Tichys Einblick
Der neue Ikonoklasmus

Denkmalstürze führen keine bessere Zukunft herbei

Wer das kulturelle Vermächtnis von allem reinigen will, was moralisch „unrein“ ist, hinterlässt eine sterile, verarmte Stadtlandschaft. Aber womöglich geht es auch um etwas weiter reichendes.

imago Images

Wir leben zur Zeit in einem neuen Zeitalter des Bildersturms. Ganz besonders gilt das für die USA und Großbritannien, aber die Auswirkungen sind ansatzweise auch schon in einigen Ländern Kontinentaleuropas zu spüren. Jedenfalls fehlt es auch in Deutschland nicht an Forderungen, Denkmäler von Bismarck, des „bösen Kolonialisten“, zu stürzen, so dass die Trümmer dieser Monumente der gegenwärtigen und der zukünftigen Generation als moralisches Mahnmal dienen mögen. So zumindest äußerte sich der bekannte Hamburger Forscher zur Geschichte des Kolonialismus, Jürgen Zimmerer, der auch sonst als gnadenloser politischer Aktivist, für den jeder Gegner ein Rassist ist, vielfach von sich reden macht. Anderswo provozieren nicht nur amerikanische Bürgerkriegsgeneräle den Zorn der neuen Ikonoklasten, sondern auch der spanische Entdecker der neuen Welt, Columbus, oder, in England, all jene Abenteurer, Generäle oder Forschungsreisenden, die am Aufbau und der Ausdehnung des britischen Empire beteiligt waren, von Cecil Rhodes über Henry Morton Stanley bis hin zum Pfadfinder-Gründer Baden Powell. 

Die historische Dimension von Denkmalstürzen

Man muss einräumen, dass Denkmalstürze nicht per se neu sind. Nach dem Ende von Diktaturen etwa wurden regelmäßig die Monumente, die solche Regime errichtet hatten, abgeräumt, manchmal im ersten Furor, manchmal auch erst, man denke an die Franco-Denkmäler in Spanien, von denen viele freilich an neuen, versteckteren Standorten doch überlebt haben, mit einer gewissen Verzögerung. In ähnlicher Weise haben Diktaturen ihrerseits eine Tendenz, Zeugnisse der Vergangenheit, die nicht zu ihrem Weltbild passen, zu zerstören, von Kirchen und Klöstern bis hin zu Palastbauten und den Standbildern für die Heroen eines vorrevolutionären Systems.

Das Besondere am jetzigen Bildersturm ist aber, dass er eben bis jetzt nicht einhergeht mit einem tiefgreifenden politischen Systemwechsel oder gar einer sozialen Revolution, denn die leidenschaftlichen Kämpfer gegen Rassismus erheben zwar den Anspruch, den öffentlichen Raum und die Sprache vollständig zu kontrollieren, aber ein Konzept für eine neue politische oder soziale Ordnung haben sie nicht, wie jüngst auch noch einmal der englische Philosoph John Gray hervorgehoben hat.

Verbessert der Sturz der Statue von Rhodes in Oxford wirklich die sozialen Aufstiegschancen von Kindern schwarzer Eltern in Großbritannien? Wohl kaum. Aber darum geht es auch nicht, sondern um die symbolische Beherrschung des öffentlichen Raumes und darum, dass man sich selber besser fühlt, weil man demonstriert hat, dass man gegen die Zeichen des Bösen in der Welt kämpft. Die visuellen Spuren falscher Gesinnungen stellen für die leidenschaftlichen Antirassisten und Dekolonialisierer gewissermaßen das dar, was das Malzeichen der endzeitlichen Bestie (Off. 13,16) in den Zeiten eschatologischer Naherwartung für die Leser der Offenbarung des Johannes war.

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Die Symbolpolitik des Denkmalsturzes soll aus eigener Kraft eine vermeintlich kranke Gesellschaft heilen und ist nicht einfach nur die Nebenwirkung eines grundlegenden Umsturzes wie etwa in der Französischen Revolution. Man ist versucht, hier fast Symptome eines magischen Weltbildes zu entdecken, denn viele der Denkmäler, um die es hier geht, haben eigentlich nur noch eine museale Bedeutung, das heißt, der politische Appellcharakter, den sie bei ihrer Aufstellung besaßen, ist ihnen im Laufe der Zeit abhanden gekommen.

Wer fühlt sich etwa durch ein Denkmal für den Krieg von 1870/71, von dem die meisten Deutschen unter 40 heute weniger als nichts wissen dürften, wirklich dazu animiert, auf einen neuen siegreichen Feldzug gegen die bösen „Franzmänner“ zu hoffen. Wohl so gut wie niemand. Und für meisten Denkmäler von Kolonisatoren und imperialen Helden in Großbritannien dürfte ähnliches gelten.

