Tichys Einblick
Glosse: Kunstsonnenblumen für Kanzlerin a.D.

Roberts politische Patentante hat Geburtstag oder Angela Merkel wird 70

Glosse: Angela Merkel war in vielem, wenn es gegen die CDU ging, die Erste: die erste Generalsekretärin der CDU Deutschlands, die erste Vorsitzende einer großen deutschen Partei und, wenn es gegen Deutschland ging, natürlich die erste Bundeskanzlerin. Das schätzen die Grünen an ihr. Schließlich war Angela Merkel die beste Politikerin, die die Grünen je hatten.

picture alliance / Hans Lucas | Xose Bouzas

Angela Merkel wird siebzig und in rührender und unverbrüchlicher Anhänglichkeit hatte die CDU Angela Merkel einen großen Geburtstagstisch gedeckt mit Blümchenkaffee und Bienenstich, den Hendrik Wüst von einem Referenten schnell von der Ecke hatte holen lassen. Mitten auf dem Tisch prangten siebzig Elektrokerzen von einer Weihnachtsbaumbeleuchtung, weil man natürlich im Sinne der Klimakanzlerin a.D. die zum Klimatod führende Freisetzung von CO2 durch das rechtspopulistische Abbrennen von Wachskerzen verhindern wollte, desweiteren natürlich die Geburtstagskarte, die beinah zu großem Unheil geführt hätte, denn Merzens unbekannter Mitarbeiter hatte doch tatsächlich geschrieben: „In ihrer langen politischen Laufbahn hat sie unser Land und die deutsche Christdemokratie maßgeblich geprägt.“

Soweit so gut, doch dann setzte der gute Mann in einem unverantwortlichen Anfall von Wahrheitssucht fort: „Als Bundeskanzlerin führte sie Deutschland in zahlreiche, von ihr verursachte Krisen und Umbrüche. Angela Merkel hat sich gegen unser Land verdient gemacht.“ Es folgte die Auflistung: Durch das Offenhalten der Grenzen und die Einladung der vielen, vielen, von denen einige sogar Mama Merkel sagten, andere hingegen Deutschland kulturell bereicherten, dem in seiner Sicherheit ermüdeten Land wieder ein Gefühl von Abenteuer und Gefahr im Alltag schenkten, so dass seitdem die Lebensbedingungen täglich neu wie auf einem Basar ausgehandelt werden müssen. Die rührende Geste nicht zu vergessen, dass sie das Land allen, die beladen und es auch nicht sind, schenkte und dafür für eine Weile auf das anrüchige Wort „Deutsche“ verzichtete, sondern stattdessen von denen sprach, die schon länger hier leben und schon länger hier Steuern bezahlen, und von denen, die kürzlich dazugekommen sind und von den Steuern der länger hier Lebenden versorgt werden.

Für diese Selbstlosigkeit, in der den Deutschen ihr Selbst als Nation ausgetrieben wurde, gefiel es ihr, den Begriff „Willkommenskultur“ zu verwenden. In dieser wehrhaften Willkommenskultur galten natürlich alle diejenigen als unwillkommen, die keine Kultur darin zu erblicken vermochten, wenn man sich von der eigenen Kultur zu verabschieden hat. Doch Merzens unbekannter Mitarbeiter taumelte weiter im Wahrheitsdelirium: „Angela Merkel war in vielem, wenn es gegen die CDU ging, die Erste: die erste Generalsekretärin der CDU Deutschlands, die erste Vorsitzende einer großen deutschen Partei und, wenn es gegen Deutschland ging, natürlich die erste Bundeskanzlerin.“ Das schätzen die Grünen an ihr. Schließlich war Angela Merkel die beste Politikerin, die die Grünen je hatten.

Es ist wirklich niedlich, aber Robert Habeck, wahrscheinlich Kanzlerkandidat der Grünen von Annalena Baerbocks Gnaden, konnte vor lauter Aufregung, dass seine politische Patentante 70 Jahre alt wird, die Tinte nicht halten oder die Finger nicht von der Tastatur lassen, als er schon am 27.06., drei Wochen vor dem stattlichen Jubiläum, Angela Merkel in einem Beitrag nicht für die ZEIT, nicht für die Süddeutsche, sondern für die ein wenig in die Jahre gekommene Zeitschrift für Popkultur und Rockmusik „Rolling Stone“ den Geburtstag seiner politischen Patentante ein wenig zu ausführlich feierte. Der Grund für die Voreiligkeit besteht darin, dass Robert Habeck immer der erste sein will. Ein Wunder, dass er nicht schon im Januar gratuliert hatte. Dass Habeck ausgerechnet, das Rolling Stone Magazin auswählte, lag vielleicht daran, dass er einmal nicht für Kinder, sondern für Senioren schreiben wollte. Obwohl das auch für die ZEIT oder die Süddeutsche gegeben wäre. Aber: Freedom is just another word for nothing have to loose.

