Bei der Bundestagswahl hat die CSU in München keine Aussicht auf ein Direktmandat. Fast alle Wahlkreise dürften an die Grünen gehen. Im Norden der Stadt könnte der Sozialdemokrat Florian Post gewinnen, der allerdings auch gegen seine eigene Partei kämpfen muss, die ihn wegen seiner coronapolitischen Haltung konsequent mobbt. Die bayerische Landeshauptstadt grünt politisch auch deswegen, weil dort eine mediale Wahrnehmungsblase existiert, wie es sie ähnlich luftdicht eigentlich nur noch in Berlin gibt. Dazu trägt die Süddeutsche ihren Teil bei. Für ihre lokalen Seiten gilt unausgesprochen das gute alte Taz-Motto: „Was macht die Bewegung?“
Ein Text des Weltstadtblatts über die autofreie Zukunft der Münchner Viertel und den Segen von Lastenrädern zeigt beispielhaft, wie diese Blasenbildung perfekt funktioniert. Unter der Überschrift „Die Umwelt schützen und doch mobil sein“ berichtet eine SüZ-Journalistin von einer Veranstaltung mit dem Titel „Kein Auto und doch mobil – wie können wir das im Westend gestalten?“. Der Süddeutschen zufolge handelte es sich um eine „Diskussionsveranstaltung“. Aber keine Sorge: In eine Kontroverse artete der Abend nicht aus.
Ebenso wenig, wie sie auf die Idee kommt, für ihren Text wenigstens einmal der Form halber einen Autobesitzer im Münchner Westen zu fragen, warum er oder sie den Wagen behalten möchte. Dafür könnte es ja Gründe geben. Die einen pendeln zu ihrer Arbeit, andere brauchen das Auto, weil sie als Selbständige zu wechselnden Einsatzorten fahren müssen. Handwerker haben Material zu transportieren. Die Chefin der Lastenradfirma erklärt ihrer Handvoll Zuhörer, aber dank Süddeutscher eben doch einem großen Publikum, wozu ein Lastenrad überhaupt gut ist: „Zum Transport von Einkäufen, für Fahrten mit den Kindern, für Fahrten zum Wertstoffhof. Auch sperrige Baumarkteinkäufe können damit transportiert werden.“ In dem Text kommt außerdem noch eine Ergänzung zum Lastenbike vor, die in Zukunft den Münchner Verkehr revolutionieren soll: „Neben Lastenrädern eignen sich auch Fahrten mit der Rikscha als umweltfreundliche Alternative zum Auto.“
Ganz zum Schluss nähern sich die Aktivistinnen und die Autorin der Süddeutschen gemeinsam der Frage, warum im Münchner Westen und in der Stadt überhaupt immer noch so viele Menschen an ihrem Auto festhalten, obwohl die Individualverkehrsmittel der Zukunft – Lastenrad, Rikscha – längst bereitstehen. Und sie finden auch heraus, was die Leute noch ans Automobil kettet. „Auf die Frage von Hannah Henker, was Anwohner wohl daran hindere, ihr Auto abzugeben, hatte Christiane Weiss eine verblüffende Antwort. Vermutlich seien die Parkgebühren zu günstig. Erst wenn diese erhöht würden, wären die Menschen gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen.“
In der Tat, verblüffend, was die Leute hindert, das grüne Paradies zu betreten: Sie wollen einfach noch so lange wie möglich die niedrigen Parkgebühren genießen.
Bei Utopien handelt es sich nun einmal um Paradiese, in die störrische Bürger mit Flammenschwertern hineingetrieben werden müssen. Können sich der Berufspendler und die selbständige Altenpflegerin das Parken erst nicht mehr leisten, steigen sie schon noch aufs Lastenrad um.
Die Ausgabe der Süddeutschen mit dem Lastenrad- und Rikscha-Text und vielen anderen Berichten über die Proteste gegen die Internationale Automobilausstellung in München lag übrigens stapelweise gratis im Flughafenbus aus, offenbar in der Erwartung, dass auch der eine oder andere eingeflogene IAA-Besucher zugreift. Damit macht es das süddeutsche Blatt ganz ähnlich wie die Münchner Grünen: Die stimmten im Stadtrat für die Durchführung der IAA; die grüne 2. Bürgermeisterin Katrin Habenschaben besuchte das Bankett zur IAA-Eröffnung – während praktisch zeitgleich führende Grünenpolitiker in der ersten Reihe der Demonstrationen gegen die IAA standen.
Wo auch immer Katrin Habenschaden wohnt: ins Unbezahlbare geschraubte Parkgebühren belasten sie nicht persönlich. Für sie gibt es einen Dienstwagen. So kommt frau auch flotter vom Automessen-Bankett zur Protestveranstaltung dagegen und wieder zurück, und kann zwischendurch noch bei der Süddeutschen vorbeischauen, um zu erklären, wie die grüne Zukunft für alle funktioniert.