Tichys Einblick
Event der Angepassten

Freakshow Katholikentag

Der Deutsche Katholikentag war im 19. Jahrhundert ein Event der Alternativen; heute hat man dagegen den Eindruck, der deutsche Gremienkatholizismus strebt die baldige Fusion mit Politik und EKD an. Beim Schauspiel der Sentimentalitäten bleibt von Glaube, Liebe und Hoffnung nur eine Botschaft übrig: Schwere Waffen an die Ukraine, jetzt und sofort!

IMAGO / epd

Wer glaubt, dass der Katholikentag für Katholiken gedacht ist, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Bereits zum Auftakt hatte die Verhüllung eines Standbilds Kaiser Wilhelms I. in Stuttgart für Aufregung gesorgt. Man hätte das als späte Antwort auf den Kulturkampf interpretieren können, vielleicht sogar als arroganten Triumphalismus nach rund 150 Jahren. Doch weit gefehlt: Mit den katholischen Befindlichkeiten hatte diese Verhüllung so wenig zu tun wie die ganze Veranstaltung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

Neben dem Kulturamt hatten auch die Veranstalter des Katholikentages ein Künstlerkollektiv darum gebeten, das Denkmal in einen „Künstlerischen Kontext“ zu bringen. Der Kaiser stünde für den beginnenden Nationalismus und Kolonialismus! Die Eindimensionalität dieser Begründung sollte nicht verwundern, beginnt die Geschichts- und Identitätsvergessenheit doch in erster Linie bei den Verbänden selbst.

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Denn der Katholikentag stand historisch in enger Verbindung mit der katholischen Emanzipation in den Territorien des Deutschen Bundes. Der Katholizismus, bis zur Auflösung des Alten Reiches 1806 dessen dominierende Religion, wurde ab dem 19. Jahrhundert in eine Außenseiterrolle gedrängt. Von den Fürsten, die im Versailler Spiegelsaal 1871 den preußischen König Wilhelm zum Kaiser ausriefen, bekannten sich nur zwei zur katholischen Konfession, nämlich der König von Bayern und der König von Sachsen (der freilich ein lutherisches Königreich regierte). Damit waren auch im Deutschen Reich die Katholiken, die immerhin ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, nicht mehr als gelittene „Untermieter“ im Nationalstaat.
Aus dem Tag der Alternativen ist ein Tag der Angepassten geworden

Insbesondere die Auseinandersetzung zwischen der Katholischen Kirche und dem politischen Katholizismus einerseits sowie dem Königreich Preußen bzw. dem protestantisch-preußischen Nationalstaat andererseits ist eine von so vielen Graustellen und Sensibilitäten geprägte Beziehung, dass man es sich wenigstens zweimal hätte überlegen sollen, welche zumindest historische Symbolwirkung von einer solchen Aktion ausgeht. Denn die Geburt des Katholikentages geht maßgeblich auf die Unterdrückung und Bevormundung der Katholiken durch Preußen zurück, er verstand sich als Verband von Laien, die sich ostentativ zu ihrem Glauben bekannten und der Staatsgewalt sowie ihrer Eingriffe in Privat- und Religionsleben kritisch gegenüberstand. Der Katholikentag des 19. Jahrhunderts ist das Event der Alternativen, nicht der Angepassten.

Man muss diese Genese an den Anfang eines Katholikentages stellen, um zu verstehen, was sich dort getan hat – denn der naive Topos, Kirche und Staat hätten sich ja sowieso immer gegenseitig die Klinke in die Hand gegeben, trifft gerade auf das 19. Jahrhundert und den Katholizismus nicht zu – dasselbe gilt übrigens für Frankreich und Italien mit ihren dazumal starken laizistischen Strömungen. Im Gegenteil bedeutete im überwiegenden Teil Europas ein Bekenntnis zum Katholizismus häufig eine zumindest latente Distanz zum Etatismus, verortete man doch die wahre Heimat im Himmel und in Rom immer noch eine Adresse, die der des Fürsten mindestens gleichgestellt war – worin das Misstrauen der in ihrer Blüte stehenden Nationalstaaten gegenüber dem Katholizismus begründet liegt.

