Dieser Tage ist es besonders harte Arbeit, ironische Texte zu schreiben. Der satirische Einfallsreichtum handelsüblicher Autoren kann mit der Wirklichkeit schlicht nicht mehr mithalten. Die Realität ist mittlerweile chronisch absurder, als es sich so ein Schreiberling – selbst unter Zuhilfenahme von einschlägigen Substanzen – ausdenken kann.
Nehmen wir, als jüngstes Beispiel, F’hain-Xberg: So kürzen die besonders hippen Anwohner den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerne ab. Für die Grünen ist F’Hain-Xberg das, was der Ruhrpott einst für die SPD war: die politische Herzkammer.
Hierhin zog es vor der Wende zehntausende Wehrpflichtflüchtlinge vor allem aus Schwaben, weil man in Berlin wegen des damaligen Vier-Mächte-Status der Stadt weder zur Bundeswehr eingezogen werden konnte, noch Zivildienst leisten musste. Hier holte RAF-Anwalt Christian Ströbele, Gott hab‘ ihn selig, nicht zuletzt dank dieser zahllosen Totalverweigerer für die Grünen das allererste Bundestags-Direktmandat. Und hier stellen die Grünen seit 1995 (mit einer kurzen Unterbrechung) den Bezirksbürgermeister.
Der identifiziert sich aktuell als Frau, heißt Clara Herrmann und hat soeben das heißeste Eisen angefasst, das den gut 290.000 Menschen des Stadtteils sicher unter den Nägeln brennt wie nichts anderes: Frau Herrmann will in ihrem Bezirk nicht mehr nur Ampelmännchen, sondern endlich auch Händchen haltende Ampel-Pärchen – und zwar gleichgeschlechtliche.
Es geht also um das Überqueeren der Straße.
(Der Kalauer sei mir verziehen, die erste Flasche Rosé ist alle.) Queer, weiß Wikipedia, ist eine Sammelbezeichnung für nicht-heterosexuelle Menschen sowie für solche, die sich nicht den herkömmlichen „Geschlechteridentitäten“ zugehörig fühlen.
In Berlin, das bekanntlich ohne riesige Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich schon seit Jahrzehnten pleite wäre, hat die queere Gemeinschaft (Eingeweihte sprechen von „Community“) enorm viel Einfluss und sogar eigene Beauftragte – in fast allen Parteien und selbst im CDU-geführten Senat.
Damit betritt CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner das realsatirische Theater. Denn laut der Gesetze, die sogar in Berlin zumindest formal noch gelten, ist sie für alle Ampeln der Stadt zuständig – und damit auch für die bisher einsamen Ampelmännchen sowie für künftige homosexuelle Ampel-Pärchen.
Mit Letzteren solle „ein sichtbares Zeichen im öffentlichen Raum“ gesetzt werden, „um die Sichtbarkeit der (…) Community im Bezirk weiterhin zu verbessern“: Das schreibt Bürgermeisterin Herrmann in einem Brief an die Verkehrssenatorin Schreiner. (Die zweite Flasche Rosé ist halbiert.)
Und wer bisher nicht lachen musste, kommt jetzt nun wirklich nicht mehr drum herum: Denn wohl nirgendwo sonst auf dem Globus – die Welt-Schwulen-Hauptstadt San Francisco eingeschlossen – ist die queere Community so gut sichtbar wie in Berlin. Was anderswo auf den alljährlichen Christopher-Street-Paraden als extremes Outfit und grenzwertiges sexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit gewertet werden dürfte, ist in Deutschlands Hauptstadt entgrenzter Alltag.
Wenn die queere Community in Berlin mit irgendetwas nun ganz sicher kein Problem hat, dann mit ihrer „Sichtbarkeit“.
Aber die CDU ist mittlerweile bekanntlich nach allen Seiten offen (oder nicht ganz dicht, oder halt beides). Folgerichtig lässt Frau Schreiner ausrichten, sie sei auch für diesen Vorstoß offen, finde die Idee mit den Homo-Ampeln „charmant“ und wolle das Projekt „wohlwollend prüfen“.
Wer da geglaubt hat, es ginge nicht noch besser, wird flugs eines Schlechteren belehrt: Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus fordert nun nämlich Homo-Pärchen nicht nur in F’hain-Xberg, sondern gleich für alle ca. 2.100 Ampelanlagen in der ganzen Stadt. Und die queerpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion (die gibt es wirklich) fordert, nicht bei queeren Paaren stehenzubleiben – sondern zum Beispiel auch Menschen im Rollstuhl darzustellen. (Der zweite Rosé ist Geschichte.)
Berlin (meine Heimatstadt übrigens – ich weiß also, wovon ich schreibe) ist mit einiger Sicherheit das mit weitem Abstand dysfunktionalste Gemeinwesen der Bundesrepublik. Nichts, wirklich nichts klappt hier auch nur halbwegs zufriedenstellend. Und die Politik der Stadt hat es längst aufgegeben, ernsthaft zu versuchen, irgendetwas zu verbessern. Dazu würde den handelnden Personen auch schlicht die Kompetenz fehlen.
Kein Wunder also, dass Figuren wie Bürgermeisterin Herrmann und ihre Claqueure sich nahezu ausschließlich darauf verlegt haben, irgendwelche „Zeichen“ für irgendwas zu setzen – was gar nicht nötig wäre, wenn sie echte Politik machten. Umso komischer ist es, dass für diesen Zeichen-Politikersatz nun ausgerechnet Ampeln herhalten müssen: Die heißen im Polizeideutsch offiziell „Lichtzeichenanlagen“.
Der dritte Rosé ist weg, und ich hätte noch einen Vorschlag zur Sache: Wie wäre es statt Ampelmännchen künftig überall in Berlin mit kopulierenden Ampelpärchen? Das würde definitiv zur Stadt passen.
Und es gäbe plötzlich auch eine ganz neue Bedeutung für „Straßenverkehrsordnung“.