Bald ist es wieder soweit: Die Gerüche von Lebkuchen, Räuchermännchen und Tannengrün werden durch die Straßen wabern, ganz Deutschland wird selig in rückwärtsgewandter Erinnerung an achso schöne vergangene Heilige Abende baden. An weiße Weihnachten, stille Nacht, heilige Nacht. Und es werden immer die Geister der vergangenen Weihnachten sein, die man preist. Schlimmstenfalls jene der 50er Jahre. Der Rundfunk wird für Dauerberieselung mit stimmungsvollen Musiksendungen und Weihnachtsrückblicken sorgen. Aus den 80ern oder 90ern. In denen Deutschland anders war. In den Augen vieler angeblich progressiver Köpfe provinzieller, miefiger, unmodern.
Oh Du Fröhliche: Teutonischer gehts kaum
Majestätisches Gehabe im fellbesetzten purpurnen Mäntelchen
Allzu durchsichtig der Versuch, mit diesen Geschichten und dem Tamtam um eine banale religionsgeschichtliche Episode ganze Generationen zu indoktrinieren, zu steuern, zu kontrollieren. Bischofsmützen und bedeutungsvolles Dahinschreiten, silberne Glöckchen und Heimlichtuerei. Kerzenschein und Andacht, wirklich eine “stille” Zeit ? In Wahrheit zwei bis drei hoch angespannte Wochen mit Gerenne, Gehetze und überreizten Eltern. Wer kennt sie nicht, die Drohungen: “Dann bringt dir der Weihnachtsmann nichts” oder das stets beliebte “mach nur so weiter, am Heiligen Abend, da wirst Du schon sehen…” Wenn der Bärtige dann in seinem goldenen Buch blättert, um angebliche Verfehlungen der Kleinen aufzuzählen, die ihm die Eltern natürlich vorher gesteckt haben: Gehts noch total-autoritärer? Kinder, die, unter der emotionalen Belastung, auf die sogenannte “Bescherung” warten zu müssen, zum x-ten Male betteln müssen: “Was bringt mir denn das Christkind ?” Und nur die ernüchternde Antwort erhalten : “Ein goldenes Nixel und ein silbernes Warteweilchen…”
Auch Sweatshops am Nordpol bleiben immer noch Sweatshops
Wenn man die Exponenten der Weihnachtskultur genauer betrachtet, dann verlieren sie ihren Glanz. Wer ist schon dieser Weihnachtsmann, wenn man ihn seiner Zipfelhaube und seines roten Rockes entkleidet ? Ein ganz gewöhnlicher alter weisser Mann mit Bierwampe, der sich die Gunst seiner Bewunderer durch materielle Zuwendungen zu erwerben sucht. Der den Legenden zufolge im “hohen Norden” ganze Scharen Kleinwüchsiger zur Akkordarbeit in seinen Geschenk-Manufakturen antreibt. Der im wahrsten Sinne des Wortes offenbar in seinem Wahn, die Welt mit bunt eingewickelten Päckchen (Hallo, Verpackungsmüll!) zu pflastern, vor nichts zurückschreckt. Zum Beispiel gefährdete Wildtiere vor seinen schweren Karren zu spannen. Für dessen Fest jedes Jahr weltweit Millionen unserer grünen Mit-Geschöpfe dazu verurteilt sind, abgeholzt und mit Glitzerzeug behängt zu werden und dann langsam darunter zu vertrocknen.
Und in der heutigen globalisierten Realität, seien wir doch mal ehrlich, wer profitiert denn von der ganzen Billig-Ramsch-Orgie? Asiatische Massenproduzenten.
Gestern habe ich das Christkind gesehen
Der notorische Weihnachtsmann und seine archaischen Begleiter könnten in einem zweiten Schritt folgen. Ein internationaler, gut dotierter Ideenwettbewerb würde hier sicher viele frische Vorschläge erbringen und die Phantasie anregen.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Zu lange schon hat Deutschland sich der Knute von Weihnachtsmann, Knecht Ruprecht und dem angeblich so süssen, kleinen, unwahrscheinlich blonden Christkind gebeugt. Es wird Zeit, sich von diesen längst überkommenen Ritualen und seinen gruseligen Vertretern zu emanzipieren. Jetzt böte sich die beste Gelegenheit, denn die Festtage schrammen offenbar 2020 nur knapp daran vorbei, wegen des Coronavirus einfach abgesagt zu werden. Ein “Weihnachten light”, ganz im Stil der aktuellen Achtsamkeit, würde gut zur Debatte um mehr Rücksichtnahme und weniger hemmungsloses Feiern passen. Aber wird man den Mut finden, die Axt an diese knorrige alte Tanne zu legen?
Jahrelang traumatisiert und eingeschüchtert? Die progressive politische Elite bleibt brav
Leider haben sich die Parteien, die sich eigentlich zu einem fortschrittlichen, modernen Weltbild bekennen, noch nicht dazu entschliessen können, dieses heiße Eisen endlich anzupacken. Der Verdacht liegt nahe, dass sich viele ihrer Wortführer noch unter dem lähmenden Einfluss der jahrelangen Weihnachts-Riten (Ruten?) und Gebräuche winden, so dass sie die Kraft für einen Befreiungsschlag einfach nicht finden. Wie in ihrer Kindheit haben sie vielleicht Angst vor dem zu erwartenden Zornesschrei aus dem Wohnzimmer, wo die Geschenke warten. Wo die Weihnachts-Fanatiker ihr letztes Aufgebot versammelt haben. Vergessen, dass ein modernes, weltoffenes Land darauf wartet, den Kerzenmief aus tausend Jahren durchzulüften. Frisch auf, kann man ihnen da zurufen, selten fiele eine Kampagne auf fruchtbareren Boden. Der Beifall der Medien dürfte gesichert sein.