Katholikentag: Fusion von Verbandskatholizismus, Staat und Zeitgeist

Dass ein Kulturamt mit katholischen Verbänden zusammen agiert, um ein Denkmal des Mit-Reichsgründers zu verhüllen, ist daher historisch nicht nur auf zweifache Weise vergessen, sondern unterstreicht die Pervertierung der Katholikentagsidee: Es ist die Symbiose des deutschen Gremienkatholizismus mit dem kältesten aller Ungeheuer. Freilich: Schon die Katholikentage der letzten Jahre hatten wenig Hoffnung zugelassen, dass es aus der Sackgasse der immer engeren Bindung aus Zeitgeist, öffentlich-rechtlicher Beglückung, Verwaltung, Verbänden und Kirche einen Ausweg gibt. Doch das zynische Wort mehrt sich bei den Gläubigen, dass man am Sonntag zur Abschlussveranstaltung die fröhliche Verkündigung erwartet, nun endlich die Fusion mit der EKD zu vollziehen.

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„Den Glauben leben“
Um es neuerlich zu betonen: Der Katholikentag ist keine Veranstaltung der Katholischen Kirche, sondern eine Veranstaltung katholischer Laien, allerdings in der tristesten anzunehmenden Form, nämlich der des Verbandskatholizismus. Die Veranstalter sprechen von 19.000 „Dauerteilnehmern“, davon sind aber allein 7.000 sogenannte „Mitwirkende“. Ein Spaß von 20.000 für rund 10 Millionen Euro. Kritischere Stimmen unken Zahlen, die eher ein Verhältnis 1:2 statt 1:3 vermuten lassen.

Doch selbst wenn diese Schätzung stimmt, dann kann man diese Veranstaltung nichts anderes nennen als eine zu groß geratene Betriebsfeier mit ein paar eingeladenen Gästen. Es geht vornehmlich um Nabelschau und Sentimentalitäten, ein gutes Gefühl, die Selbstbestätigung, doch noch eine gewisse Relevanz zu haben, kurzgefasst: all das, was den Katholiken eigentlich immer verhasst war. Innerlich wünscht man sich fast, der französische Katholiban Léon Bloy müsste aus seinem Grab auferstehen, um diese Neuauflage geheuchelten bürgerlichen Anstands zu zertrümmern.

Funktionäre wollen diktieren, was katholisch ist

Hinter dem Katholikentag steht vor allem jenes „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ (ZdK), das sich herausnimmt, die deutschen Katholiken „demokratisch“ zu vertreten, aber in Wirklichkeit dem real-existierenden Parteienstaat der Bundesrepublik entspricht. Es ist das perfekte Establishment, das mit der Eintrittskarte „katholisch“ in jede Etage kommt, aber selbst definieren will, was katholisch ist – und dies im Zweifel in Form des sogenannten „Synodalen Weges“ sogar dem Papst sagt, wenn es sich hierzulande für die Segnung von Homosexuellen, das Ende des „Pflichtzölibats“ und Frauenpriestertum ausspricht.

Für sie ist die Kirche nicht die mythische Braut Christi, die treu zum Heiland zu stehen hat, selbst wenn sie seine Gebote nicht immer begreift. Nach katholischer Vorstellung hat die Kirche ähnlich Maria bei der Verkündigung ihr reines „Ja“ zu dem zu geben, was Gott aufträgt („Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“, Lukas 1,38). Sie kann bestimmte Konstitutionen schlicht nicht ändern; selbst der Papst kann das nicht. Warum Christus nur Männer zu Aposteln bestimmt hat, ist beispielsweise nicht ergründbar.

Vorwort zum Sonntag
Die Bruchlandung der pazifistischen Kirchenideologie
Aus Sicht des Gremienkatholizismus gelten solche Ansichten nicht mehr. Man glaubt dort, Wahrheit über Mehrheiten festlegen zu können. Religion wird zur politischen Verhandlungssache herabgewürdigt; und wie Politik das hervorstechende Merkmal des Geistes des ZdK ist, so ist Politik auch das eigentliche Thema des Katholikentages. Nicht genug damit, dass das ZdK vor allem eine Vereinigung von Interessenvereinen ist, es wählt auch noch Leute „hinzu“, die bei der Vollversammlung mitwirken. Sie stammen aus dem „öffentlichen Leben“.

