Womöglich ist die Nummer mit der Falterspezies zu schön, um wahr zu sein. Sofern sie jedoch stimmt, wäre sie eine Posse ohnegleichen.
Zunächst aber etwas Handfesteres. Bei Gruner+Jahr in Hamburg kam es letzte Woche zur Aufführung einer Art indianischen Beschwörungstanzes vor der Belegschaft im Foyer. Die zwei Stammeshäuptlinge, Stephan Schäfer und Oliver Radtke, übernahmen dabei die Rollen der Medizinmänner am Totempfahl der Beruhigung. Tenor des Gesundbetungsrituals im Kreise der „Stern“-Mohikaner: Alles wird gut. Das sollten jedenfalls die Worte der beiden G+J-Geschäftsführer bei den Redakteuren bewirken.
Wer das glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Und damit sind wir bei der Angelegenheit mit dem Falter. Offenbar müssen wegen der rein baulichen Zukunft des Verlages erneut rituelle Tänze zu Ehren des großen Manitu aufgeführt werden. Denn es sieht so aus, als sei ein winziges Tierchen in ein Vorhaben hinein geflattert, das im Verlag seit Jahren für Wirrwarr sorgt – es geht um den geplanten Neubau der G+J-Zentrale in der Neuen Hafencity. Immer wieder wurde und wird betont, dass natürlich gebaut würde und man die Zweifel daran nicht verstehe. Angeblich soll im Mai der erste Spatenstich erfolgen. Jetzt sieht es indes so aus, als könnte das Projekt scheitern oder sich zumindest weiter verzögern. Denn eine offenbar gleichermaßen seltene wie schützenswerte Falterart, die sich ausgerechnet auf jenem Grundstück angesiedelt haben soll, auf dem das künftige Verlagsgebäude geplant ist, durchkreuzt die Planung. So wird es jedenfalls auf den Verlagsfluren amüsiert getuschelt. Des Weiteren sollen bereits Tierschützer zur Erhaltung der Heimstatt des Flattermanns Alarm schlagen.
Das unsägliche Gezerre um den Verkauf des alten Gebäudes und den ursprünglich für 2021 geplanten Umzug ins neue Quartier zieht sich seit Jahren in die Länge. Zuletzt meldete das Stadtportal hamburg.de, immerhin die offizielle Internetpräsenz der Hansestadt, am 5. August 2020 zu der verworrenen Angelegenheit dies: „Um Gruner + Jahr bei der Realisierung des neuen Unternehmensstandortes am Lohsepark in der HafenCity zu unterstützen, hatte die Stadt 2016 mit G+J vereinbart, die Immobilie des Verlags am Baumwall für eine städtische Nutzung zu erwerben. Der Übergang von Nutzen und Lasten des denkmalgeschützten Objektes sowie die Zahlung des Kaufpreises waren bis 2024 geplant. G+J hat der Stadt im Juni 2020 nunmehr signalisiert, für die Immobilie am Baumwall eine anderweitige Verkaufs- und Nutzungsoption anzustreben und hierzu ein seinerzeit im Kaufvertrag vereinbartes Rücktrittsrecht wahrnehmen zu wollen. Der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) hat vor diesem Hintergrund eine einvernehmliche Aufhebung des Kaufvertrags vereinbart. Die jetzt erzielte Verständigung macht die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts entbehrlich. G+J wird das Objekt Baumwall an den Immobilienentwickler TismanSpeyer veräußern.“
Dank Corona und dem damit verbundenen Homeoffice für alle eröffnet sich nun für die G+J-Rechenmaschinen unverhofft eine womöglich willkommene Perspektive. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass die Unternehmenslenker des Verlages inzwischen keine Notwendigkeit mehr für ein neues Verlagsgebäude sehen, das viele Millionen verschlingen würde. Die Redakteure und sonstigen Mitarbeiter könnten vielmehr genau so gut weiterhin in ihrer privaten Butze sitzen und dort auf den Laptops für den Verlag klimpern. So hören sich jedenfalls die jüngsten Mutmaßungen am Baumwall an.
Statt eines teuren Neubaus käme dann nur noch ein vergleichsweise lächerlicher Mietzuschuss für die Mitarbeiter in Frage, weil diese ihren Arbeitsplatz weiter im Wohnzimmer hätten, um von dort via Internet und Videokonferenz dennoch „im Büro anwesend“ zu sein. Das sind geradezu erotische Aussichten für all jene blassen Zahlenlangweiler, die jeden eingesparten Euro als heißen Sex empfinden.
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