Tichys Einblick
Eine Polemik

Beendet die Knechtschaft von Ruprecht, Weihnachtsmann und Nikolaus!

Von “es gibt ihn” über “es gibt ihn nicht” zum “es gibt ihn nicht mehr” ist es nicht weit. Jetzt böte sich die Gelegenheit zur Abkürzung, denn die Festtage schrammen 2020 nur knapp daran vorbei, wegen des Coronavirus einfach abgesagt zu werden. Eine Glosse

imago images / Eibner

Bald ist es wieder soweit: Die Gerüche von Lebkuchen, Räuchermännchen und Tannengrün werden durch die Straßen wabern, ganz Deutschland wird selig in rückwärtsgewandter Erinnerung an achso schöne vergangene Heilige Abende baden. An weiße Weihnachten, stille Nacht, heilige Nacht. Und es werden immer die Geister der vergangenen Weihnachten sein, die man preist. Schlimmstenfalls jene der 50er Jahre. Der Rundfunk wird für Dauerberieselung mit stimmungsvollen Musiksendungen und Weihnachtsrückblicken sorgen. Aus den 80ern oder 90ern. In denen Deutschland anders war. In den Augen vieler angeblich progressiver Köpfe provinzieller, miefiger, unmodern.

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Für viele, vielleicht sogar die meisten Bewohner wird es aber eine Zeit der Ausgrenzung. Schon die Adventswochen werden zum Spießrutenlauf, entlang üppig und aufreizend mit Weihnachtskitsch dekorierter Strassen, durch rappelvolle Regale mit aufs Fest gemünzten Keksen, andächtig dreinblickenden Schokoladenfiguren und weiteren verzuckerten christlichen Devotionalien. Die Gesichter vieler Passanten werden selbstzufrieden leuchten: Denn man wird in dieser Zeit bis zum Jahresende hemmungslos der eigenen Leitkultur frönen können – noch dazu ohne ein bißchen Schamgefühl oder Schuldbewusstsein, denn angeblich handelt es sich ja um das ”Fest der Liebe”, was kann daran schon falsch sein? In den Gesichtern vieler Erzkonservativer wird man stille Genugtuung lesen können: Wir sind wir. Jedenfalls im Dezember. Die Falschen werden sich wieder mal durch dieses ungezügelte Ausleben der eigenen kulturellen Eigenart bestätigt fühlen. Darf sich so etwas jährlich wiederholen?
Majestätisches Gehabe im fellbesetzten purpurnen Mäntelchen

Allzu durchsichtig der Versuch, mit diesen Geschichten und dem Tamtam um eine banale religionsgeschichtliche Episode ganze Generationen zu indoktrinieren, zu steuern, zu kontrollieren. Bischofsmützen und bedeutungsvolles Dahinschreiten, silberne Glöckchen und Heimlichtuerei. Kerzenschein und Andacht, wirklich eine “stille” Zeit ? In Wahrheit zwei bis drei hoch angespannte Wochen mit Gerenne, Gehetze und überreizten Eltern. Wer kennt sie nicht, die Drohungen: “Dann bringt dir der Weihnachtsmann nichts” oder das stets beliebte “mach nur so weiter, am Heiligen Abend, da wirst Du schon sehen…” Wenn der Bärtige dann in seinem goldenen Buch blättert, um angebliche Verfehlungen der Kleinen aufzuzählen, die ihm die Eltern natürlich vorher gesteckt haben: Gehts noch total-autoritärer? Kinder, die, unter der emotionalen Belastung, auf die sogenannte “Bescherung” warten zu müssen, zum x-ten Male betteln müssen: “Was bringt mir denn das Christkind ?” Und nur die ernüchternde Antwort erhalten : “Ein goldenes Nixel und ein silbernes Warteweilchen…”