Lediglich bei den Südstaatengenerälen in den USA könnte es sich anders verhalten, weil sie immer noch Vorbildcharakter für Gruppen haben können, die die Befreiung und Gleichstellung der Afroamerikaner bis heute nicht akzeptiert haben. Hier ist der Zorn, der sich gegen die Denkmäler richtet, dann auch etwas eher verständlich, ebenso wie bei Gestalten wie König Leopold II. von Belgien, dem zumindest die Mitverantwortung an ungeheuren Verbrechen, die in Belgien lange verdrängt wurden, zur Last gelegt werden kann. Auch hier fragt sich allerdings, ob der Denkmalsturz die richtige Maßnahme ist oder man nicht eher auf erklärende Schrifttafeln oder „Gegendenkmäler“ am selben Ort zurückgreifen sollte.

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Denkmäler von Herrschern und politischer Heroen waren freilich immer schon umstritten, zum Teil auch schon zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung. Als in Paris 1763 ein gewaltiges Reiterstandbild für Ludwig XV., das schon seit 1748 geplant worden war, errichtet wurde, musste es schon bald durch einen Zaun und durch Wachen vor Graffiti und anderen Entstellungen geschützt werden. Die Pariser, die das Denkmal ablehnten, erregten sich freilich nicht darüber, dass der König Eroberungskriege geführt hatte, sondern darüber, dass diese misslungen waren. Eigentlich schon 1740-48, erst recht aber im Siebenjährigen Krieg, als Frankreich fast sein ganzes Kolonialreich verlor.

Einen solchen Herrscher zu heroisieren, wie es das Reiterstandbild versuchte, war eben unmöglich, der Kontrast zur Realität war zu groß. Heute würde man diese Misserfolge als Kriegsfürst Ludwig XV. wohl weniger vorwerfen, aber das Problem hat sich erledigt, denn die Revolutionäre zerstörten das Standbild 1792 und schmolzen es ein, so wie fast alle anderen öffentlichen Denkmäler für die Monarchen Frankreichs auch. Bei dem Bildersturm der frühen 1790er Jahren spielten dann auch ästhetische Gesichtspunkte keine Rolle mehr; das künstlerisch Wertvolle wurde ebenso vernichtet wie zweit- und drittklassige Werke, ähnlich wie dann in der Kulturrevolution in China unter Mao. 

Wo findet das Streben nach moralischer Reinheit seine Grenze?

Sieht man sich die gegenwärtige Debatte an, dann kann man durchaus ähnliche Tendenzen erkennen. Denn wenn Denkmäler von Männern und Frauen, die sich anderen Werten verpflichtet wussten als unseren und Taten begingen oder sie vielleicht auch nur verharmlosten, die aus unserer Sicht moralisch anstößig sind, gestürzt werden müssen, warum pinseln wir dann nicht zum Beispiel die Fresken Vasaris in der Sala Regia des Vatikans über, die nicht nur den aus Sicht der Anwälte der grenzenlosen Diversität zutiefst bedauerlichen christlichen Sieg bei Lepanto, sondern auch das Massaker an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht von 1572 verherrlichen?

Nun gut, die Kurie wird vielleicht einstweilen noch zögern, hier ihr Einverständnis zu geben, obwohl ja in früheren Jahrhunderten durchaus anstößige Kunstwerke ganz oder teilweise übermalt wurden, wie in der Sistina, aber weltliche Regierungen werden hier eher nachgeben. Dann werden vielleicht auch Bilder, die große Eroberer und Kolonialherrscher heroisieren, und davon gibt es genug, in den Magazinen der Museen verschwinden, weil ihr Anblick den Betrachter moralisch vergiften oder zarte Gemüter, die sich als Nachfahren der Opfer sehen, verletzen könnten.

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Nur, wer den öffentlichen Raum und das kulturelle Vermächtnis der Geschichte von allem reinigen will, was moralisch „unrein“ ist, weil wir anders denken als frühere Generationen, der muss am Ende fast alles verschwinden lassen, was an die Vergangenheit in Gestalt von Monumenten oder auch von Straßennamen erinnert. Am Ende bliebe eine Stadtlandschaft, die komplett steril und auch visuell sehr viel ärmer ist. Sicher, man könnte sie wiederbeleben, indem man neue Denkmäler für Freiheitshelden, für die Opfer des Rassismus und die mannigfaltigen, im besten Sinne des Wortes diversen Repräsentant*innen von ethnischen und sexuellen Minderheiten errichtete.

Nur, hier wird mit Sicherheit das Prinzip gelten, dass Revolutionen ihre Kinder fressen. Der Freiheitsheld von gestern, man denke an Gandhi, ist der Rassist von morgen und die Feministin von vorgestern ist die transphobe Hetzerin von heute, die man radikal aus jedem Diskurs ausschließen muss, wie man es in der öffentlichen Debatte ja gerade beobachten kann. Am Ende wird man die Denkmäler und Straßennamen alle 20 Jahre austauschen müssen, bis man zu dem Schluss kommt, dass es doch besser sei, den Straßen nur Nummern statt Namen zu geben und auf öffentliche Kunstwerke, die Personen darstellen, ganz zu verzichten. 

