Tichys Einblick
Cancel Culture

Trotz Absage an Winnetou: Die ARD lebt von problematischen Filmen

Die ARD will die Winnetou-Filme nicht mehr zeigen – wegen der vermeintlich stereotypen Darstellung von Indianern. Dünnes Eis. Denn vor allem die Dritten Programme leben von Filmen mit „problematischen Inhalten“.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Ein Blick in die Zukunft: An Heiligabend zeigt die ARD Sissi. Gegen 16 Uhr. Den ersten Teil. Der zweite und der dritte Teil folgen am Weihnachtstag. So zwischen 15 und 19 Uhr. Am Heiligabend um 20.15 Uhr läuft „Die Feuerzangenbowle“ und am Freitag davor zur gleichen Zeit „Der kleine Lord“ mit Alec Guiness. Rund um das Fest zeigen das Erste und die Dritten zudem knapp 20-mal „Drei Hasselnüsse für Aschenbrödel“. Mit Wahrsagerei hat das nichts zu tun. Dieses Programmschema ist seit Jahren eingespielt. Die ARD und ihre Sender haben sich ziemlich stark festgelegt auf ihr Filmangebot – nicht nur zur Weihnachtszeit.

Doch diese Praxis stellt die ARD nun selbst in Frage. Nachdem der Ravensburger-Verlag kommerziell erfolgreiche Winnetou-Bücher wegen Beschwerden zurückgezogen hat, meldete sich das Erste zu Wort – wenn es um woke Cancel Culture geht, wollen die öffentlich-rechtlichen Haltungszeiger schließlich nicht fehlen. Die überaus beliebten Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker sollen nicht mehr laufen. Nicht im Ersten und nicht in den Dritten. Wie so oft bei edlen Zeichen hält die Realität dahinter einem Check nicht stand.

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So bemäkeln woke Canceler ebenso wie die ARD, dass in den Winnetou-Filmen Stereotype zu sehen seien und die Wirklichkeit nicht realistisch wiedergegeben werde. Nun trifft das auf nahezu alle Klassiker zu, die zum festen Repertoire der ARD gehören. Das geht schon bei Sissi los. Darin ist ein Hofleben zu sehen, das mit dem tatsächlichen des 19. Jahrhunderts herzlich wenig zu tun hat. So sind Filmemacher nun mal: Sie wollen schöne Bilder produzieren und Menschen unterhalten – und nicht wie Dörte-Solveig Bindestrich-Doppelnamen die Erkenntnisse verbreiten, die sie sich in 17 Semestern Soziologie angeeignet hat. Schon an dieser fehlenden Nähe zur Realität scheitern nahezu alle Filme, die in der ARD zu sehen sind.

Doch nimmt man den politischen Anspruch ernst, den woke Canceler vor und hinter dem ARD-Programm predigen, ist vieles erst recht nicht mehr zu halten. Das geht schon bei den scheinbar unpolitischen Sissi-Filmen los. Die Unterdrückung Nord-Italiens wird in den Filmen verharmlost und parodiert, die Unterdrückung Bosniens ignoriert. Ebenso beschönigt wird die Rolle Franz-Josephs in der Unterdrückung und Verfolgung politischer Opposition.

Die Feuerzangenbowle ist erst recht problematisch. Nicht allein wegen ihrer Herstellungsgeschichte. Der Film war 1944 erst von einer untergeordneten Behörde verboten worden, weil die Komödie die Autorität von Lehrern herabsetze. Daraufhin ist Heinz Rühmann mit den Rollen an die Front gefahren und hat Adolf Hitler in seinem Führerbunker aufgesucht. Der habe gefragt, so die Legende, ob der Film lustig sei. Als Rühmann dies bejahte, erhielt er die Freigabe für die letzten noch laufenden Kinos. Doch auch im Film selbst gibt es heikle Passagen – und zwar rund um den Lehrer Dr. Brett. Während das Kollegium die Pädagogen der Kaiserzeit und der Weimarer Republik verkörpert, stellt er den Geist des Nationalsozialismus dar, ist ein dufter Kerl, der die Jungs zwar versteht, aber mit harter Hand auch in die richtige Richtung führt. NS-Propaganda. Nicht die einzige im Werk Rühmanns. Die Feuerzangenbowle ist ein schöner, gelungener Film. Aber nimmt die ARD sich und ihren woken Anspruch ernst, müsste sie den Film ebenso canceln.

