Tichys Einblick
Peak Woke - Quoten all-time low

„Persönlichkeit“ statt Modeln – Das Finale von GNTM

Wie schon seit mehreren Jahren, geht es bei GNTM nicht mehr in erster Linie ums Modeln. Gut, Kritiker würden jetzt sagen, das tat es noch nie. Jetzt hat das Ganze allerdings seinen Höhepunkt erreicht. Wo früher hauchdünne Persönchen die Krone holten, laufen heutzutage Transpersonen, Gehörlose, Übergewichtige und Omas über den Laufsteg. Das Feuilleton ist happy - die Einschaltquoten auf einem historischen Tiefstwert.

© ProSieben/Claudius Pflug

Alles was ich über Germany’s Next Topmodel – und insbesondere die diesjährige Staffel – weiß, weiß ich komplett unfreiwillig. Vielleicht geht es Ihnen nicht anders. Trotzdem darf die Staffel von 2023, die nun zu Ende gegangen ist, nicht unkommentiert bleiben. Wie schon seit mehren Jahren, geht es bei GNTM nicht mehr in erster Linie ums Modeln. Gut, Kritiker würden jetzt sagen, das tat es noch nie. Jetzt hat das allerdings seinen Höhepunkt erreicht. Wo früher nur hauchdünne blonde Persönchen die Krone holten, laufen heutzutage Transpersonen, Gehörlose, Übergewichtige und sogar Omas über den Laufsteg. Gerade deshalb steht die aktuelle Staffel nun im Fokus der Aufmerksamkeit und Kritik.

2023 ist das Jahr, in dem mit der 23-Jährigen Halbbrasilianerin Vivien das erste Mal ein Plus-Size-Model gewinnt. Die Siegerin der diesjährigen GNTM-Staffel Vivien ist übergewichtig, ihre Konkurrentinnen aus dem Contest auf den Plätzen 2 und 3 beide „Person of color“. Auf Platz 5 schafft es die fast fünfzigjährige Nicole und das einzige Model, das treue GNTM-Zuschauerinnen von Stunde Null als im herkömmlichen Sinne Germany’s Next Topmodel Durchschnitt bezeichnen würden, ist die 18 Jährige Selma, auf Platz 4. Selma galt die ganze Staffel über als Favoritin – nicht, weil sie dünn und weiß ist, sondern weil sie einen Job nach dem anderen absahnte und in keiner Runde schlecht abschnitt.

Wer glaubt, dass sich hieran nur die bösen Rechten stören, liegt tatsächlich falsch. Die Videos, die der GNTM-Account vom großen Finale auf YouTube gepostet hat, sind voll von solchen Kommentaren: „Diversion um jeden Preis, die weißen Models fliegen zuerst raus.“ „Ich denke, das war die letzte Staffel GNTM, die ich mir angesehen habe.“ „Hat nichts modeln zu tun, aber ok“ „Selma wurde verarscht.“ In den sozialen Medien ist auch Flaute – ansonsten brachen die neuesten Entwicklungen der letzten Folge quasi im Livestream über einen herein, sobald man Twitter öffnete. Die Medien melden einen historischen Tiefstwert der Einschaltquoten. Während vor zwei Jahren noch 2,97 Millionen bei der Liveübertragung des Finales einschalteten, waren es dieses Jahr nur noch 1,66 Millionen. Aber klar – es ist ja auch langweilig, wenn man schon von vornherein weiß, wer gewinnt.

Screenprint: statista.de

 

Für mich ist diese Entwicklung seltsam zu beobachten. Anders als alle meine Klassenkameradinnen, habe ich GNTM nie geschaut und war damit immer eine Außenseiterin. Nicht, weil ich mich nicht für Mode interessiere, sondern weil ich mich da eher an Karl Lagerfeld halte: Heidi Klum? Nie gehört. Claudia Schiffer auch nicht.  Während ich nie genau wusste, was in den Sendungen wirklich abging, bekam ich allerdings die Wirkung, die sie auf meine Freundinnen hatte, deutlich zu spüren. Plötzlich waren alle auf Diät, sahen ihre breiter gewordenen Hüften als Übergewicht statt als Werk der Pubertät und trainierten sich schon mit zwölf Jahren ihren „Sexy Catwalk“ an. Jetzt muss man „Persönlichkeit“ haben. Die haben sich die meisten zwischen ihren Saftdiäten und Victorias Secret Tangas allerdings nie antrainiert.