Beispiele? Ministerpräsidenten wie Daniel Günther und Malu Dreyer, ehemalige Bundesminister wie Barbara Hendricks oder Annegret Kramp-Karrenbauer, sogar Klimaforscher wie Ottmar Edenhofer. Dass es bei dieser nach Proporz besetzten Gruppe auf einem Katholikentag noch etwas Katholisches gibt, bedarf eines Wunders. Dass man bei der Kommunionsspendung selbst Muslime bedachte, ist aus katholischer Perspektive ein Sakrileg, aus der Perspektive des politischen Gremienkatholizismus wäre es hingegen der Ausschluss davon.

Steinmeier als Schlüsselfigur einer deutschen, säkularen Sentimentalitätsreligion

Nicht Glaube und Hoffnung, sondern in Sentimentalität und Kitsch gekleidete politische Botschaften stehen im Mittelpunkt eines mehrtätigen „Events“, bei dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wie kaum ein zweiter eine Schlüsselfigur ist. Die Forderung Steinmeiers aus dem Jahr 2018 an die Katholische Kirche, Ehepartner konfessionsverschiedener Ehen zur Kommunion zuzulassen, hätte in jedem anderen Teil der Weltkirche als Einmischung in interne Religionsangelegenheiten gewertet werden müssen; in Deutschland gehören solche Einmischungen zur Tagesordnung, sitzt die Politik doch mittlerweile selbst in den Gremien, die den fortschrittlichen „Weg“ anleiten.

Auch sonst zerfließen bei Steinmeier die Grenzen säkularer und sakraler Rhetorik. Die Politik hat den Duktus von Pfarrpredigten angenommen. Es ist eine Projektion: Der Politiker macht keine harten Entscheidungen mehr, sondern befindet sich auf einem höheren moralischen Weg, den er seinen Schäfchen noch beibringen muss. Nicht anders ist der Auftritt des Bundespräsidenten zu werten, der nach zwei Jahren Corona-Krise und erbarmungsloser Angriffe nun den weichen Versöhner spielt, der dazu aufruft, man müsse „einander verzeihen“.

Probleme von entscheidender, existenzbedrohender Tragweite – Beispiel einrichtungsbezogene Impfpflicht – werden zu einer moralischen Kategorie auf dem Niveau von Kindergartenstreitigkeiten heruntergezerrt. Die Möglichkeit, aus einem politischen Fehlverhalten politische Konsequenzen zu ziehen – Kursänderung, Rücktritt –, wird a priori ausgeschlossen zugunsten eines „Wir haben uns alle lieb“-Sentimentalismus, der angesichts des strafenden Gerichts Gottes keine christliche, sondern eine säkular-therapeutische Idee der späten Aufklärung ist. Sie bringt jedoch die neudeutsch-katholische Weltanschauung auf den Punkt.

Die Ukraine brauche jetzt „erstens Waffen, zweitens Waffen und drittens Waffen“

Im selben Atemzug ist der ebenso merkwürdige Auftritt von Kanzler Olaf Scholz zu nennen, der in diesem Kontext sagte: „Der Krieg wirft viele Fragen auf wie: Darf Gewalt mit Gewalt bekämpft werden? Schafft man Frieden nur ohne Waffen? Wir sollten beides mit Respekt diskutieren. Klar ist aber: Wir stehen der Ukraine bei, damit Gewalt sich nicht als Mittel durchsetzt.“ Derlei waberndes Geschwätz zwischen einem Mittelstufen-Philosophiekurs und Überlegungen zur Sicherheitsarchitektur Europas im 21. Jahrhundert sind nur auf jener Freakshow möglich, die sich Katholikentag nennt.

