Tichys Einblick
Karikaturistin Franziska Becker

Das schöne Amerika – oder: Die Dummheit ist ein Kind des Bösen

Die Cartoonistin Franziska Becker, bekannt als Beobachterin des feministischen Alltags, hat ein Karikaturenbuch über Amerika vorgelegt: In den USA geht es zu wie in Deutschland – nur noch krasser. Von Holger Fuß

Franziska Becker, Karikaturistin

IMAGO / Reiner Zensen

Unlängst berichtete der Spiegel von einem Auftritt Donald Trumps in Texas. Der frühere US-Präsident gab einen beiläufigen Dialog mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jingping zum Besten. Der Amerikaner wollte wissen, ob sein chinesischer Amtskollege Probleme mit Drogendealern habe, worauf Xi zurückfragte, warum Trump ihm so eine dumme Frage stelle. Selbstverständlich gebe es im Land der Mitte kein Problem mit Drogendealern. Warum das? „Kurzer Prozess“, murmelte Xi. Wenn in China ein Drogendealer erwischt werde, würde er umgehend zum Tode verurteilt. Trump berichtete hingerissen: „Sie schicken dann die Kugel an die Familie, die dafür bezahlen soll.“ Das Publikum zeigte sich begeistert. „Die verstehen wirklich keinen Spaß“, rief Trump.

Natürlich gibt es auch das andere Amerika, das liberale Amerika der Demokratischen Partei, das sich vor den rustikalen Trump-Anhängern gruselt, weil sie ihrer Meinung nach den kürzesten Weg zur Abschaffung von Freiheit und Demokratie und zur Errichtung eines autoritären, rechtsradikalen Systems suchen. Sogar Republikaner wie der frühere Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger, oder die Tochter des Ex-Vizepräsidenten Dick Cheney, Liz Cheney, machen Front gegen die Trumpisten in der eigenen Partei. Die Trump-Gefolgsleute wiederum verachten die Liberalen, ihre Wokeness, die sie für eine tyrannische Ideologie halten, die den Amerikanern die verfassungsmäßigen Rechte raubt. Die jüngsten Halbzeitwahlen für den Kongress zeigten, wie präzise die USA in zwei Hälften gespalten ist: Im Senat sitzen 50 Demokraten und 49 Republikaner, während sich im Repräsentantenhaus die Republikaner mit 219 Sitzen zu 212 Demokraten die Mehrheit gesichert haben.

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Die führende Weltmacht ist zerrissen wie lange nicht mehr. Pessimistische Beobachter halten einen zweiten Bürgerkrieg in der Geschichte des Landes für möglich, neuerliche Separationsbewegungen, an dessen Ende die USA in zwei Hälften zerbrechen könnten.

Die Kölner Cartoonistin Franziska Becker ist seit einem Vierteljahrhundert mit einem amerikanischen Soziologen verheiratet und führt seither ein transatlantisches Doppelleben. Eine Hälfte des Jahres lebt und arbeitet sie an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Arzttochter Becker erlangte als Hauskarikaturistin der Zeitschrift „Emma“ Berühmtheit; für das Zentralorgan der Frauenrechtlerinnen spießte sie vier Jahrzehnte lang Wunderlichkeiten im feministischen Milieu auf und machte Frauenemanzipation durch Humor auch außerhalb der ideologischen Kernzielgruppe anschlussfähig. Ihr Schaffen wurde mit den wichtigsten Preisen des Genres ausgezeichnet, gewiss auch deshalb, weil sich Becker entlang ihrer jahrzehntelangen engen Freundschaft mit Alice Schwarzer die geistige Unabhängigkeit gewahrt hat.

So verwundert es auch nicht, dass Franziska Becker nun eine Art Summe ihrer Erfahrungen in den USA als großformatigen Cartoon-Band vorlegt, die trotz aller politischer Ferne zum Lager der Trumpisten „garantiert ganz und gar un-woke“ daherkommt, wie der Alibri-Verlag auf dem Buchumschlag beteuert. Schon der Titel „Amerika the Beautiful“ deutet auf eine melancholische Liebeserklärung hin, über die der geneigte Leser nicht umhin kommt, immer wieder laut zu lachen. Zu entlarvend und pointenreich ist der markante Strich Beckers bis in kleinste Einzelheiten hinein. Die meisten Zeichnungen sind detailsatte Wimmelbilder, in denen die Illustratorin gar nicht aus dem Erzählen herauszufinden scheint.

