Tichys Einblick
Gute Medien und schlechte Medien

Was Corona über das Selbstverständnis der Medienmacher offenbart

Nach Corona soll die Welt besser, nämlich ökofair und solidarisch werden - so die futuristischen Träume der „schreibenden Klasse“. Dahinter wird keine Wirklichkeit, sondern die strategischen Geschäftskonzepte von Zeitungen und Magazinen vor dem Kontext eines verschärften Wettbewerbs deutlich.

Symbolbild

Getty Images

Das Internet und die einschlägigen Business-Netzwerke wirken wie Heilands paradiesische Auen: Überall sprießen wunderbare Visionen, Szenarien und Konzepte für die Zeit danach. Matthias Horx bediente als einer der Ersten unter der Einleitung „Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise ‚vorbei‘ ist“ enigmatisch-raunend den Wunsch nach einer greifbar besseren Welt. Gerne nahmen Medienmacher den linden Ausblick auf und verbreiteten fleißig die Agenda: Ökologie, Fairness und Solidarität. Die Botschaft: Sie steht vor der Tür – bald, ganz bald werden wir einen besseren, ökofairen Globus schaffen. Die Solidarität des Menschengeschlechts ist nur noch einen Steinwurf entfernt – die vielen Einkaufshilfen, Nachbarschaftsinitiativen und possierlichen Klatsch-Happenings sind nur ein Vorgeschmack auf wahrhaft revolutionäre Zustände. Und die ganze Welt der Beratungen und Kreativen folgte – ganz seriell-individuell – mit einem unerschöpflichen Stakkato aus „Whitepapern“ und „Gedankenstücken“ zur Post-Corona-Gesellschaft. Jeder durfte mal horxen und ganz nebenbei die eigene Unwichtigkeit in Zeiten von Kurzarbeit 0 kraftvoll wegschreiben. Die Werber und Kreativen verdeutlichten sich ihrer Relevanz durch kräftiges gegenseitiges Drücken aller „Like“-Buttons weltweit. Echokammern der Intelligenzia globale. So ist es, wenn die Ergebnisse unseres Tuns auch genauso gut nicht sein müssten: Die Welt wäre keine andere …

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An diesem Phänomen offenbart sich allerdings viel vom aktuellen Selbstverständnis der „schreibenden Klasse“, vornehmlich der „seriösen Printmedien“ (Eigenbenennung). Die nachfolgenden Gedanken sind eine strukturelle Bestandsaufnahme, keine wissenschaftliche Erhebung, aber sie mag in der Lage sein, die strategischen Geschäftskonzepte von Zeitungen und Magazinen vor dem Kontext eines verschärften Wettbewerbs zu verdeutlichen. Dies ist umso wichtiger, weil die sogenannten klassischen Printmedien die spannende These aufstellen, dass die jüngst angestiegenen Print-Verkaufszahlen eine Folge des Wunsches breiter Bevölkerungsschichten sei in Zeiten der Krise auf einen „seriösen Journalismus“ zurückzugreifen. Nun mag man sich über die Definition von „Qualitätsjournalismus“ (Eigenzitat) akademisch streiten, de facto konnten sämtliche Medienträger und Kanäle große Steigerungen während Corona feststellen. Die Frage ist daher nicht, wer welche Labels nutzt oder anhängt, sondern warum die klassischen Printmedien diesen Sachverhalt instrumentalisieren?

