Tichys Einblick
Achtung, Glosse

Berliner Landgericht trifft Marie Antoinette: „Dann sollen sie früher losfahren“

Wenn Autofahrer sich durch die Blockaden der Letzten Generation genötigt fühlen, dann sollen sie - so das Berliner Landesgericht - sich mehr Zeit nehmen oder Bahn fahren. Geniale Lösungsvorschläge aus Buntland im Endstadium.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

„Oh edle Richter, so höret doch! Das Volk steht wegen der Letzten Generation im Stau und fühlt sich genötigt“, rief ein Gerichtsdiener aufgebracht den schwarz-berobten Berliner Weisen zu. Diese tauschten ob dieser Störung leicht indigniert einige Blicke aus, bevor sich einer von ihnen räusperte und mit feiner Stimme antwortete: „Dann sollen sie sich mehr Zeit nehmen.“

Zugegeben, diese Episode ist genauso erfunden wie das berühmte Marie Antoinette zugeschriebene Zitat, nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass das Berliner Landesgericht in seiner Urteilsbegründung hinsichtlich des Nötigungsvorwurfs gegen die Letzte Generation tatsächlich dem Pöbel der arbeitenden Bevölkerung nahelegte, man solle einfach mehr Zeit einplanen oder mit der Bahn fahren.

— Tagesspiegel (@Tagesspiegel) June 12, 2023

Wer das bereits für einen Gipfel der Realitätsfremde hält, wird überrascht sein, dass die Abgehobenheit der Berliner Richter damit noch nicht ausgeschöpft war. Denn diese meinten, dass ein halbstündiger Stau in Berlin ja nicht unüblich und daher zumutbar sei. An solch weiser Rechtsprechung erkennt man zuverlässig den Unterschied zwischen jenen, die mit beiden Beinen im besten Deutschland aller Zeiten verwurzelt sind, sowie den hinterwäldlerischen Massen, die der antiquierten Meinung nachhängen, Dinge, die nicht gut funktionieren, sollten gelöst, anstatt zur Normalität erklärt, werden.

Das scheint aber den Richtern, die einen Großteil ihrer Arbeit ohnehin von zu Hause erledigen können, kein besonderes Anliegen zu sein. Sie folgen stattdessen ungehindert jener Logik, die spätestens seit 2015 fest im bundesdeutschen Denken verankert ist: Unkontrollierte Migration importiert Gewalt? – Beschwer dich nicht, Gewalt gab es früher auch schon! Achselzuckend schwingen wir uns von neuer Normalität zu neuer Normalität, die es jeweils hinzunehmen gilt, zumindest solange sie politisch genehm ist. Während Ewiggestrige versuchen, konkrete Probleme des Alltags in den Griff zu bekommen, lassen die Weisen der Zukunft diese Dinge einfach laufen und richten stattdessen lieber all ihre Energie darauf, dem Klima vorzuschreiben, wie es sich zu verhalten hat.

Jetzt sind die Staus halt da

Auch fragen sich unbeholfene Anhänger altbackener Logik, wie man zu dem Schluss kommt, dass bereits bestehende Staus eine Rechtfertigung dafür sein können, mutwillig weitere Staus herbeizuführen. Dadurch werden die anderen Staus ja nicht weniger, sondern es kommen kumulativ weitere Verzögerungen hinzu. Wer also sowieso schon eine halbe Stunde im Stau verbringt, der kann auch eine Stunde im Stau stehen? Ja, wer so denkt und solche Fragen stellt, der sollte das Denken lieber sein lassen, denn damit kommt man dem Verständnis der Weisheit der Richter nicht näher. Auch wer darauf verweist, dass ein Umsteigen auf die Bahn mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso mit massiven Verzögerungen verbunden wäre, hat den Kern der Botschaft nicht so recht verstanden.

Zugegeben, ich gehöre zu jenen, denen sich die Weisheit dieses Beschlusses entzieht. Stattdessen frage ich mich, ob Richter, wenn sie in ihren Vorstadtvillen im Home-Office sitzen, sich ab und zu – kichernd wie der Bundeskanzler beim Bürgerdialog – bei der Vorstellung ertappen, dass die niederen Lohnsklaven ihrer Anweisung folgen, um 5 Uhr morgens aufstehen um extra früh die Bahn zu nehmen, die dann aber doch ausfällt, woraufhin sie mit dem Bus des Schienenersatzverkehrs erst recht wieder im Klimastau der Letzten Generation landen, bevor sie 8 Stunden lang die Steuern erarbeiten dürfen, mit denen sie die Gehälter der Richter bezahlen.

Ob es aber wirklich so eine gute Idee ist, den Bürgern nahezulegen, sich einfach mehr Zeit zu nehmen, darf bezweifelt werden. Was, wenn die betroffenen Autofahrer ihre Zeit im von oben tolerierten Stau dazu nutzen, über ihren Platz in unserer Gesellschaft nachzudenken? Die dabei gewonnenen Einsichten könnten einige Richter wohl verunsichern.

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