Beckers Aufzeichnungen sind ein wahres Panoptikum des Schreckens, der Kontraste und gesellschaftlichen Widersprüche. In der reichsten Volkswirtschaft der Welt leben offiziell gut eine halbe Million Menschen auf der Straße, ein Drittel von ihnen geht einem Vollzeitjob nach. Obdachlosigkeit ist denn auch das häufigste Sujet in Beckers Buch. Wohnungslose campieren in Kalifornien in Zeltlagern, sie schlafen in ihren Autos, sie liegen, wärmeheischend auf den Lüftungsschächten, während es sich im Hintergrund die bürgerliche Mittelschicht im Restaurant wohlergehen lässt, die Shoppingmeile abmarschiert oder ein Buchladen in New York bei Regenwetter zur Zuflucht für Obdachlose wird.

Zu den grimmigsten Cartoons gehört die Szene vor einem Speiselokal namens „Heart Attack Grill“, das allen Besuchern über 150 Kilo Körpergewicht freies Essen verheißt, wo im Vordergrund zwei Sanitäter einen kollabierten Fressgast mit der Trage abholen und dahinter ein Obdachloser seinen Hausrat im Einkaufswagen am Restaurantfenster vorbeischiebt.

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Die USA, wie sie Franziska Becker uns vorführt, sind seelische wie topographische Trümmerlandschaften, in denen die Menschen aus ihrem selbst beschworenen amerikanischen Traum emporgeschreckt sind. Schon Henry Miller sprach 1945 von seinem Land als einem „klimatisierten Alptraum“. In den Gesichtern ihrer Figuren bringt Becker keine Hoffnung unter, keine Heiterkeit, schon gar keine Gelassenheit. Stattdessen ist eine allgegenwärtige Anspannung sichtbar, aus der Gewissheit heraus, eine Kampfzone zu besiedeln.

Arbeitslosigkeit und die Demütigung, die mit ihr einhergeht, das Gesundheitssystem in eiserner Hand profitgieriger Pharmakonzerne („500 Dollar für 10 Pillen? Oh Gott! Kann ich mir EINE kaufen?“). Überall schimmert die oszillierende Grenze durch, die die amerikanische Mittelschicht vom freien Fall in die Armut trennt. So reagieren die von der kulturellen Dauerkompression Zermürbten mit einer resignativen Leere im Blick, indes in den Augen der noch Kraftstrotzenden die Wut auf die Verhältnisse und der Hass auf jene flackern, die sie für den Verfall ihres Landes und den Diebstahl ihrer Träume verantwortlich machen.

Der Hass kann ein treuer Gefährte sein, selbst der Bettlägerige vermag sich an ihm noch aufrichten. In Amerika hat nach dem Mord an George Floyd durch das Knie eines Polizisten die Bewegung „Black lives matter“ neuen Auftrieb bekommen. Tagelang marodierten ihre Anhänger durch die Städte, brandschatzten, plünderten, lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Andernorts zogen Aktivisten gesitteter umher und Polizisten knieten wie in Abbitte für den Frevel an dem schwarzen Kriminellen, der zu Lebzeiten auch vor Gewalttätigkeiten gegenüber einer schwangeren Frau nicht zurückschreckte. Über kauernde Polizeistaffeln macht sich Becker ungeniert lustig.

Dass „Black lives matter“ und ihre linksliberalen Sympathisanten die Polizei abrüsten wollen („Defund the Police!“), ist so borniert wie heuchlerisch. Eine Polizei mit geringerem Budget wäre für jeden demokratisch gesinnten Besitzbürger in den USA der sichere Untergang. Szenarios wie in Anthony Burgess „Uhrwerk Orange“ dürften nur andeuten, was dem friedliebenden und unbewaffneten Teil der Amerikaner bevorstünde. Die Habenichtse würden sich ungezwungen und in aller Brutalität dessen bemächtigen, wonach ihnen der Sinn steht. Und in einem Land, in dem die meisten Afroamerikaner, der Statistik nach, von ihresgleichen getötet werden, ist es nicht verwunderlich, dass Ordnungshüter martialisch auftreten und nicht als woke Deeskalations-Akrobaten.

