Ein Blick in die Zukunft: An Heiligabend zeigt die ARD Sissi. Gegen 16 Uhr. Den ersten Teil. Der zweite und der dritte Teil folgen am Weihnachtstag. So zwischen 15 und 19 Uhr. Am Heiligabend um 20.15 Uhr läuft „Die Feuerzangenbowle“ und am Freitag davor zur gleichen Zeit „Der kleine Lord“ mit Alec Guiness. Rund um das Fest zeigen das Erste und die Dritten zudem knapp 20-mal „Drei Hasselnüsse für Aschenbrödel“. Mit Wahrsagerei hat das nichts zu tun. Dieses Programmschema ist seit Jahren eingespielt. Die ARD und ihre Sender haben sich ziemlich stark festgelegt auf ihr Filmangebot – nicht nur zur Weihnachtszeit.
Doch diese Praxis stellt die ARD nun selbst in Frage. Nachdem der Ravensburger-Verlag kommerziell erfolgreiche Winnetou-Bücher wegen Beschwerden zurückgezogen hat, meldete sich das Erste zu Wort – wenn es um woke Cancel Culture geht, wollen die öffentlich-rechtlichen Haltungszeiger schließlich nicht fehlen. Die überaus beliebten Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker sollen nicht mehr laufen. Nicht im Ersten und nicht in den Dritten. Wie so oft bei edlen Zeichen hält die Realität dahinter einem Check nicht stand.
Doch nimmt man den politischen Anspruch ernst, den woke Canceler vor und hinter dem ARD-Programm predigen, ist vieles erst recht nicht mehr zu halten. Das geht schon bei den scheinbar unpolitischen Sissi-Filmen los. Die Unterdrückung Nord-Italiens wird in den Filmen verharmlost und parodiert, die Unterdrückung Bosniens ignoriert. Ebenso beschönigt wird die Rolle Franz-Josephs in der Unterdrückung und Verfolgung politischer Opposition.
Die Feuerzangenbowle ist erst recht problematisch. Nicht allein wegen ihrer Herstellungsgeschichte. Der Film war 1944 erst von einer untergeordneten Behörde verboten worden, weil die Komödie die Autorität von Lehrern herabsetze. Daraufhin ist Heinz Rühmann mit den Rollen an die Front gefahren und hat Adolf Hitler in seinem Führerbunker aufgesucht. Der habe gefragt, so die Legende, ob der Film lustig sei. Als Rühmann dies bejahte, erhielt er die Freigabe für die letzten noch laufenden Kinos. Doch auch im Film selbst gibt es heikle Passagen – und zwar rund um den Lehrer Dr. Brett. Während das Kollegium die Pädagogen der Kaiserzeit und der Weimarer Republik verkörpert, stellt er den Geist des Nationalsozialismus dar, ist ein dufter Kerl, der die Jungs zwar versteht, aber mit harter Hand auch in die richtige Richtung führt. NS-Propaganda. Nicht die einzige im Werk Rühmanns. Die Feuerzangenbowle ist ein schöner, gelungener Film. Aber nimmt die ARD sich und ihren woken Anspruch ernst, müsste sie den Film ebenso canceln.
Die Weißen unterhalten sich über die Schwarzen als eine Mischung aus Naiven, Abergläubigen und Zurückgebliebenen. Dazu kommt noch das Grundthema des Films: die Jagd freier Tiere für ein Zurschaustellen im Zoo. Ob die Tierschutz-Organisation Peta Hatari kennt? Der Film ist immer noch Spitzenklasse: ein solides Drehbuch mit lustigen wie spannenden Momenten, unvergleichliche Aufnahmen der südostafrikanischen Natur und ein großartiges Darstellerteam in bester Spiellaune. Doch nimmt die ARD ihren woken Anspruch ernst, kann sie kaum das Einfangen von Großwild gutheißen. Erst recht nicht die stereotype Darstellung der Schwarzafrikaner.
