Tichys Einblick
DEKOLONISIERUNG DER KUNST

Der Fall Kasper König

Seit 2016 trifft der hochdekorierte Kurator und Kunstprofessor Kasper König in den Münchner Kammerspielen Künstler zum Gespräch. Als er im November 2018 zum Thema „Heimat und Rechtsradikalismus“ diskutiert und dabei junge Türken mit matt lackierten Autos erwähnt, ist die Aufregung groß.

imago/Russian Look

Kasper König ist eine Instanz in der Kunstszene. Der heute 75-Jährige leitete bis 2012, also weit über die Pensionsgrenze hinaus, das Museum Ludwig in Köln, war zuvor Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Rektor der Städelschule in Frankfurt und Gründungsdirektor der Ausstellungshalle Portikus in Frankfurt. König hat zahlreiche Ausstellungen zur modernen und zeitgenössischen Kunst kuratiert und gilt als bestens vernetzter progressiver Kunstvermittler.

Zweifellos sieht er auch sich selbst so. Jetzt aber ist er gestrauchelt. Es gibt einen Fall Kasper König. Die Anklage lautet: Rassismus! Was ist geschehen? Seit 2016 läuft in den Münchner Kammerspielen eine Veranstaltungsreihe, in der Kasper König unter dem Titel „König &“ alle zwei Monate mit Gästen über Kunst und Kunstpolitik diskutiert. Bisher waren unter anderem Thomas Bayrle, Okwui Enwezor, Alexandra Pirici und Lisa Endriß zu Gast. Am 12. November vergangenen Jahres lud König nun zur Diskussion über das Thema „Heimat und Rechtsradikalismus“ ein; als Gäste saßen die Künstler/-innen Henrike Naumann, Cana Bilir-Meier und Wilhelm Klotzek mit ihm auf dem Podium. Wer an diesem Abend den Einheitspreis von neun Euro für eine Karte bezahlt hatte, saß auf den nur locker gefüllten Sitzreihen in der kleinen Kammer 3 der Münchner Kammerspiele zwischen einigen Fans des Altmeisters und einer Anzahl von Freunden und Bekannten der Künstler. Es war ein wenig  unterhaltsamer Abend. Das Amüsanteste waren die Gesangseinlage und ein Gedicht von Wilhelm Klotzek, in denen das Aufwachsen in der DDR thematisiert wurde. Banal dagegen war das, was Henrike Naumann und Cana Bilir-Meier aus ihrem Kunstschaffen vorstellten. Umso bemühter versuchten sie, ihre Produktionen als wichtiges Fanal gegen Rassismus und Rechtsradikalismus hochzustilisieren.

"Aktion saubere Museumswand"
„Dekolonisierung des Museums“ – was verbirgt sich dahinter?
Auch König schien ein gewisses Unbehagen angesichts der wenig fassbaren Projekte der beiden Künstlerinnen zu empfinden, und so fragte er mehrfach – etwas gönnerhaft – nach. Ein sinnvolles Gespräch mochte in dieser Runde nicht aufkommen, und so monologisierte König zunehmend, um den Abend über die Zeit zu retten. Und dann erzählt der alte Herr plötzlich davon, dass er ja oft in Berlin-Kreuzberg sei, und da gebe es diese Typen mit ihren matt lackierten Autos, die sich aufführen, als sei das ihr Territorium. In der für König typischen, gewollt rüpelhaften Diktion spricht er von „Arschlöchern“ mit „Tarnautos“. Dass die Bemerkung offenbar auf türkischstämmige Männer abzielt, wird deutlich, als er anmerkt, die Frauen müssten draußen bleiben (gemeint ist offenbar, wenn die jungen Türken im Café sitzen und Shisha rauchen). König zeigt dann sogar noch Verständnis für die dort zur Schau getragene aggressive Attitüde, in der er eine Reaktion auf eine deutsche Aggression sehen möchte. Offenbar glaubt König, die beiden jungen, zweifellos feministisch eingestellten Frauen neben ihm teilten diese Abneigung gegen türkischstämmige und sonstige Jungmachos. Es kommt aber weder Zustimmung noch Protest.