Dabei liegen die Widersprüche besonders in diesem Jahr auf der Hand: Man kann keine Wohlfühlatmosphäre schaffen, dem Zeitgeist hinterherlaufen und die zugleich politisch „heißeste“ Idee unterstützen, wenn Krieg in Europa herrscht. Der absurde Höhepunkt war die Vermengung des naiven deutschen Pazifismus, der auf Kirchentagen seit Jahrzehnten zelebriert wird, mit der wegweisenden politischen Agenda. Nicht der Niedergang der katholischen Kultur in Deutschland, die leeren Bänke in der Kirche, der mangelnde Missionseifer oder der schulterzuckend zur Kenntnis genommene Aufruf zur „Neuevangelisierung“ aus Rom sind die brennenden Themen – kurz: Wie kann man Deutschland wieder christlicher machen? –, sondern der Ukraine-Krieg. Während selbst das ZDF sich an Christi Himmelfahrt mit der Nennung des „Vatertages“ vorbeischleicht, kann der beschwingende Eifer für die neue nationale Sache nicht lauter ausfallen.

Auf einer Veranstaltung, die sonst unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ stand, forderte der katholische Kiewer Bischof Stefan Sus die „Vernichtung des Bösen“. Der langjährige ukrainische Caritas-Direktor Andrij Waskow betonte: „Das beste Mittel, um die schreckliche humanitäre Krise in der Ukraine zu bekämpfen, sind erstens Waffen, zweitens Waffen und drittens Waffen.“ Rebecca Harms von den Grünen forderte „härtere Lösungen“ als beim Minsker Abkommen gegen Russland. Nach einer Schweigeminute berichteten ukrainische Frauen von ihren Kriegserfahrungen und warben unter Applaus (!) für Waffenlieferungen in die Ukraine, um eine Wiederholung der Verbrechen auszuschließen. Die unter linken Christen beliebte Frage, „Was würde Jesus tun?“, wurde angesichts politischer Zeitenwenden zu einem Ruf nach mehr schwerem Gerät umgedeutet.

Der Gremienkatholizismus ist „borussifiziert“ worden

Weltweites Bußgebet
Papst Franziskus weiht die Ukraine und Russland dem „Unbefleckten Herzen Mariens“
Es sind Absurditäten wie diese, die an eine Einlassung des „Arbeiterbischofs“ Wilhelm Emmanuel von Kettelers denken lassen. Die deutsche Seele kann nie ins Mittelmaß abdriften; sie ist ganz und gar für oder gegen eine Sache, und das mit einem Missionseifer, der selbst den Katholizismus blass erscheinen lässt. Nur so ist zu verstehen, dass aus dem Pazifisten morgen ein Waffennarr wird; und nur so ist der heilige Eifer zu begreifen, der den neudeutschen Katholizismus, wie auch andere integrale Teile von Staat und Gesellschaft prägen. Ketteler, eine der prägenden Gestalten des deutschen Kulturkampfes, sah insbesondere im Verlust Österreichs für den deutschen Nationalstaat eine Bedrohung durch den nun ohne Gegenpart agierenden „Borussianismus“:

„Unter Borussianismus verstehen wir nämlich die fixe Idee über den Beruf Preußens, eine unklare Vorstellung einer Preußen gestellten Weltaufgabe, verbunden mit einer Überzeugung, dass dieser Beruf und diese Aufgabe eine absolut notwendige sei, die sich mit derselben Notwendigkeit erfüllen müsse, wie der losgelöste Fels herabrollt, und dass es daher unstatthaft sei, diesem Weltberufe sich im Namen des Rechts oder der Geschichte entgegenzustellen.“

Die Krankheit, die Ketteler bezeichnet, ist keine rein preußische; sie hat sich aber durch die deutsche Nationalgeschichte, die in bestimmenden Teilen eine preußische war, auch über die nichtpreußischen Deutschen gelegt, sie gewissermaßen infiziert. Die Verinnerlichung dieses Borussianismus ist eine ureigene Last der deutschen Geschichte; aus ihr erwachsen bis heute die gröbsten Übel. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sie heute so offen von Kettelers Erben als grundkatholisch exerziert wird.

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