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Genau wie Hatari. Den zeigt der Bayerische Rundfunk am Freitag, 9. September. Zu sehen ist ein Team von Großwildjägern, das Tiere für europäische Zoos einfängt. Es gibt die Figur „Der Indianer“. Eine Nebenrolle. Zu Beginn des zweieinhalb Stunden langen Films hat er einen schweren Unfall, dann taucht er gegen Ende wieder auf, kommt aber auf keine zehn Sätze im ganzen Film. Die anderen Großwildjäger sind alle weiße Amerikaner und Europäer. Schwarze Einheimische kommen darin ebenfalls vor. Sie haben aber keinen Text, sind als unbeholfen und nur wenig zivilisiert dargestellt.

Die Weißen unterhalten sich über die Schwarzen als eine Mischung aus Naiven, Abergläubigen und Zurückgebliebenen. Dazu kommt noch das Grundthema des Films: die Jagd freier Tiere für ein Zurschaustellen im Zoo. Ob die Tierschutz-Organisation Peta Hatari kennt? Der Film ist immer noch Spitzenklasse: ein solides Drehbuch mit lustigen wie spannenden Momenten, unvergleichliche Aufnahmen der südostafrikanischen Natur und ein großartiges Darstellerteam in bester Spiellaune. Doch nimmt die ARD ihren woken Anspruch ernst, kann sie kaum das Einfangen von Großwild gutheißen. Erst recht nicht die stereotype Darstellung der Schwarzafrikaner.

Zum besagten Darstellerteam gehört in der Hauptrolle John Wayne. Die Großwildjagd und einige Kriegsfilme waren Ausreißer – bekannt ist er vor allem für seine Westernfilme. El Dorado zeigt der RBB an diesem Samstag, 27. August. Ein unproblematischer Film. Wayne und Robert Mitchum kämpfen gegen einen Viehbaron, das lässt sich noch als Kapitalismuskritik werten. Doch was ist mit Chisum? Darin schützt Wayne die Rechte kleiner mexikanischer Bauern – der echte John Chisum ließ die aber erschießen, um an ihr Land zu kommen. Oder Hondo? Darin verkörpert er ein ultrakonservatives Männerbild – wirft einen Jungen in den Fluss, damit der schwimmen lernt. Oder all die Westernfilme, in denen Wayne reihenweise angreifende Indianer abknallt? Belässt die ARD sie in ihrem Programm, ist das Canceln der Winnetou-Filme nicht nur kulturell fraglich – sondern inhaltlich absurd. Geht es doch in den deutschen Winnetou-Filmen um die Versöhnung zwischen weißer und indianischer Kultur.

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Filme – auch und gerade historische – verkörpern immer mehr die Zeit ihrer Entstehung als die Zeit, die sie darstellen. Die amerikanischen Western der 50er Jahre waren vom Kalten Krieg geprägt und rechtfertigten die Sheriff-Rolle, die Amerika in der Welt übernommen hatte. Die deutschen Western haben den Völkermord an den Indianern historisch unkorrekt dargestellt. Ja. Sie verharmlosen diesen. Ja. Aber sie stellen ihn dar und kritisieren ihn auch. Gedreht sind sie worden für ein Publikum, das gerade nicht nur einen Völkermord erlebt – sondern selbst verschuldet hat. Die Winnetou-Filme waren vor allem kommerzielle Werke, die ein Millionen-Publikum erreichen wollten und erreicht haben. Kulturell sind sie aber ein Heranführen des Publikums an die Schuldfrage: die Schuld der weißen Amerikaner gegenüber den Indianern, aber im Subtext auch an die eigene, deutsche Schuld. 60 Jahre später lässt sich die codierte Behandlung leicht kritisieren. Nach „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ ist jede Darstellung der Nazi-Verbrechen denkbar. Doch auch der amerikanische Film hat 30 bis 45 Jahre gebraucht, um so an das Thema herangehen zu können.

