Wir müssen Christian Lindner gegen radikale Klimaschützer helfen – eigentlich
Mario Thurnes
Die Gruppe „Extinction Rebellion Berlin“ hat nach eigenen Angaben das Bundesfinanzministerium besetzt. Wir wollen Christian Lindner (FDP) zur Seite stehen – zumindest denken wir darüber nach.
Gewalt ist schlecht. Wirklich. Aber radikale Klimaschützer besetzen das Finanzamt in Berlin, geht als Meldung um. Will man ihnen da böse sein? Wäre das nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob ihr Vorgehen vielleicht doch berechtigt ist? So nach dem Motto: Macht Ihr mal weiter mit dem Finanzamt, wir denken in der Zwischenzeit darüber nach, ob wir Eure Methoden tolerieren. Ob Ihr Euch und Eure Meinung für so wichtig halten könnt, dass Ihr deswegen alles kaputtmacht, was Euch nicht gefällt? Vermutlich nein. Aber macht erstmal das mit dem Finanzamt zu Ende, dann können wir Euch das immer noch sagen.
Es ist gar nicht das Finanzamt, es ist das Finanzministerium, korrigiert die Kollegin. Ach so. Das ändert alles. Christian Lindner (FDP) müssen wir Bürger natürlich beispringen. Er hat für uns Schulden abgeschafft und durch Sondervermögen ersetzt. Seine Partei hat das Ende der Corona-Maßnahmen durchgesetzt. Also fast. Sie hat etwas, das noch schlimmer gewesen wäre, in die „härtesten Regeln in Europa“ abgemildert. Und keiner textet auf Twitter so überzeugend wie Lindner gegen das Abschalten der Atomkraftwerke. Gut. Als Minister hätte er vielleicht die Chance, auch was zu tun. Aber da wird es dann schon wieder Arbeit. Alles in allem ist Christian Lindner jemand, dem wir beispringen müssen, als Bürger – da knapp zwei Dutzend Chaoten von „Extinction Rebellion Berlin“ sein Ministerium besetzen und den „Betrieb erheblich gestört“ haben, wie sie selbst auf Twitter schreiben. Da hat Lindner unsere volle Solidarität. Vermutlich. Wenn wir es erst einmal zu Ende gedacht haben.
Immerhin steigern die Klimaschützer die Qualität ihrer Angriffe. Mit dem Ministerium greifen sie direkt den Staat an – und der ist wehrhaft. Sollte er sein. Eigentlich. In der Theorie. Doch wenn es um die wütenden Finn-Thorbens und Lena-Solveigs geht, lässt sich der Staat so einiges gefallen. Das ist aber auch ein Dilemma für einen Staatsanwalt. Da vertraust du in deiner Karriere auf deine Zugehörigkeit zum rot-grünen Lager und dann sollst du Klimaschützer vor Gericht bringen. Ohne Rücksicht auf deine Karriere. Was soll das? Als ob du dieses stinklangweilige Jura studiert hättest, nur um Recht durchzusetzen.
Jetzt eskalieren die Klimaschützer, trauen sich an einen Gegner, der sich immerhin wehren könnte. Bisher haben sie sich ihre Gegner dort ausgesucht, wo sie sich zu Recht auf ausbleibende Gegenwehr verlassen haben: Blockaden gegen Autofahrer, die wissen, dass ihr Kennzeichen sie überführt und sie vor Gericht nicht mit so viel Milde rechnen dürfen wie die Finn-Thorbens und Lena-Solveigs. Supermärkte, in denen sie Milch vergossen haben, deren Kosten der Supermarkt letztlich von der Steuer absetzt. Deswegen geht auch kein Kunde und kein Kassierer dazwischen, um das nachzuholen, was die Eltern der Klimakindchen verpasst haben: Ihnen sagen, dass es eine Sauerei obersten Grades ist, Lebensmittel zu vergeuden, während anderswo Menschen hungern.
Zuletzt waren Museen der Schutzraum für Agro-Finns und Power-Lenas. Museen, wo sich unter der Woche nur gebrechliche, alte Frauen aufhalten und 47 Jahre alte Lehrer im zehnten Jahr Vorruhestand. Kunstfreunde, die belämmert danebenstehen, wenn unwiederbringliche Kunst zerstört wird. Und die einen tieferen Sinn in der intoleranten Zerstörungsorgie suchen. Tieferen Sinn zu suchen ist halt ihr Tagesgeschäft. Hurz.
Wie das nun nach dem Finanzministerium weitergeht, bleibt spannend. Lässt sich der Staat weiter von Terror-Thorbens und Krawall-Solveigs auf der Nase herumtanzen? Immerhin geht es hier um Christian Lindner. Der hat schon oft bewiesen, wie entschlossen er vorgehen … – … – … okay, vermutlich wird sich der Staat auf der Nase herumtanzen lassen und Lena-Thorben höchstens zu einer Strafpredigt bei einem Avocado-Eis verdonnern.
Vielleicht eskalieren die Klimaschützer dann weiter – und nehmen sich mal den Sport-SUV vor. Der, der in Neukölln immer auf dem Radweg parkt. Da einfach mal mit abwaschfester Farbe Parolen drauf sprühen und so den Besitzer für seine suboptimale Klimabilanz sensibilisieren. Finn-Solveig stünde ein kultureller Austausch der ganz besonderen Art bevor. Aber bevor es eskalieren würde, würden wir sie da rausholen – nachdem wir zu Ende gedacht haben.
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