Zum besagten Darstellerteam gehört in der Hauptrolle John Wayne. Die Großwildjagd und einige Kriegsfilme waren Ausreißer – bekannt ist er vor allem für seine Westernfilme. El Dorado zeigt der RBB an diesem Samstag, 27. August. Ein unproblematischer Film. Wayne und Robert Mitchum kämpfen gegen einen Viehbaron, das lässt sich noch als Kapitalismuskritik werten. Doch was ist mit Chisum? Darin schützt Wayne die Rechte kleiner mexikanischer Bauern – der echte John Chisum ließ die aber erschießen, um an ihr Land zu kommen. Oder Hondo? Darin verkörpert er ein ultrakonservatives Männerbild – wirft einen Jungen in den Fluss, damit der schwimmen lernt. Oder all die Westernfilme, in denen Wayne reihenweise angreifende Indianer abknallt? Belässt die ARD sie in ihrem Programm, ist das Canceln der Winnetou-Filme nicht nur kulturell fraglich – sondern inhaltlich absurd. Geht es doch in den deutschen Winnetou-Filmen um die Versöhnung zwischen weißer und indianischer Kultur.
Die historische Echtheit ist das dünnste Argument, wenn es darum geht, Filme verurteilen zu wollen. Historische Echtheit ist nicht das Ziel fiktionaler Filme, sie daran zu messen absurd. Adolf Hitler ist zurecht als größter Massenmörder in die Geschichte eingegangen. Charlie Chaplin oder Helge Schneider haben ihn als Witzfigur dargestellt. Ist das zu kritisieren? Muss das heute gecancelt werden? Nein. Es verfolgt ein künstlerisches Konzept, aus dem heraus die ahistorische Darstellung gerechtfertigt und gelungen ist.
Das zweite Argument gegen Winnetou sind die Stereotype. Ja. Stereotype können heute ein Problem sein. Am 9. September 2022 um 23.05 Uhr Schwarzafrikaner als zurückgebliebene Idioten darzustellen, ist problematisch. Der Bayerische Rundfunk tut es dennoch. Der BR tut es, weil Hatari ein großartiger Film ist. Aber vor allem tut es der BR aus Opportunismus. Winnetou cancelt die ARD, weil die woken Kinderchen den Film entdeckt und zu weinen angefangen haben. Und damit die Kinderchen nicht weinen, gibt die ARD nach. Anders als Winnetou lässt sie Hatari zu, aber nicht weil der aus der woken Sicht weniger problematisch wäre. Sondern schlicht, weil den noch niemand aus der kleinen Aktivisten-Gruppe entdeckt hat, die hinter Cancel-Kampagnen stehen.
Würde die ARD konsequent canceln, bliebe vieles übrig, was vielleicht politisch korrekt, aber doch Schrott ist. Allen voran die Eigenproduktionen. Deren Stereotype sind zwar politisch korrekt, aber dafür umso platter: Sissi droht in der Ausbildung zur Reha-Trainerin zu scheitern – da soll sie sich um den erblindeten, verbitterten Geldsack Theo Olsson kümmern. Gymnasiallehrer Fabian hat einst sein Abi-Zeugnis gefälscht, innerhalb eines Jahres soll er das Abi nachholen. Greta will auf einer Finca ihre zerstrittenen Kinder versöhnen …
Doch besser wird es nicht, wenn sich die ARD bei historischen Kinofilmen bedient. Der MDR wiederholt (zum wievielten Mal eigentlich) die Olson-Reihe. Dümmliche Gaunerkomödien, die obendrein grottenschlecht synchronisiert sind. Und der Bayerische Rundfunk beglückt seine Zuschauer wieder mal mit „Lümmeln“. Sonntags zur besten Sendezeit zeigt Bayern 3 „Die Lümmel von der ersten Bank“. Das Drehbuch ist banal, die Streiche auch und die Lehrer entsprechen Stereotypen – aber weißen. Also lümmeln die Dritten 55 Jahre nach der Premiere immer noch mit Hansi Kraus, ohne dass sich Woke daran stören.