In diesen Tagen sind Medienmacher und Kreative mehr als angetan von dem Gedanken, dass die Welt normativen Zielen unterliegt oder zumindest unterliegen sollte. Schon längst geht es nicht mehr nur um Corona, sondern um den Umbau der gesamten Welt(-wirtschaft). Diese gesellschaftlichen Ziele scheinen grosso modo definiert: Ökologie, Fairness und wirtschaftliche Solidarität. Die Themenfelder Klimawandel, Feinstaub, Green Deal sind Chiffren für den politisch gewollten Umbau der postmodernen Dienstleistungsgesellschaften. Gegen diese Ziele ist nichts einzuwenden – sie mögen aus Sicht unterschiedlicher, weltanschaulicher oder politischer Strömungen mehr als erstrebenswert sein. Problematisch ist allerdings, sofern diese Zielsetzungen sämtliche Diskurse an eben diesen inhaltlichen Fixpunkten messen und beurteilen, also einer planvollen Agenda folgen – beim Schreiber und beim Leser. Inwieweit ist also gesetzt, dass die Welt dem oben genannten Dreiklang zu unterliegen hat bzw. funktionsfähig unterliegen kann? Inwieweit ist ein sachlicher, objektiver Diskurs, ohne Schubladendenken, in den klassischen Medien existent und gewollt? Es wäre zu untersuchen, ob bestimmte inhaltliche Verknüpfungen in ihrer Thematisierung überrepräsentiert sind. Wie relevant ist (war) Fridays-for-Future wirklich? Wie angesagt ist ökologischer Konsum? Inwieweit teilen die Menschen den Umbau der Energiewirtschaft?

Ohne großangelegte Studien wissen wir: Noch nie wurden so große Autos verkauft, noch nie wurden so viele Lebensmittel weggeworfen, noch nie so viel Energie pro Kopf verbraucht. In allen Bereichen greift die vielfach diagnostizierte „Einstellungs-Handlungs-Lücke“ um sich – Menschen handeln konträr zu ihrer (kollektiv erwünschten) Einstellung. An sich keine Neuigkeit: Elisabeth Noelle-Neumann schrieb bereits vor Jahrzehnten darüber. Die grundsätzliche Frage ist daher: Folgt die Berichterstattung dem Versuch Wirklichkeiten abzubilden oder aber orientiert sie sich (aus vielerlei Gründen) an einem zeitgenössischem Idealbild? Ohne Zweifel herrscht weiterhin eine umfassende Meinungsfreiheit, aber Allensbach oder die jüngste Shell-Jugendstudie mussten feststellen, dass die Menschen in Deutschland mehrheitlich aussagen, dass sie das Gefühl hätten, zu bestimmten Themen könne man seine Meinung nicht mehr frei äußern und soziale Sanktionierungen fürchten. Welche Rolle spielen die klassischen Medien bei dieser Entwicklung?

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Klar ist: Schreiben macht keine Realität. Es tritt das psychoanalytische Phänomen ein, dass das Sprechen über einen problematischen Sachverhalt einer der entscheidenden Möglichkeiten ist, um einen seelischen Druck zu mindern. Im Umkehrschluss könnte daher gelten: Je mehr Medien über den gefälligen Umbau der Welt berichten, desto weniger handelt es sich um eine reale Entwicklung. Ethik leitet Information. Die Ethik allerdings findet oftmals im Singular statt. Klassische Medien scheinen nicht frei von der Betonung ethischer Prämissen und zieren sich, eine umfassende Debattenkultur zuzulassen – obwohl sie sie immer wieder für sich belegen.

Ebenso klar ist auch: Die Vorstellung von den „neutralen Medien“ ist immer schon ein Humbug gewesen. Natürlich sind auch Medien Botschaftsträger, Marken, und verdeutlichen wie der Leser in der Welt positioniert werden möchte: Welt oder taz, Neues Deutschland oder Bild, Stern oder Spiegel repräsentierten auch immer ein Welt- und Selbstbild. Allerdings hat sich nun der Fokus erweitert: Im Zuge der schrumpfenden Leserschaft musste das Geschäftsmodell aller Medienmarken ausgeweitet werden. Analog zur Ausweitung von Zielgruppen im Bereich der Konsumgüter, konnten Wachstums- bzw. Stagnationsszenarien nur erreicht werden, indem sich die inhaltlichen Positionierungen der Medien mehr und mehr zugunsten eines lifestyligen Gleichklangs auflösten. Die fatale Logik: Was allen gefällt, macht einfach mehr Leser. Auf die lange Frist entfällt allerdings der Grund, ein bestimmtes Medien teuer zu kaufen. Es liest sich ja oftmals überall gleich.