Aber vielleicht geht es ja am Ende gar nicht um moralische Reinheit an sich, sondern nur darum, die kulturelle Tradition der bisherigen Mehrheitsbevölkerung anzugreifen und zu schwächen, wenn nicht gar weitgehend zu zerstören. Gar so abwegig ist dieser Gedanke nicht, denn die Lehrpläne der Universitäten und Schulen sollen ja auch gereinigt werden, um weniger eurozentrisch und „rassistisch“ zu sein, so zumindest ansatzweise in Großbritannien. Wenn das die Absicht ist, müssen wir uns freilich auf Kulturkämpfe auch in Europa einstellen, die ähnlich heftig sind wie in den USA und die ohnehin schon sichtbare Spaltung der Gesellschaft weiter vertiefen werden. 

Von der Arroganz der Imperialisten zum neuen Hochmut der moralischen Kolonisatoren des eigenen Landes

Was speziell die Denkmäler betrifft, so hat die Heroisierung von einzelnen Menschen natürlich in der Tat immer ihre problematische Seite, denn jeder, der handelt oder gar Macht ausübt, macht sich in dieser oder jener Form schuldig. Deshalb wurden öffentliche Standbilder von Herrschern und Heldenfiguren von den Vertretern der Kirche in der Vergangenheit auch zum Teil durchaus kritisch gesehen und Herrscherdynastien, die sich wie die Habsburger als besonders fromm inszenierten, zögerten lange, sich auf diese Weise verherrlichen zu lassen. Jedes Denkmal ist auch ein Monument der menschlichen Eitelkeit und kann auch als solches kritisiert werden.

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Da waren die Doppelgrabmäler des späten Mittelalters, die Herrscher oft zugleich im vollen Ornat und als halbverweste Leichname oder als Skelette darstellten, und damit an die Hinfälligkeit menschlichen Ruhmes erinnerten, der conditio humana vielleicht angemessener als der Triumphalismus der Kunst seit der Renaissance. Aber auch dieser Triumphalismus und sein Heldenkult, so fremd er uns auch heute geworden sein mag, sind Teil unserer Geschichte und unserer Kultur, und wenn wir alles zerstören und wegätzen wollen, was unrein ist, wird nicht mehr viel von dieser Kultur übrig bleiben, sondern nur noch historische Ignoranz und eine kulturelle Wüste, so wie nach der Kulturrevolution in China.

Die neuen Sittenwächter in ihrem Hochmut wären vielleicht gut beraten, sich an einem Dichter zu orientieren, der oft als Barde des Imperialismus gilt, nämlich an Kipling. Dessen berühmtes Gedicht Recessional, ein Werk, das anlässlich des Thronjubiläums der Königin Victoria 1897 geschrieben wurde, war in Wirklichkeit trotz vermeintlich rassistischer Formulierungen wie den berühmten „lesser breeds without the law“ eine Aufforderung zur Demut, und eine Warnung vor dem Hochmut, den der Erfolg und die Fülle weltlicher Macht hervorbringen.

Aber die Selbstgerechtigkeit der neuen Denkmalstürzer ist in Wirklichkeit von der Arroganz, die den europäische Imperialismus oft kennzeichnete, gar nicht so weit entfernt. In beiden Fällen geht es um dem Kampf gegen Rückständigkeit und „Barbarei“, den Menschen führen, die sich ihren Widersachern unendlich weit überlegen fühlen und die zur Selbstkritik, wie Kipling sie anmahnte, unfähig sind. Ein „humble and contrite heart“ (ein demütiges und reumütiges Herz), wie der viktorianische Dichter es einforderte, wäre vielleicht durchaus von Nöten, aber leider bezieht sich die genüsslich öffentlich zelebrierte Reue heute meist nur auf die Taten vergangener Generationen oder die Gesinnung der weiterhin verachteten konservativ gesinnten Milieus im eigenen Land – also die bösen alten weißen Männer, die selber quasi kolonisiert und umerzogen werden sollen – und nie auf den eigenen Lebensstil und die Eitelkeiten des linksliberalen Bürgertums selber, das solche kulturellen Reinigungsbewegungen, wie wir sie gerade beobachten können, in der Regel mit Begeisterung vorantreibt, um damit seine Tugendhaftigkeit zu demonstrieren.

Wie schrieb Kipling 1897? „For frantic boast and foolish word –Thy Mercy on Thy People, Lord!“ (Für wildes Auftrumpfen und törichte Worte möge Dein Erbarmen Deinem Volke gelten, Herr!). Ein wenig Erbarmen würde auch unseren Gesellschaften jetzt vielleicht ganz gut tun.

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