Achtung, Achtung – dies ist eine Glosse: Am Donnerstag, den 17. März, hat der Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit seiner Rede im Deutschen Bundestag zur allgemeinen Impfpflicht für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Besonders polarisierte ein Satz, der sich auf die Ungeimpften bezog: „Das ganze Land wird in der Geiselhaft dieser Menschen sein.“
Doch nicht nur im deutschsprachigen Raum sorgte diese Rhetorik für Aufregung. Wir sind vor Ort in einem Unterschlupf in Bagdad, wo wir mit Ahmed Saddam Omar Mohammed Mohammed Saad Al‘Said Raad, Anführer des ISIS, sprechen. Er ist auf uns zugekommen, um uns „seine Seite der Geschichte“ zu erzählen.
Mit „Corona-Leugner-Bewegung“ meint Ahmed die Bürger in Deutschland, die die Corona-Maßnahmen nicht weiter tragen wollen. Sie protestieren zweimal die Woche gegen die Grundrechtseinschränkungen, die der Ausnahmezustand, der nach Lauterbach jetzt zum Alltag werden wird, mit sich bringt. Ahmed klagt an: „Die Anerkennung, die die für ihre Arbeit bekommen, ist unglaublich. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, dass eine ungeimpfte Minderheit die Mehrheit terrorisieren würde, Niedersachens Ministerpräsident Weil rechnet ihnen gar an, eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen. Es scheint, als hätten sie vergessen, dass es uns gibt.“
Das alles hätten sie noch zähneknirschend zur Kenntnis genommen, so Ahmed. Doch mit dem Zitat von Karl Lauterbach ist nun endgültig Schluss. „Als ob wir nicht schon unzählige Male bewiesen haben, wie Geiselhaft richtig gemacht wird. Sie verharmlosen uns, wir haben genug“, klagt Ahmed Saddam Omar Mohammed Mohammed Saad Al‘Said Raad an. In seiner Stimme: Wut und Verzweiflung.
„Esoteriker, die Hippiemusik machen und den Dalai Lama zitieren – keine einzige Hinrichtung, nichts!“
„Die laufen mit dem Grundgesetz rum und sollen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wir führen die Scharia aus, aber da interessiert es niemanden. Sie bezeichnen sich als Friedensbewegung, haben Sie mal eine von deren Demos gesehen? Esoteriker, die Hippiemusik machen, auf der Straße tanzen, den Dalai Lama zitieren. Keine einzige Hinrichtung, nichts. Es ist lächerlich. Und doch werden sie aktuell mehr gefürchtet als wir. Wir wissen nicht, wie sie es machen.“
Aber auch abseits von Corona fühlen die ISIS-Anhänger sich in ihrer Ehre verletzt. Die Wahl von Olaf Scholz nehmen sie sehr persönlich. „Er war Innensenator von Hamburg, als einer von uns in Hamburg 9/11 mitplante und jetzt ist er Bundeskanzler. Und die von ihm ernannte Innenministerin kämpft nach wie vor beinahe ausschließlich gegen Rechtsextremismus. Sie machen es uns zu leicht, das ist würdelos.“
So viel geopfert, so viel gekämpft – und jetzt das!
„Jeder, der was gegen FFP2-Masken hat, gilt als Terrorist. Wissen Sie, wie hart wir für diese Bezeichnung geschuftet haben? Sie werfen ihnen vor, dass sie ihnen die Freiheit gestohlen haben. Daran arbeiten wir seit 2003, aber bei uns hat das niemand anerkannt.“ Die Verzweiflung in Ahmeds Stimme wird stärker. Die Respektlosigkeit, die von der deutschen Politik ausgehe, bleibe nicht ohne Folge. „Die Moral unter unseren Männern sinkt stetig“, so Ahmed, „sie sehen nicht ein, weshalb sie so viel opfern müssen, wenn sie auch einfach spazieren gehen könnten.“
Ahmed selbst gibt sich anfangs noch gefasst, doch als er auf das Zitat von Stephan Weil zu sprechen kommt, verliert auch er die Fassung. Er stockt, hält inne, schaut Richtung Mekka, eine einzelne Träne läuft über sein Gesicht. „Auch ich habe so viel geopfert, so erbittert gekämpft.“ Ahmed ist 36 und Familienvater. Seine fünf Ehefrauen, keine davon volljährig, haben ihm bereits 23 Kinder geschenkt, schändlicherweise überwiegend Mädchen. „23 Kinder und die meisten sehen in keinster Weise aus wie ich, ich bin einfach so oft weg. Doch ich darf mir nichts anmerken lassen, keine Schwäche zeigen. Mein ältester Sohn ist mein ganzer Stolz, mein kleiner Osama Ali ist schon so groß geworden, und ich habe schon so viel verpasst. Ich bin selten zu Hause, ich arbeite hart in meinem Krieg gegen den freien Westen. Als mein kleiner Ali seinen ersten Schuss abgefeuert hat, war ich nicht da. Als er zum ersten Mal seine Schwester geschlagen hat, war ich nicht da, es ist so traurig.“
Seit Corona sind die Terroristen „völlig fertig“
Eine zweite Träne rollt über seine Wange. „Ich hatte auch Träume, wissen Sie?“ Er erzählt uns, dass er eigentlich ein Herz für Kunst und Ästhetik hat, am liebsten Fashion Merchandising an der Universität Kairo studiert hätte.
So wie Ahmed geht es vielen ISIS-Kämpfern. Der Weg des einzig wahren Gottes ist oftmals ein undankbarer. Die Opfer werden zum großen Teil erst nach dem Tod ausgeglichen, dem Weg Allahs fromm zu folgen, gleicht die meiste Zeit einer nationalen Kraftanstrengung. „Und gerade wenn man die völlig gleichgültige Reaktion des Westens sieht, verliert man schnell die Hoffnung. Meine Kinder sind in einer Welt ohne Twin Towers geboren, das ist das einzige was mich an solchen dunklen Tagen noch antreibt“, sagt Ahmed. „Die Ungläubigen machen mich völlig fertig“, stimmt sein Kamerade Abid Nasser Youssef Alhud ihm zu.
Karl Lauterbach und Co. haben wahrlich nicht nur in Deutschland ihre Spuren hinterlassen.