Die historische Echtheit ist das dünnste Argument, wenn es darum geht, Filme verurteilen zu wollen. Historische Echtheit ist nicht das Ziel fiktionaler Filme, sie daran zu messen absurd. Adolf Hitler ist zurecht als größter Massenmörder in die Geschichte eingegangen. Charlie Chaplin oder Helge Schneider haben ihn als Witzfigur dargestellt. Ist das zu kritisieren? Muss das heute gecancelt werden? Nein. Es verfolgt ein künstlerisches Konzept, aus dem heraus die ahistorische Darstellung gerechtfertigt und gelungen ist.

Das zweite Argument gegen Winnetou sind die Stereotype. Ja. Stereotype können heute ein Problem sein. Am 9. September 2022 um 23.05 Uhr Schwarzafrikaner als zurückgebliebene Idioten darzustellen, ist problematisch. Der Bayerische Rundfunk tut es dennoch. Der BR tut es, weil Hatari ein großartiger Film ist. Aber vor allem tut es der BR aus Opportunismus. Winnetou cancelt die ARD, weil die woken Kinderchen den Film entdeckt und zu weinen angefangen haben. Und damit die Kinderchen nicht weinen, gibt die ARD nach. Anders als Winnetou lässt sie Hatari zu, aber nicht weil der aus der woken Sicht weniger problematisch wäre. Sondern schlicht, weil den noch niemand aus der kleinen Aktivisten-Gruppe entdeckt hat, die hinter Cancel-Kampagnen stehen.

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Unentdeckte Stereotype in Filmen gibt es viele. Auch und gerade in Filmen, die immer wieder in der ARD zu sehen sind. Etwa in der Immenhof-Trilogie. Darin geht es um ein Gestüt, das gleichermaßen ein Kinder-Paradies wie hoch verschuldet ist. In ihrer Not wendet sich „Oma Jansen“ an einen Wucherer. Der jiddelt und hat eine Menora in seinem Kramerladen stehen. Zehn Jahre nach dem Holocaust hat jeder diesen Code für Juden als vermeintlich halsabschneiderische Geldverleiher erkannt. Trotzdem war diese Szene schon mehrere Dutzende mal in ARD-Sendern zu sehen. Woke Aktivisten werden sie kaum kritisieren, wenn sie nicht gerade canceln, sind sie oft genug in Personalunion auch „Israelkritiker“.

Würde die ARD konsequent canceln, bliebe vieles übrig, was vielleicht politisch korrekt, aber doch Schrott ist. Allen voran die Eigenproduktionen. Deren Stereotype sind zwar politisch korrekt, aber dafür umso platter: Sissi droht in der Ausbildung zur Reha-Trainerin zu scheitern – da soll sie sich um den erblindeten, verbitterten Geldsack Theo Olsson kümmern. Gymnasiallehrer Fabian hat einst sein Abi-Zeugnis gefälscht, innerhalb eines Jahres soll er das Abi nachholen. Greta will auf einer Finca ihre zerstrittenen Kinder versöhnen …

Doch besser wird es nicht, wenn sich die ARD bei historischen Kinofilmen bedient. Der MDR wiederholt (zum wievielten Mal eigentlich) die Olson-Reihe. Dümmliche Gaunerkomödien, die obendrein grottenschlecht synchronisiert sind. Und der Bayerische Rundfunk beglückt seine Zuschauer wieder mal mit „Lümmeln“. Sonntags zur besten Sendezeit zeigt Bayern 3 „Die Lümmel von der ersten Bank“. Das Drehbuch ist banal, die Streiche auch und die Lehrer entsprechen Stereotypen – aber weißen. Also lümmeln die Dritten 55 Jahre nach der Premiere immer noch mit Hansi Kraus, ohne dass sich Woke daran stören.

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