Vollkommen richtig schrieb der brave Neffe: „Eine von Angela Merkels großen Leistungen ist unverkennbar, dass sie über sechzehn Jahre lang die Union in der Mitte gehalten, sie immun gegen die Versuchung des rechten Populismus gemacht hat.“ Voila! Besser hätte man gar nicht ausdrücken können, dass es Angela Merkel gelungen ist, aus einer tiefschwarzen eine tiefgrüne Partei zu machen, die Christi Kreuz gegen Trittins Windrad eintauschte. Das Meisterwerk der politischen Geschlechtsumwandlung zum politisch Diversen gelang ihr in der asymmetrischen Demobilisierung. Recht hat Robert Habeck auch damit: „Elf von siebzehn Atomkraftwerken wurden während der Regierungszeit von Angela Merkel abgeschaltet, drei weitere gingen, gute drei Wochen nach dem die Kanzlerin aus dem Amt geschieden war, vom Netz.“ Es ist eine schöne Geste, eine der wirklich echten und großen Gesten der Bescheidenheit, wie man sie nur von Robert Habeck und Annalena Baerbock kennt, wenn Robert Habeck die deutsche Energiewende, die Deindustrialisierung Deutschlands, den Zusammenbruch der inneren Sicherheit und der Infrastruktur nicht allein als sein Werk beansprucht, sondern Angela Merkels beträchtliche Vorarbeit würdigt.

Aber Robert Habeck scheut sich an diesem Ehrentag auch nicht, Kritik an der politischen Patentante zu üben, weil sie eben vieles nicht so beherzt, so skrupellos angepackt hatte wie Robert Habeck es jetzt leider tun muss. Die Wertschöpfung in Deutschland hätte längst schon vernichtet sein können, wenn Merkel nicht so bedächtig vorgegangen wäre und mit Schröders Vorrat nicht gehaushaltet hätte: „Konnte Merkel nur sechzehn Jahre Kanzlerin sein und die Union als Volkspartei in der Mitte halten, ja sie in der Mitte progressiv aufstellen, weil sie viele notwendige Entscheidungen, die Veränderungen bedeutet hätten, eben nicht traf?“ Die Posaunen ertönen hier noch zurecht, aber schon leiser, denn in der Tat hat Merkel die CDU ins grüne Lager geführt. „Als Beleg für diese These können die Zeiten dienen, in denen die Wirklichkeit in die Normalität der Merkel’schen Regierungen einbrach und man ihr nicht länger ausweichen konnte. Die Euro-Krise führte zur Gründung der AfD, die Aufnahme syrischer Flüchtlinge zu ihrem Erstarken, Corona zu ihrer Radikalisierung. Merkel tat in diesen Krisen, was getan werden musste.“ Und was getan werden musste, nach Meinung des Gründemokraten, war: alle in das deutsche Sozialsystem zu lassen, die Einlass begehrten, jeden Widerspruch dagegen mit Medien- und Staatsgewalt zu marginalisieren und als rechts im Sinne von rechtsradikal zu framen, die Bürger in der Merkel-Pandemie einiger Grundrechte zu berauben, die Grundlagen für eine Verordnungs-Diktatur zu legen, eine Landtagswahl rückgängig zu machen und Diskussionsorgien zu beenden. Gerührt endet der politische Neffe: „Ich bin Angela Merkel in den letzten Monaten einige Male begegnet. Einmal vor einigen Wochen bei der Verabschiedung von Jürgen Trittin. Merkel hielt die Abschiedsrede. Ihr gelang es in nur zehn Minuten, Jürgen Trittin die Ehre zu geben, glaubhaft und anständig…“

Der CDU wird wohl weit weniger Glück beschieden sein, dass ihr Angela Merkel am heutigen Tag die Ehre gibt, „glaubhaft und anständig…“ an der für sie gedeckten Tafel Platz zu nehmen.

Hendrik Wüst und Friedrich Merz hatten die Katastrophe noch rechtzeitig erkannt und den Text der Geburtstagskarte umformuliert, und zwar so: „In ihrer langen politischen Laufbahn hat sie unser Land und die deutsche Christdemokratie maßgeblich geprägt. Als Bundeskanzlerin führte sie Deutschland durch zahlreiche Krisen und Umbrüche. Angela Merkel hat sich um unser Land verdient gemacht. Angela Merkel war in vielem die Erste: die erste Generalsekretärin der CDU Deutschlands, die erste Vorsitzende einer großen deutschen Partei und natürlich die erste Bundeskanzlerin.“

Kommen wird Angela Merkel zu Geburtstagsfeier dennoch nicht. Es scheint, dass sie die CDU dafür zutiefst verachtet, für das, was sie mit ihr und was sie aus ihr machen konnte. Im September, heißt es, gibt die CDU einen Empfang für Angela Merkel in der Akademie der Wissenschaften. Der Ort könnte nicht falscher gewählt sein, schließlich wäre Drostens Arbeitszimmer angemessener gewesen. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp soll einen Vortrag halten. Mit den Mauern des Vatikans kennt er sich aus, vielleicht erläutert er bei der Gelegenheit, was Brandmauern wirklich sind, nämlich die Voraussetzung für Nähe.

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