Die beiden Künstlerinnen, die sich gelegentlich auch gegenseitig für ihre tolle Kunst loben, sind während des Verlaufs der Veranstaltung sichtlich gebannt vom großen Namen des Gesprächsführers. Als die müde Diskussion fürs Publikum geöffnet wird, meldet sich der Künstler und Publizist Gürsoy Doğtaş zu Wort. Er ist der gleichgeschlechtliche Ehemann von Matthias Mühling, der als Direktor des städtischen Lenbachhauses in München die Dekolonisierung der Museen auf allen Ebenen propagiert. Doğtaş fragt bei König nach, warum er Bilir-Meier denn mehrfach zur Formgebung ihrer Kunst befragt habe. Hier hätte dieser ehrlicherweise wohl sagen müssen: weil es da offensichtliche Defizite gibt. Aber das tut er nicht, und irgendwie sind alle froh, als der Abend zu Ende geht. Während Kasper König noch mit Freunden und Familie an einem Tisch in der Kantine der Kammerspiele sitzt, postet Bilir-Meier auf Facebook ihre Eindrücke vom „most horrible talk with Kasper König“. Der Abend sei – übersetzt – „voll toxischer Maskulinität, Rassismus und Gewalt“ gewesen. Was nun folgt, ist ein Lehrstück über die Abläufe einer Hetzkampagne in den sogenannten sozialen und anderen Medien im Zeichen einer selbst ernannten postkolonialen oder postmigrantischen Kunstszene.

Wird Meinungsfreiheit durch den Vorwurf des Rassismus und Kolonialismus verhindert?

Bereits am nächsten Vormittag stellen die Kammerspiele eine Entschuldigung auf Facebook ein. Da heißt es: „Am 12. November 2018 fand in der Kammer 3 der Münchner Kammerspiele eine Diskussionsveranstaltung aus der Reihe ‚König &‘ statt, in der Kasper König als Moderator angesichts des vehementen Rechtsrucks in unserer Gesellschaft mit den Künstler*innen Cana Bilir-Meier, Wilhelm Klotzek und Henrike Naumann zum Begriff ‚Heimat‘ und seiner Tauglichkeit für die Kunstproduktion und den sie begleitenden ästhetisch-politischen Diskurs ins Gespräch kommen sollten. Dieser Versuch hat sein Ziel verfehlt. Hierzu trugen Äußerungen des Gastgebers bei, die als herabsetzend insbesondere gegenüber (Post)Migrant*innen verstanden werden können. Kasper König hat sich bei der Künstlerin Cana Bilir-Meier entschuldigt. Matthias Lilienthal, als Intendant der Münchner Kammerspiele, entschuldigt sich dafür, dass in einer von ihm verantworteten Veranstaltung Formulierungen gewählt wurden, die sowohl Cana Bilir-Meier als auch (Post)Migrant*innen in Deutschland beleidigt haben. Eine Diskussionsveranstaltung zum Thema ist in Planung.“

Unter den Kommentaren fällt derjenige eines gewissen Gunter Acer auf, der in drohendem Ton postet (wiedergegeben in der originalen Orthografie): „eine klare haltung und ein bekenntnis zu beleidigung, aber auch zu rassistischen äusserungen wäre äusserst wünschenswert. denn die sind gefallen. da gibts keinen konjunktiv. dazu müssten die kammerspiele in der lage sein können, alle anderen, die hier versuchen, das ganze wieder weichzuspülen, sollten sich eins merken: wir werden jedes wort dreitausend mal herumwenden und situationen wie diese genauestens unter die lupe nehmen. macht euch da mal keine sorgen. im namen der kunstfreiheit kann sich niemand auf öffentlichen bühnen breitbeinig im sessel rumfläzen und manspreading und diskriminierung betreiben. in einer passage meinte der gute sogar über berlin kreuzberg: ‚das ist unser territorium‘! das ist ja fast schon militant. ich glaube, man könnte diese reihe getrost absetzen. ausserdem haben die kammerspiele mal eine intendanz of colour verdient.“ Schützenhilfe bekommt Bilir-Meier auch von einer Rapperin namens Esra Özmen, die schreibt „Fuuuuuuuuck You König, diese Typen mit Mattautos sind meine Brüder!“ Es äußern sich die amerikanische Künstlerin Candice Breitz, der Kameruner Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und der Forograf Murat Türemiş – alle mit dem Tenor, dass dies Ausdruck des Rassismus der deutschen Kulturelite gegenüber Migranten und Postmigranten sei. Es folgte das unausweichliche Manifest der Betroffenen: in diesem Fall unter dem schönen Titel „Es kotzt uns an!“ oder „We’re sick of it!“. Die Unterzeichner, die sich selbst definieren als „migrantische/schwarze/indigene/lesbische/queere/trans Künstler*innen of Color“, formulieren: „Es geht hier keinesfalls um einen persönlichen Konflikt, im Gegenteil werden vielmehr Mechanismen sichtbar, die wir als migrantische/schwarze/indigene/lesbische/queere/ trans Künstler*innen of Color selbst schon mehrfach erlebt haben.“