Unter Berücksichtigung der zunehmenden Reichweite neuer, vor allem digitaler Medienträger, kommt es zur solidarischen Verbrüderung der klassischen Magazine und Zeitungen, indem die Welt in zwei Lager aufgespalten wird: Print ist seriös. Digital ist fragwürdig, weil ja jeder ungeprüft und unkompliziert ein Medienprodukt kreieren kann. Plötzlich bilden sich spannende Allianzen unterschiedlichster klassischer Medien-Marken, die im Angesicht der erodierenden Leserzahlen für sich beanspruchen gemeinsam das Gute, Wahre, Schöne zu verkörpern. Ein ethischer Imperativ als Gruppenbild. Schmuddelig liegen die „neuen Medien“ in der Ecke. Ihr Geschäftsmodell ist durch die Funktionsweise digitaler Kanäle andersartig aufgebaut: Ihre Relevanz entsteht über Positionierung und Fokussierung sowie die permanent-direkten Zugänglichkeit mit der Leserschaft. Ob dies inhaltlich gut ist, wäre zu prüfen.

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Hinzu kommt eine spannende Liaison zwischen klassischen Medienmachern und Werbetreibenden. Vor dem Hintergrund einer immer stärker politisierenden Werbung, die unter dem Begriff des „Purpose“ ihre Blüten treibt, sucht die ethisch aufgeladene Werbung einen ebensolchen Kanal. Der Purpose-Ansatz sieht das Differenzierungspotential einer Marke und die Kaufrelevanz nicht im Leistungsportfolio, sondern in dem gesellschaftlichen Beitrag, den eine Marke zu vermitteln weiß. Eine Versicherung verkauft keine Versicherung mehr, sondern ein Wir-Gefühl. In der Regel handelt es sich um das Sinngebungsbild junger, gut situierter, kosmopoliter Milieus. Das schnieke Weltbild der kreativen Klasse zwischen den altbaubestückten Stadtteilen zwischen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München trifft damit auf die adäquaten Weltbilder „seriöser Medienträger“. Es entsteht eine Phalanx des Guten, die sich gegenseitig auflädt. Die klassischen, seriösen Printmedien erhalten Anzeigengeld von Unternehmen, die keine Produkte, sondern ein Lebensgefühl verkaufen. So sind alle zufrieden und bemerken nicht, dass sowohl bei den Markenartiklern als auch bei den klassischen Medien die tatsächliche Resonanz abnimmt, weil beide nicht im Ist, sondern im Soll agieren.

Ein Szenario: Über kurz oder lang mögen nur noch staatliche Subventionen und Zuschüsse für die klassischen Medienträger helfen („Zeitungen als Kulturgüter“), finanzielle Lücken zu schließen. Dann ergebe sich schließlich ein Dreieckshandel, indem der Staat durch die Unterstützung „seriöser Medien“ zeitgemäße Weltbilder (je nach Zeitgeist) kommunikativ begleitet, während die klassischen Markenartikler ebendiese gelernte Seriösität für ihre Positionierung als „gesellschaftliche Wandler“ einsetzen könnten. Ein mehrstufiger Ablasshandel.

Beschaut man sich die rasanten Entwicklungen in der Medienbranche, so ist die Bedeutung von Information nicht zurückgegangen, sondern sucht sich neuartige und vor allem klare Kanäle. Marken werden immer von innen zerstört, beispielsweise weil eine Medienmarke ihre Leserschaft nicht mehr versteht bzw. verstehen will. Meist wird dies unter dem Begriff der „Leseruntreue“ charakterisiert. Dies ist eine typische Verwechslung von Ursache und Wirkung, denn meist ist das Medium sich selbst untreu geworden, so dass es die Leserschaft zuerst irritiert und diese sich dann verärgert abwendet.


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