„Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Das sagte einst Hillary Clinton und handelte sich damit eine Menge Ärger ein. Denn die Frau, die später im Kampf um die US-Präsidentschaft völlig zu recht erst gegen Barack Obama und dann gegen Donald Trump verlor, formulierte damit einen gesellschaftlichen Anspruch auf Mitsprache bei der Erziehung von Kindern.
Nicht wenige Amerikaner fanden und finden allerdings, dass es dafür eben gerade kein Dorf braucht, sondern Eltern. Vielleicht noch eine Familie. Aber ganz sicher nicht „die Gesellschaft“.
Die Frage, wie viele Menschen es braucht, um ein Kind großzuziehen, beschäftigt die politischen Debatten auf der anderen Seite des Großen Teichs noch immer. Wir wollen uns da auch gar nicht einmischen. Stattdessen wollen wir jubilieren und frohlocken: Denn hier bei uns ist jetzt zumindest geklärt, wie viele Behörden und sonstige Institutionen es braucht, um in Berlin ein geplatztes Wasserrohr zu reparieren.
Es sind 23. In Worten: dreiundzwanzig.
Für den skeptischen Leser dürfen wir das kurz erläutern. In unserer geliebten Bundeshauptstadt war am Weihnachtsfest, also vor fast genau drei Wochen, ein Wasserrohr geplatzt, und zwar an der Ecke Levetzowstraße/Gotzkowskystraße. Ortskundige wissen, dass das eine überaus stark befahrene Kreuzung im Ortsteil Moabit des Stadtbezirks Mitte ist, auf und an der seit Ewigkeiten gebaut wird.
Seit dem Rohrbruch – also, zur Erinnerung, seit drei Wochen – klagen Anrainer und Verkehrsteilnehmer nun darüber, dass es sich nunmehr um eine, Zitat: „Wildwest-Baustelle“ handelt. Wegen der Absperrungen nach dem Rohrbruch gibt es jetzt weder einen Fußgängerüberweg noch einen Radweg noch eine funktionierende Ampel.
In Japan haben sie ein riesiges Erdloch, das nach einem Erdrutsch entstanden war, einmal in nur sieben Tagen wieder komplett zugeschüttet. Sowas erwarten wir an unserem Regierungssitz ja gar nicht. Aber drei Wochen für die Reparatur eines simplen Wasserrohrbruchs erscheint selbst für hauptstädtische Verhältnisse dann doch recht üppig.
Diese Kritik freilich wollen die Berliner Wasserbetriebe nicht auf sich sitzen lassen. Der Tatort des Rohrbruchs wurde zunächst gleich nach Weihnachten provisorisch abgesperrt. Doch dann konnte das kaputte Rohr nicht einfach ausgetauscht werden.
Wer das denkt, kennt weder Berlin noch die deutsche Verwaltung.
Um im Shitstorm nicht völlig abzusaufen, haben sich die Wasserbetriebe zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Sie veröffentlichen eine Liste mit allen Behörden und sonstigen Institutionen, mit denen sie sich abstimmen müssen, um die Bauarbeiten zum Austausch des geplatzten Rohres beginnen zu dürfen.
Es sind dies:
- die Berliner Energie und Wärme GmbH (Fernwärme)
- die Berliner Stadtreinigung (BSR)
- die Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG)
- die Cito Networks GmbH (Glasfaser)
- die Deutsche Telekom (Glasfaser)
- die DNS:Net Internet Services GmbH (Glasfaser)
- die euNetworks GmbH (Glasfaser)
- die Feuerwehr
- die GB InfraSignal GmbH (Ampeln)
- das IT-Dienstleistungszentrum des Landes Berlin
- die NBB Netzgesellschaft (Gas)
- die NGN Fiber Network KG (Glasfaser)
- das Polizeipräsidium
- die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
- die Senatsverwaltung für Verkehr
- das Straßen- und Grünflächenamt im Bezirk Mitte (zwei Abteilungen)
- die Stromnetz Berlin GmbH
- die Tele Colombus AG (Internet und TV-Kabel)
- die Vodafone GmbH (zwei Unternehmensteile)
- die Wall AG (Straßenwerbung)
- die 1&1 Versatel GmbH (Glasfaser).
Weil zwei Stellen ja jeweils zweimal kontaktiert werden müssen, kommen wir insgesamt auf 23. Hallelujah.
Bei der Gelegenheit enthüllen die Wasserbetriebe auch gleich noch, dass es zur Koordinierung solcher Arbeiten sogar eine eigene Software gibt. Die prüft, mit wem sich der Bauherr für ein bestimmtes Projekt in Verbindung setzen muss. Im vorliegenden Fall hat dieses Programm 14 sogenannte „Träger öffentlicher Belange“ aussortiert, weil sie für den konkreten Rohrbruch in Moabit für irrelevant befunden wurden. Dazu gehört zum Beispiel die Berliner Stern- und Kreisschifffahrt (kein Scherz).
Besonderes Glück haben alle Betroffenen, weil für die Planung der Reparaturarbeiten an der Kreuzung Levetzowstraße/Gotzkowskystraße auch der Berliner Zoo nicht einbezogen werden muss (auch kein Scherz). Das ist nun wahrlich ein Segen, denn der Zoologische Garten, wie das Tiergehege offiziell heißt, ist derzeit zwangsweise geschlossen, weil bei einer Herde von Wasserbüffeln im Berliner Umland die extrem ansteckende Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist.
Hätte der Zoo bei dem Wasserrohrbruch auch noch ein Wörtchen mitzureden, würde alles noch viel länger dauern.
Doch auch so ist nicht absehbar, wann Fußgänger und Radfahrer wieder ohne Gefahr für Leib und Leben unsere Moabiter Kreuzung überqueren können. In Berlin will gut Ding Weile haben. Wie viel Weile, konnte man kürzlich im Protokoll einer Sitzung des Landesparlaments nachlesen:
Im Ortsteil Malchow führt die Bundesstraße 2 an einer Kita vorbei. Deshalb hat die Verkehrsverwaltung Tempo 30 und das Aufstellen eines Warnschildes „Achtung Kinder“ angeordnet. Jetzt hat der Senat das ausführende Bezirksamt Lichtenberg daran erinnert.
Denn die Anordnung stammt schon aus dem Jahr 2020 (!). Passiert ist seitdem: nichts.