Tichys Einblick
Linguistischer Rückblick auf die EU-Wahl

Gender*parteien stürzen ab

Gendern oder nicht gendern – das scheint nicht nur eine sprachliche Frage zu sein, sondern auch eine politische: Bei der EU-Wahl am 9. Juni haben in Deutschland die Genderstern-Parteien GRÜNE und LINKE massiv verloren, hingegen AfD und BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht), die überhaupt nicht gendern, enorm gewonnen.

IMAGO

Die deutschen Parteien haben im Parlament der EU 96 Sitze (von insgesamt 720). Bei der EU-Wahl 2024 verloren gegenüber der Wahl 2019 GRÜNE und LINKE 40 % ihrer Sitze (9 von 21 bzw. 2 von 5), hingegen gewann die AfD 40 % hinzu (6 von 15). Union und FDP blieben konstant (29 bzw. 5 Sitze), die SPD verlor etwas (2 von 16), und die neue Partei BSW errang aus dem Stand sechs Sitze. Sieben (nicht im Bundestag vertretene) Kleinparteien erhielten insgesamt zwölf Sitze.

Alle Parteien haben zur EU-Wahl Programme verabschiedet, in denen viele gemischtgeschlechtliche Personengruppen vorkommen, die benannt werden müssen. Entweder traditionell durch das – im Deutschen übliche – sogenannte „generische Maskulinum“ (die Arbeitnehmer, Bürger, Europäer, Landwirte, Lobbyisten, Mittelständler, Soldaten, Verbraucher, Wähler, Zuwanderer usw.) oder durch gendersprachliche Formen, welche seit den 1980er Jahren die verschiedenen Geschlechter ausdrücken sollen: Bürgerinnen und Bürger (Beidnennung), Bürger*innen, Bürger:innen u. Ä.

Von den Bundestagsparteien bleiben zwei, AfD und BSW, beim traditionellen Sprachgebrauch des generischen Maskulinums; zum Beispiel heißt es im Wahlprogramm des BSW über die herrschende „cancel culture“ (Hervorhebung von mir):

„In der Attitüde eines modernen Wahrheitsministeriums nehmen viele Politiker und Journalisten oder die sogenannten „Faktenchequer“ heute für sich in Anspruch festzulegen, was richtig und was falsch ist.“ (S. 20)

GRÜNE und LINKE gendern in ihren Programmen durchgängig, und zwar mit dem Genderstern: „Aus Feind*innen sind Nachbar*innen, aus Nachbar*innen längst Freund*innen geworden“, erläutert das grüne Programm (S. 4) die Partnerschaft der EU-Staaten. Nur in der direkten Anrede „Liebe Wählerinnen und Wähler“ verzichten die GRÜNEN auf das Gendersternchen, während die LINKE es auch hier benutzt:„Liebe Wähler*innen“.

CDU/CSU, SPD und FDP nehmen bei der Frage „Gendern oder nicht gendern“ eine Zwischenstellung ein: Sie verwenden keine Gender-Sonderzeichen wie den Genderstern, sondern die – sprachlich umständliche – Beidnennung: Bürgerinnen und Bürger, Europäerinnen und Europäer, Wählerinnen und Wähler usw. Allerdings nicht konsequent: Das FDP-Programm weicht nur vereinzelt von der Beidnennung ab („Wir freie Demokraten“), SPD und CDU/CSU fallen aber häufig ins generische Maskulinum: „Aus Feinden wurden Verbündete und Partner“ heißt es im SPD-Programm (S. 2), und im CDU/CSU-Programm wechseln sich „unsere Landwirtinnen und Landwirte“ ab mit „unsere Landwirte“ (S.16) oder „Europäerinnen und Europäer“ mit „Europäer“. Alle drei Parteien wollen sprachlich nicht „anecken“ und versuchen, die Genderfalle zu umgehen.

Fazit: Der Absturz der GRÜNEN und LINKEN bei der Europawahl 2024 wird in Medien auch damit erklärt, beide Parteien lebten in einer „Parallelwelt“. Ob das sachlich stimmt, kann hier offen bleiben; jedenfalls bilden ihre durchgegenderten Wahlprogramme eine sprachliche Parallelwelt oder Blase, in der sich der normale Deutschsprecher kommunikativ nicht zurechtfindet.


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