Das macht allerdings auch nichts. Aufopferungsvoll habe ich mir nun zumindest das Finale der GNTM-Staffel angeschaut, und ich kann Ihnen berichten, dass es genial sein könnte – wenn es denn Satire wäre. Die Show beginnt mit einem großen Tanzakt. Mit von der Partie sind Matrosen in bauchfreier Uniform, übersäht mit Strasssteinchen, halbnackte Frauen mit Raketen-BH – und alle tragen übergroße Barockperücken. Man muss es gesehen haben, man kann es kaum in Worte fassen. Falls Ihnen das etwas sagt: Stellen Sie sich den extravaganten Moderator Ruby Rhod aus „Das Fünfte Element“ vor, aber als Choreografie. Da die Kostüme aus dem Film seinerzeit von Jean Paul Gaultier entworfen wurden – und dieser als Gastjuror in diesem Finale in der Jury sitzt, dürfte ich mit diesem Vergleich mittenmang getroffen haben. Anders als im Film, rettet uns in dieser Show aber kein Bruce Willis. Diese Parallele trifft sich trotzdem auch abseits der Kostüme super. Schließlich war die überdrehte und oberflächliche Art der Charaktere im Film absichtlich und satirisch so überzeichnet – um genau solche Shows wie die von Heidi Klum zu karikieren.

„Das Böse“, das im 1997er Fantasy-Film auf die Erde zukommt, dürfte in dieser Sendung durch niemand geringeres als Heidi Klum verkörpert werden. Die tut zwar so, als wäre dies noch ein fairer Wettbewerb, doch ist er heute noch weniger als zu Beginn des Sendekonzepts. Der Maßstab ist nicht Leistung, sondern das Woke-Barometer. Doch die politisch-korrekte Krönung ist nur die Spitze des Eisbergs. Als wäre dieser Zickenkrieg nicht schon hart und erbarmungslos genug, haben eigentlich alle verloren. Die wahre Gewinnerin hat die Krone schon vor 19 Jahren in die Wiege gelegt bekommen: Leni Klum. Sie und Heidi Klum waren die letzten Wochen heiß im Trend, nachdem sie zusammen ein Mutter-Tochter-Unterwäsche-Shooting gemacht haben. Den Vorwurf, Heidi würde ihre Tochter als Frischfleisch vermarkten, muss sie sich auch hier gefallen lassen. Parallel zur großen Tanzshow laufen die Top 5 Kandidatinnen über den Catwalk – sie alle sind die Stars der Show, bis sie es plötzlich nicht mehr sind. Dann kündigt der Sänger Leni an, die im engen Kleidchen, das ihr kaum über den Po reicht, in die Choreografie mit einsteigt. Die Models sieht man gar nicht mehr. Am Ende bedankt sich Heidi mit einem gekünstelten Luftküsschen, „Das hast Du ganz toll gemacht“. Die Kamera schwenkt zu Leni Klum, die wir nun von hinten über die Bühne laufen sehen, während sie versucht, ihr Kleid über den Po zu ziehen.

Andauernd wird über die Sendung hinweg eine posende Leni eingeblendet – soll sie zur Nachfolgerin ihrer Mutter für Germany`s Next Topmodel aufgebaut werden oder was passiert hier? Als nach zwei Rausschmissen nur noch die Top 3 von 5 Kandidatinnen übrig sind, ist es an Leni Klum (19), das Model Vivien (23) – die sich später als Gewinnerin herausstellen wird – zu bewerten. Trotz deutscher Mutter spricht Leni nur Englisch fließend, ihre Muttersprache klingt dann so: „Ich mein Vivien, isch liebe dich. Du bist mega, du siehst mega aus. Immer. Die Leute lieben Dir und die Kamera liebt Dir und aaaaaaaaaah (hier bitte hohes Kreischen einfügen, eben doch typisch die Mama) Du bist super stark, isch liebe Disch!“ Man munkelt schon lange, dass Heidi Klum die Sendung an ihre Tochter übergeben will, doch die kann diese Rolle zumindest noch nicht annähernd ausfüllen. Sie selbst steht noch ganz am Anfang ihrer Karriere, die ihre Mutter unterstützt und befördert. Mama Heidi selbst hat sich in ihrer neuen Rolle in ihrem Woke-Festival auch noch nicht eingefunden. In der einen Minute tönt sie: „Es gibt keine Verlierer heute!“, in der nächsten kräht sie zum hundertsten Mal: „Es kann nur eine Germany`s Next Topmodel werden!“