Auch Sweatshops am Nordpol bleiben immer noch Sweatshops

Wenn man die Exponenten der Weihnachtskultur genauer betrachtet, dann verlieren sie ihren Glanz. Wer ist schon dieser Weihnachtsmann, wenn man ihn seiner Zipfelhaube und seines roten Rockes entkleidet ? Ein ganz gewöhnlicher alter weisser Mann mit Bierwampe, der sich die Gunst seiner Bewunderer durch materielle Zuwendungen zu erwerben sucht. Der den Legenden zufolge im “hohen Norden” ganze Scharen Kleinwüchsiger zur Akkordarbeit in seinen Geschenk-Manufakturen antreibt. Der im wahrsten Sinne des Wortes offenbar in seinem Wahn, die Welt mit bunt eingewickelten Päckchen (Hallo, Verpackungsmüll!) zu pflastern, vor nichts zurückschreckt. Zum Beispiel gefährdete Wildtiere vor seinen schweren Karren zu spannen. Für dessen Fest jedes Jahr weltweit Millionen unserer grünen Mit-Geschöpfe dazu verurteilt sind, abgeholzt und mit Glitzerzeug behängt zu werden und dann langsam darunter zu vertrocknen.

Und in der heutigen globalisierten Realität, seien wir doch mal ehrlich, wer profitiert denn von der ganzen Billig-Ramsch-Orgie? Asiatische Massenproduzenten.

Gestern habe ich das Christkind gesehen

Vertrauensverlust
Wenn der Staat seine Bürger zum Heucheln animiert
In den USA gibt es schon seit einiger Zeit die Tendenz, Weihnachten nicht mehr triumphal in seiner ganzen Pracht zur Schau zu stellen. Den lärmenden, aufdringlichen Schrei “Happy Christmas” zu Gunsten des eleganteren, vielseitigen “Happy Holidays!” aufzugeben. Man hat sich auf die bescheidenere Begehung lediglich eines weiteren Festtags zurückgezogen, auch wenn dies mit teils wütenden Protesten einiger hartnäckiger Traditionalisten quittiert wurde. Hier könnte Deutschland in Europa wieder einmal die Vorbildfunktion übernehmen. Wo man sich in den Niederlanden nur mühsam vom “Schwarzen Pit” trennt, könnte man sich hierzulande in einem ersten Schritt durch das Ersetzen zum Beispiel der rassistischen Darstellung der Heiligen Drei Könige durch ein neutrales “Trio” zum Vorreiter einer kulturellen Abrüstung in Europa machen. Die Stadt Ulm geht bereits durch die Verbannung einer besonders gehässigen Figur des Melchior voran (hier vom SWR berichtet).

Der notorische Weihnachtsmann und seine archaischen Begleiter könnten in einem zweiten Schritt folgen. Ein internationaler, gut dotierter Ideenwettbewerb würde hier sicher viele frische Vorschläge erbringen und die Phantasie anregen.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Zu lange schon hat Deutschland sich der Knute von Weihnachtsmann, Knecht Ruprecht und dem angeblich so süssen, kleinen, unwahrscheinlich blonden Christkind gebeugt. Es wird Zeit, sich von diesen längst überkommenen Ritualen und seinen gruseligen Vertretern zu emanzipieren. Jetzt böte sich die beste Gelegenheit, denn die Festtage schrammen offenbar 2020 nur knapp daran vorbei, wegen des Coronavirus einfach abgesagt zu werden. Ein “Weihnachten light”, ganz im Stil der aktuellen Achtsamkeit, würde gut zur Debatte um mehr Rücksichtnahme und weniger hemmungsloses Feiern passen. Aber wird man den Mut finden, die Axt an diese knorrige alte Tanne zu legen?

Jahrelang traumatisiert und eingeschüchtert? Die progressive politische Elite bleibt brav

Leider haben sich die Parteien, die sich eigentlich zu einem fortschrittlichen, modernen Weltbild bekennen, noch nicht dazu entschliessen können, dieses heiße Eisen endlich anzupacken. Der Verdacht liegt nahe, dass sich viele ihrer Wortführer noch unter dem lähmenden Einfluss der jahrelangen Weihnachts-Riten (Ruten?) und Gebräuche winden, so dass sie die Kraft für einen Befreiungsschlag einfach nicht finden. Wie in ihrer Kindheit haben sie vielleicht Angst vor dem zu erwartenden Zornesschrei aus dem Wohnzimmer, wo die Geschenke warten. Wo die Weihnachts-Fanatiker ihr letztes Aufgebot versammelt haben. Vergessen, dass ein modernes, weltoffenes Land darauf wartet, den Kerzenmief aus tausend Jahren durchzulüften. Frisch auf, kann man ihnen da zurufen, selten fiele eine Kampagne auf fruchtbareren Boden. Der Beifall der Medien dürfte gesichert sein.

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