Deutschland hat gewiss große Probleme. Doch nicht die Energieunsicherheit, die Gasknappheit, die Inflation sind so schwerwiegend, dass sie es mit der politischen Gesäßgeographie des wahrlich nicht zu kleinen Bundestags aufnehmen können.
Die neueste deutsche Massenorgansiation bilden die Mitglieder des Bundestages. Und dort findet zur Stunde die Gigantomachie Deutschlands, eine Art Superwrestling der Volksvertreter statt: Es geht um Sein oder Nichtsein. Nichts, aber auch gar nichts kann es mit der Dramatik dieses Kampfes aufnehmen. Für die FDP geht es um die schlichte Existenz: Sie will nicht mehr neben der AfD sitzen. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae, dem jedes erdenkliche Mitleid in Deutschland gelten darf, beschrieb die schlimmen Angriffe, die FDP-Abgeordnete von ihren AfD-Kollegen erfahren, mit den Worten: „Da wird man zudem in Gespräche verwickelt, die man gar nicht führen will.“ Oh Gott, wie schlimm, wie sittenwidrig, da wird doch tatsächlich am hellen Tag, vor aller Augen ein Parlamentarier von einem anderen in ein Gespräch verwickelt. Sodom und Gomorrha. Und das in einem Schweigekloster, das der Bundestag ist. Oder gilt inzwischen eine kommunikative Omertá: Wer mit den Falschen redet, wird moralisch als Parlamentarier erledigt. Schließlich ginge es um Symbolik, wie Thomae weiß.
Wer sich erdreistet, diesen Konflikt als Petitesse abzutun, sollte sich der dramatischen Szenen in der Schulzeit erinnern, wenn man vom Lehrer verdonnert wurde, neben einem Mitschüler zu sitzen, neben dem man partout und in tausend kalten Wintern nicht sitzen wollte.
Und da alle „demokratischen Parteien“ links sein wollen, bleibt der rechte Platz leer. Und die Mitte? Die gibt es nicht mehr, es gibt nur noch linke oder rechte Plätze. Daraus werden die künftigen Kämpfe in der Gesellschaft erwachsen, und sie werden immer heftiger ausfallen, um so unver-mitte-lter sie sind.
Die FDP muss aufpassen, dass aus dem Spiel „Mein rechter, rechter Platz ist leer“ nicht die „Reise nach Jerusalem“ wird, in deren Verlauf sie plötzlich vor besetzten Stühlen steht, weil sie den noch freien Platz zu spät erkannt hat.