Tichys Einblick
Achtung, Glosse

Backe, backe, Kuchensteuer

Für jede gute Nachricht produziert die EU auch immer mindestens eine schlechte. Neuestes Beispiel ist die sogenannte “Kuchensteuer“. Diese heftig umstrittene Umsatzsteuer für Schulen und Kitas kommt nun erst 2025. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Es wird alles noch viel schlimmer.

IMAGO

Bürokratieabbau ist aus modernen Wahlkämpfen ja nicht mehr wegzudenken. Für alle Politiker aller Parteien gehört es heutzutage zum Pflichtprogramm zu versprechen, den alles erstickenden Wust an Vorschriften und Regeln in allen Lebensbereichen zu reduzieren.

Manch einer meint das möglicherweise sogar ernst, das ist jedenfalls nicht völlig auszuschließen. Allerdings stoßen bei dem Vorhaben auch die redlichsten Absichten schnell auf schier unüberwindliche Hürden.

Vor allem dann, wenn sich der Wunsch nach Bürokratieabbau und die EU begegnen.

Plötzlich werden auch Dinge kompliziert, die in den unzivilisierten Zeiten vor Brüssels Herrschaft über den Kontinent noch als einfach galten – zum Beispiel der Kuchenverkauf auf Schulfesten. Der ging früher tatsächlich ganz leicht: Eltern und Schüler haben Selbstgebackenes verkauft, und der Erlös wanderte in die Klassenkassen. Fertig.

Das funktionierte völlig in Eigenverantwortung der Beteiligten und ohne jeden Umweg über eine Behörde oder gar über das Finanzamt. Es leuchtet sofort ein, dass das aus Sicht der EU-Bürokratie auf gar keinen Fall so bleiben konnte.

Blieb es auch nicht. Die Brüsseler Zentrale des EU-Imperiums ersann die „Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Mehrwertsteuervorschriften für das digitale Zeitalter“. Das ist sprachlich kühn, aber darunter tut es ein Eurokrat von Ehre halt nicht.

Mit der neuen Richtlinie gibt es plötzlich auch neue Regeln für den Verkauf von selbstgebackenem Kuchen auf Schul- oder Kindergartenfesten: Der ist nun nämlich mehrwertsteuerpflichtig. Das überrascht etwas, denn es ist nicht auf Anhieb ersichtlich, inwieweit die Besteuerung von Omas Kaltem Hund beim Kindergartenfasching die EU „in Bezug auf die Mehrwertsteuervorschriften für das digitale Zeitalter“ entscheidend voranbringt.

Aber die Wege des Bürokraten sind bekanntlich unergründlich.

Von Anfang hagelte es von überall her nur Kritik an dem Vorhaben. Es gab im Wortsinn niemanden, der das für sinnvoll hielt – außer den Autoren der neuen Richtlinie. Die rechtfertigten sich: Es müsse verhindert werden, dass private Unternehmer im Wettbewerb benachteiligt werden. Öffentliche Einrichtungen dürften keine Leistungen erbringen, die auch ein privater Dritter erbringen könnte. Übersetzt: Wenn Eltern für ein Schulfest Kuchen backen, der dann verkauft wird, hätte den auch ein Bäcker liefern und damit Geld verdienen können.

Allerdings ist europaweit kein einziger Fall bekannt, wo sich ein Bäcker darüber beschwert hätte, dass der jährliche Kuchenbasar der 4c in der Schule nebenan ihm so nachhaltig Kunden abspenstig gemacht hat, dass er Kurzarbeit anmelden musste.

Argumentativ geriet die EU deshalb zunehmend in die Defensive – und tat das, was sie in solchen Fällen immer als Erstes tut: Sie spielte auf Zeit. Die neue Richtlinie muss nun nicht schon 2023, sondern erst 2025 umgesetzt werden. Dafür laufen in den EU-Mitgliedsländern jetzt die Vorbereitungen.

Und da fangen die Probleme erst richtig an.

