, welche Gesellschaft die Bahn eigentlich abbilden wolle?
Die Antwort dürfte allerdings nicht erst seit dem Tweet der Presseabteilung klar gewesen sein. Ein Unternehmen, das für seine Werbekampagnen auch Steuergelder verwenden darf, fährt stets auf Linie.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist, ist seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.


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