In Amerika steht Gewalt aber nicht nur deshalb auf der Tagesordnung, weil die Menschen sich hier ohne Arbeitslosenversicherung, ohne ausreichende Krankenversicherung und Altersversorgungen durchschlagen. „Pensionen sind Glückssache“, heißt einer von Beckers Cartoon-Kommentaren. Ein anderer: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“

Seit seiner Gründung lebt Amerika vom Mythos der Gewalt, hinter dem sich auch das verdrängte Kollektivgedächtnis an die Ausrottung der Ureinwohner verbirgt. Ohne die Vernichtung dieser archaischen Indianer-Kulturen sind die heutigen Vereinigten Staaten nicht denkbar. Der amerikanischen Ursünde zu wildwüchsigen Pionierzeiten verdankt sich das in der Verfassung verankerte Recht eines jeden US-Bürgers, Feuerwaffen zu besitzen, um sich selbst, die Familie und die Habseligkeiten zu verteidigen. Die Geburtsjahre dieser eigentümlich konstruierten Nation, in denen allzuoft jeder auf sich selbst gestellt war, haben sich in die Sozialpsychologie vieler Amerikaner eingesenkt. Bei den eher republikanisch gesinnten, naturbelassenen Phänotypen abseits der Metropolen hat sich dieses alleinige Vertrauen auf sich selbst und die Skepsis gegenüber einer Politelite im fernen Washington, D.C. erstaunlich wenig abgenutzt erhalten.

Geister der getöteten Indianer sind nicht nur bei Stephen King und anderen amerikanischen Schriftstellern aktiv, sie spuken durch den Volksmund auf alten Friedhöfen und durch die Tag- wie Nachtträume der Zeitgenossen sowie in chiffrierter Weise durch die Alpdrücke der Hollywood-Industrie. Was auch in modernen Zeiten durch die kollektive Psyche eines Volkes klabautern kann, hat die US-Historikerin Monica Black in einer vor kurzem erschienenen Studie untersucht. Allerdings hat die 54-jährige Professorin an der University of Tennessee in Knoxville ihr Augenmerk nicht auf die Dämonologie Nordamerikas gerichtet, sondern auf die Spukgestalten nach dem Zivilisationsbruch im 20. Jahrhundert, also dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. „Deutsche Dämonen. Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland“ (KlettCotta), heißt Blacks Buch, in dem sie erzählt, wie das sogenannte Wirtschaftswunder in Westdeutschland von bizarren Vorkommnissen flankiert wurde. Prägnanter noch titelt die amerikanische Originalausgabe: „A Demon-Haunted Land“. Deutschland, von Dämonen verfolgt.

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Die amerikanische Geschichtsforscherin stellt mit ihrer Methodik einer Mystery-Soziologie anlässlich der deutschen Verwerfungen die Frage: „Was bedeutet es für uns alle, wenn eine Nation sich so rasch von der Errichtung von Auschwitz auf den Aufbau einer im Neonlicht glänzenden Überflussgesellschaft umstellen kann?“ Auf ähnliche Weise könnte sie die US-Geschichte befragen und deren Abgründe erhellen.

Umgekehrt hat der Leser bei Franziska Becker häufig den Eindruck, dass ihm Szenen aus dem deutschen Alltag ins Auge springen. Und dies nicht allein wegen der allgegenwärtigen englischsprachigen Beschilderung hierzulande. Nein, die Themen sind gleichsam blutsverwandt. Becker zoomt in ihren Zeichnungen das Geschehen so dicht an den Betrachter heran, dass er seine eigenen Erfahrungen aus Deutschland mit den Cartoon-Ereignissen gleichsam zu überblenden vermag. Auf diese Weise funktioniert ihr Buch wie transatlantische kommunizierende Röhren: Wir lernen aus den USA ungemein viel über unser eigenes Land.

Etwa, wenn in San Francisco sich das LGBTQ-Milieu zum Christopher Street Day versammelt, umringt von staunend fotografierenden Touristen, während im Hintergrund ein Evangelikaler das sündhafte Treiben lauthals exorziert – und „derweil jenseits der Touristenmeile“, wie Becker schreibt, die Armen im Dreck hocken. Die diverse Gesellschaft mit ihrer exzessiven Freizügigkeit hat nämlich ein schmutziges Familiengeheimnis zu verbergen: die sozialen Unwuchten im Turbokapitalismus.

Beckers Buch klingt aus mit dem 11. September 2001. Eine düstere Tuschezeichnung lässt Totenköpfe und die New Yorker Wolkenkratzer ineinander zerfließen. Im nächsten Bild rauchen die Trümmer des World Trade Centers, davor flanieren Schaulustige an ihnen vorüber. Zwei Passanten und ein Polizist zanken sich darüber, ob von den Ruinen Fotos geknipst werden dürfen. Nach dem Grauen kehrt die Banalität, die Seinsvergessenheit des Alltags zurück. Die Dummheit ist eben ein Kind des Bösen.

Franziska Becker: Amerika the Beautiful. 25 Jahre unter Eingeborenen, Alibri, Aschaffenburg 2022, 128 Seiten, 20 Euro

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