Rassismus und Diskriminierung werden als strukturell in Deutschland gebrandmarkt, und es heißt: „Es kotzt uns an, dass wir immer erklären müssen, dass Kapitalismus, Nationalstaatlichkeit, Hegemonie, Heteronormativität und Diskriminierungsformen miteinander verschränkt sind. Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Transphobie Werkzeuge sind, um zu bewerten, zu selektieren, ja letztendlich zu töten.“

Es folgen weitere 14 Punkte, in denen es um den angeblich verzweifelten Kampf gegen Rassismus und die übrigen angeführten Formen von Diskriminierung geht. Unterzeichnen durften offensichtlich nur Künstler und Künstlerorganisationen mit Migrationshintergrund oder wenigstens einer lesbisch, queeren oder transgeschlechtlichen Ausrichtung, weswegen einige der sonst üblichen potenziellen Unterstützer fehlen.

„Wirklich widerlich benommen“

Währenddessen sitzt Kasper König an seinem Schreibtisch und schreibt – ganz alte Schule – eine siebenseitige handschriftliche Entschuldigung, in der er sich „als alter weißer Mann“ apostrophiert, der sich „wirklich widerlich benommen“ habe. Offenbar um mit politisch korrekter Gendersprache seine Bußfertigkeit auch im Schriftbild zu demonstrieren, habe er „Formulierungen wie Künstler*innen gewählt, die ich sonst nie verwende“. Ein wenig selbstmitleidig konstatiert König: „Ich stehe da wie ein Kolonialarsch.“ Nun greifen einige besonders um das Thema Dekolonisierung bemühte Medien die Sache auf: Am 7. Dezember berichten der „Berliner Tagesspiegel“, das Kunstmagazin „Monopol“ und die „Süddeutsche Zeitung“ über den Fall. Im Deutschlandfunk behauptet Susanne Pfeffer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, angesichts des Falls, dass „in vielen kulturellen Institutionen ein struktureller Rassismus zu finden“ sei. Am ausführlichsten berichtet die Kulturkritikerin Catrin Lorch in der „SZ“ über die Angelegenheit. Sie schildert sachlichden Abend und seine Folgen, sie hebt Königs Verdienste hervor, der „nie für Autorität“ gestanden habe, sondern „für eine Autonomie der Kunst, für Bewegung, für Neugierde und Durchsetzungsvermögen“. Lorch will die Angelegenheit auch zum Generationskonflikt umdeuten: Nun stoße den „charmant-rüpeligen König ausgerechnet eine in den Achtzigerjahren geborene Künstlerin mit Migrationshintergrund vom Sockel“. Sie endet mit: „der Fall König zeigt, wie schnell jemand, der sich immer an der Spitze sah, plötzlich allein dasteht“.

Auch Lorch, die offensichtlich einiges von den Qualitäten Königs hält, lässt ihn allein. Auch sie will sichtlich lieber niemanden unterstützen, dem „toxische Maskulinität“ und Rassismus vorgeworfen werden. Bemerkenswert: Kein einziges Mal geht es in ihrem Beitrag oder einem der anderen Beiträge um Meinungsfreiheit. Aber um die sollte es gehen: Darf man Kritik üben an Kunst, die von Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen wurde, oder gar an Menschen mit Migrationshintergrund überhaupt? Oder wird Meinungsfreiheit auf eine infame Weise durch den Vorwurf des Rassismus und Kolonialismus verhindert, indem Kritik tabuisiert wird?

