Tichys Einblick
Achtung, Glosse

„Ausgerechnet Lauterbach“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach geht auf Wladimir Putin los – wirft ihm „narzisstische Geltungsbedürfnisse“ vor. Ausgerechnet dem Spiegel wird das zu viel.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Das habe ich jetzt davon. Aufgerissen hab’ ich’s. Das Maul. Gebt mir den Lauterbach, habe ich die Redaktion aufgefordert: der wirre Blick, die krausen Worte. Pures Comedy-Gold sei das und einfach in einer Glosse zu verarbeiten. Das hab’ ich jetzt davon: „Dann mach den Lauterbach“, sagt die Redaktion.

Denn über „narzisstische Geltungsbedürfnisse“ spricht Karl Lauterbach. Nicht in der Bild. Nicht während der Vorstellung seiner Biografie. Es geht um den Ukraine-Krieg und um Wladimir Putin. Wem Lauterbach und Putin in der Kombination jetzt zu weit hergeholt ist als Spannungsbogen für eine Glosse, der soll seine Beschwerde an die Realität schicken. Denn in der redet der deutsche Gesundheitsminister über den russischen Kriegsherrn.

Die Welt habe Besseres zu tun, als sich mit den Großmachtfantasien Putins zu beschäftigen. Und mit der Auswahl des Wortes „Besseres“ hat die Glosse noch gar nicht angefangen. Die Steigerung von „gut“ nutzt der Gesundheitsminister tatsächlich, um die Pandemie zu beschreiben. Er hätte sagen können: „Wichtigeres“ oder „Dringenderes“. Aber da hat der böse Onkel Sigmund in seinem Unterbewusstsein gesessen und ihn verraten.

Denn für Lauterbach war die Pandemie gut. Sogar eine Steigerung von gut: Hinterbänkler war er. Die Gesundheit hat ihm seine Fraktion nicht als Fachgebiet zugestanden. Den Vorsitz wollte ihm seine Partei auch nicht geben. Nicht mal jedes zehnte Mitglied hat ihn gewählt, als er kandidierte.

Doch dann kam die gute Pandemie und schmeichelte dem Ego Lauterbachs: keine Talkshow, in der nicht seine Zähne zu sehen waren. Medien sogen seine Worte so begierig auf wie ein Straßenhund ein Stück Fleischwurst. Und am Ende pushten sie ihn noch ins Amt des Gesundheitsministers. Kein Wunder, dass ein Mann wie Lauterbach an dieser Pandemie hängt. Zehn Jahre soll sie seiner Meinung nach noch dauern – mindestens.

Und jetzt kommt dieser Putin daher: Lässt die westliche Welt wie Schulbuben aussehen. Marschiert in ein souveränes Land ein und lässt Hunderte von Menschen töten. Keiner weiß, wie viele es am Ende sein werden. Aber was für Lauterbach noch viel, viel schlimmer ist: Er raubt ihm die Aufmerksamkeit. „Putin, Putin, Putin“ ist jetzt zu lesen und zu hören, wo es eigentlich „Lauterbach, Lauterbach, Lauterbach“ heißen müsste.

Aber Karl wäre nicht Lauterbach, wenn er nicht die passende Diagnose zur Hand hätte: „Narzisstische Geltungsbedürfnisse“ stellt er Putin in einer Ferndiagnose aus. Leute, die lediglich ein Studium der Psychologie abgeschlossen haben, würden vielleicht sagen, dass Ferndiagnosen immer heikel sind. Aber da steht Karl drüber. Vermutlich hat der Raketenwissenschaftler und König der rotweingetränkten Selfmade-Studien das zuhause ratzfatz ausgerechnet.

Apropos ausgerechnet. Der Spiegel benutzt dieses Wort. „Ausgerechnet der Spiegel“, möchte man sagen. Jenes Medium, das gerne den Lautsprecher gegeben hat, wenn König Panik seine Weltuntergangs-Phantasien in die Öffentlichkeit geplärrt hat, streut nun in einen Tweet über Lauterbach und die „narzisstischen Geltungsbedürfnisse“ ein „ausgerechnet“ hinein und impliziert damit, dass König Panik sich mit diesen Geltunsbedürfnissen ganz gut auskennt – und das nicht, weil Psychologie zu seinen zahllosen Fachrichtungen gehören würde.

Nun lebt Satire von der Überzeichnung. Der Humorist nimmt eine reale Begebenheit und spinnt sie ins Absurde weiter. Etwa so: Lauterbach spricht von narzisstischen Geltungsbedürfnissen – das ist wie Max, der Moritz einen Spitzbuben nennt. Oder ein ARD-Faktenchecker, der über Fake News klagt. Oder eine Merkel, die Scholz’ „Entschlossenheit“ lobt.

Das finden Sie alles nicht lustig? Das stimmt. Denn die Pointe muss zugespitzter sein als die Realität. Noch irrer. Aber was ist denn schon irrer als eine Aussage von Karl Lauterbach? Sehen Sie. Und da soll ich jetzt eine Glosse drüber schreiben. Ausgerechnet.

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