Denn die Richtlinie tritt zwar später in Kraft – doch dafür wird sie viel komplizierter als gedacht. Besonders eindrucksvoll zeigt das ein Beispiel aus Baden-Württemberg. Dort hat die Landesregierung jetzt alle 4.500 öffentlichen Schulen über die neue EU-Richtlinie informiert – auf elf (in Zahlen: 11) Seiten.

Im richtigen Leben wissen die Praktiker nicht mehr, ob sie darüber lachen oder weinen sollen. Selbst die sonst stramm regierungsnahe Lehrergewerkschaft GEW kann sich eine Kritik mit sarkastischem Unterton nicht verkneifen: „Ein elfseitiges Gutachten zum Kuchenverkauf an die Schulen zu schicken, ist wenig hilfreich.“ Die Landesregierung lässt aber wissen, sie sehe sich aus rechtlichen Gründen dazu gezwungen, das Vorgehen bis ins kleinste Detail durchzubuchstabieren.

Und so brüten Lehrer, Schüler und Eltern im Ländle statt über Aufgaben in Deutsch, Mathe oder Geschichte derzeit über Fallbeispielen aus dem Umsatzsteuerrecht: Wenn die 10a zur Aufbesserung der Klassenkasse in der Pause selbstgebackenen Kuchen verkauft, fällt darauf noch keine Mehrwertsteuer an. Wenn der Schulchor oder die Theater-AG dasselbe mit demselben Ziel tun, sind die Einnahmen dagegen der Schule zuzurechnen und unterliegen der Mehrwertsteuerpflicht.

Exakte neue Regeln gibt es auch für die Kaffeekasse im Lehrerzimmer und für Flohmärkte von Fördervereinen. (Dies ist zwar eine Glosse, das ist aber trotzdem kein Scherz.)

Obwohl die neue EU-Richtlinie erst in zwei Jahren gilt, ist sie schon jetzt ein grandioses Arbeitsbeschaffungsprogramm für Bürokraten allüberall. Denn nicht nur die Schulen, nein, alle staatlichen Stellen müssen Umsatzsteuer zahlen, auch Ministerien und Kommunen. Der Gemeindetag klagt völlig zurecht, dass es ewig lange dauern wird, um zum Beispiel Bauhöfe oder Hallen- sowie Freibäder und vieles andere mehr intensiv auf steuerliche Relevanz hin zu überprüfen.

Selbst die Feuerwehr muss sich Sorgen machen. Denn neben dem Löschen von Bränden wird sie nicht selten gerufen, um etwa bei einem Verkehrsunfall technische Hilfe zu leisten: Da muss hier weiträumig abgesperrt, da ein Baum aus dem Weg geräumt oder dort eine Ölspur beseitigt werden. Das alles könnte theoretisch auch ein Privatunternehmer machen. Also muss die Kommune als Träger der Feuerwehr dafür künftig wohl Umsatzsteuer blechen.

Und auch die selbstlose Hilfe zwischen benachbarten Gemeinden findet vor den EU-Bürokraten keine Gnade: Wenn Dorf A im Winter eingeschneit ist und Dorf B mit seinem Schneeräumer dem Nachbarort hilft, wird dafür künftig Mehrwertsteuer fällig: Denn das Freischaufeln hätte ja auch ein Bauer mit seinem Traktor erledigen können – für Geld, versteht sich.

Wir lernen: Selbstlosigkeit und Eigeninitiative zahlen sich in der EU nicht aus. Seien wir also einmal mutig. Sprechen wir es einmal aus:

Die EU ist eine einzige große Allmachts- und Allzuständigkeitsfantasie, in der eine entfesselte Klasse internationalistischer Bürokraten mit pathologischem Eifer Regeln zur Vereinheitlichung für buchstäblich alles absondert: für Tomaten genauso wie für Paternoster oder für Kondome.

Mit dem Ergebnis, dass die Tomaten wegen der Holländer nach Wasser schmecken, die Paternoster wegen der Griechen gar nicht mehr fahren dürfen und die Kondome wegen der Italiener zu klein sind.

Sollten Sie gerade bei Kaffee und Kuchen sitzen: guten Appetit.

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