Die Taktik: Man erklärt sich zum Opfer von Diskriminierung und fordert Entschädigung

Gern wird dies wie auch im Fall Kasper König kombiniert mit dem Vorwurf des Sexismus („toxische Maskulinität“). Die Vorgehensweise ist bekannt und übernommen aus dem Repertoire feministischer Argumentation. Die Taktik besteht weitgehend darin, durch die Selbststilisierung als vorgebliches Opfer eine inhaltliche Kritik unmöglich zu machen. Man erklärt sich zum Opfer aktueller oder auch historisch zurückliegender Diskriminierung, man klagt den Opferstatus ein und fordert „Entschädigung“ von der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“. Man geriert sich als Avantgarde und hält sich Kritik mit Totschlagargumenten wie Sexismus, Rassismus und Kolonialismus vom Leib. Ein schlüssiger Nachweis muss dabei gar nicht geführt werden: Es reicht aus, sich diskriminiert zu fühlen. Eine solche emotionale Argumentation erleben wir gerade auch bei Diskussionen wie der um das Gedicht Eugen Gomringers an der Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule oder der bigotten Prüderie gegenüber den Bildern von Balthus.

Auch in der Wissenschaft gibt es sogenannte postkoloniale Positionen, die „Museen umprogrammieren“ wollen und „Kuratieren als antirassistische Praxis“ auffassen (so die Autoren im 2017 erschienenen gleichnamigen Sammelband von Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński und Nora Sternfeld). Ausgehend von den Erfolgen des sogenannten Gender Mainstreaming, das nach der UN-Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 im Vertrag von Amsterdam 1999 in EU-Recht gegossen wurde, und dem darauf aufbauenden Konzept der Förderung von Diversität in allen Bereichen haben sich die Vertreter postkolonialer Ideologie in den staatlichen Strukturen Deutschlands fest etabliert und beanspruchen insbesondere im Kulturbereich die Deutungshoheit. Im Kulturbetrieb wird die „diversitätsorientierte Öffnung von Kultureinrichtungen“ gerade mit den „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ der Bundeskulturstiftung vorangetrieben, einem Konzept, bei dem unter anderem sogenannte „Agenten mit Diversitätskompetenz“ in den Kulturinstitutionen „Vorschläge und Maßnahmen erarbeiten, wie sich die Institutionen diversifizieren und einen Beitrag zu einer selbstbewussten, Einwanderern gegenüber offenen Gesellschaft so gestalten können, dass die Stadtgesellschaft davon profitiert“. Auch in den Institutionen der Stadt München sind zahlreiche Antidiskriminierungsstellen fest verankert, etwa in Form von Gleichstellungsstellen für Frauen sowie Gleichstellungsstellen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, im Behindertenrat sowie in Stellen zur Koordination zum Thema Rechtsextremismus sowie zur interkulturellen Arbeit. Entsprechend wird im Kulturbetrieb peinlich genau darauf geachtet, dass im eigenen Zuständigkeitsbereich niemand etwas sagt oder tut, was als diskriminierend interpretierbar wäre.

Am traurigsten an diesem Schauspiel ist, dass ein Mann wie König sich genötigt sieht, die Schuld in der Diktion der Ankläger als „alter weißer Mann“ auf sich zu nehmen und zu Kreuze zu kriechen. Das Ganze erinnert fatal an den stalinistischen Reflex der Selbstkritik – eingefordert vom System und geleistet vom Abweichler. Cana Bilic-Meier dagegen kann sich freuen, dass sie auf diese Weise mediale Aufmerksamkeit erhält, die ihrer Kunst wohl verwehrt geblieben wäre.


Harald Schulze ist Archäologe und Museumskurator. Er studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte. Schulze ist Abteilungsleiter für den Mittelmeerraum und Orient an der Archäologischen Staatssammlung München.

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