Man mag erstmal denken, dass Übergewicht, Transsexualität und linke Denke in der Welt von Glitzer, Gold und Victorias Secret Engeln keinen Platz haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: All das passt perfekt in die Welt der Mode, weil es selbst Mode ist. „Ich wurde vor 20 Jahren im Körper eines Jungen geboren“ – was soll man da als stinknormales Durchschnittsmädchen noch sagen? Das toppt ja nur noch ein Brand im Kinderheim. Was solche Themen unter der Oberfläche auch für die Betroffenen bedeuten, interessiert keinen in der Sendung. Es ist neu, es ist spannend, es ist anders. Das reicht bereits. Das gleiche mit Übergewicht. Jedes Model bei Klum, das jemals mehr als 50 Kilo gewogen hat, wurde immer als „Naturgewalt“ oder „große Persönlichkeit“ und „selbstbewusst“ bezeichnet. Nicht wegen ihres Charakters. Sondern weil eine Frau wie Heidi Klum, die selbst mit ihren 50 Jahren keine Falte und kein Gramm Fett am Leib haben darf, sich gar nicht vorstellen kann, so jemals das Haus zu verlassen. Wer so aussieht und sich in ihre Sendung traut – der muss einfach selbstbewusst sein! Wieder etwas, womit sie nie in Berührung kommt – und schon ist es en vogue. Tatsache ist, dass sich hier niemand für die Gefühle dieser Mädchen interessiert. Es ist Mode, die wieder out sein wird, genauso wie die Mädchen es nach Sendeschluss sein werden. „Awww Olivia, ich liebe Oliven!“, tönt Heidi dem Model auf Platz 3 zum Abschied hinter her. Olivia sieht nicht so aus, als hätte sie den Spruch zum ersten Mal gehört, zwingt sich aber trotzdem und im Angesicht der Niederlage ein Lächeln ab.

Am meisten tut es mir für Selma leid. Selma ist mit langem seidigen braunem Haar in die Sendung gekommen. Heidi hat aus ihr eine pinke Schreckschraube gemacht. Schulterlang, mit so vielen Stufen, dass sie aussehen wie abgerissen. Dazu platinblond gebleichtes Haar mit leichter pinker Tönung. Ihr Haar ist so in der Struktur angegriffen, dass sie sich wahrscheinlich anfasst wie Stroh. Gesund ist da gar nichts mehr. Sie sieht aus wie eine Barbie-Puppe, die einem kleinen Mädchen zum Opfer gefallen ist, das Friseur spielen wollte. So geht Heidi mit Frauen um, die hübscher sein könnten als sie. Die Hässlichen macht sie zu Königinnen. Dabei hat Selma es sogar mit ihren zerstörten Haaren geschafft, nach Model auszusehen. Ein bisschen hat sie an Milla Jovovich in ihrer Rolle als Leelo, das Fünfte Element höchst selbst erinnert. Deren Schönheit konnte auch nicht durch die zerzausten neon orangen Haare zerstört werden, die man ihr im Film verpasste. Sie war und ist eben ein echtes Topmodel. Nicht so wie Heidi Klum – die beruflich anderen die Haare zerstört, selbst aber seit 50 Jahren immer die gleiche Frisur trägt. Aber sie war ja auch noch nie als Topmodel in Paris. Es reicht allerdings trotzdem, eine Sendung für Mädchen zu produzieren, die noch verlorener sind als sie selbst.

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