Zum Weihnachtsfest 2019 veröffentlichte Papst Franziskus das Motuproprio „Admirabile signum“ („wunderbares Zeichen“) über Bedeutung und Wert der Weihnachtskrippe. Ein solches Apostolisches Schreiben trägt zwar nicht den unmittelbaren Lehrcharakter einer päpstlichen Enzyklika, ist jedoch als persönliches Wort des römisch-katholischen Kirchenoberhaupts von einigem Gewicht. Dass sich ein Papst höchstselbst mit der Weihnachtskrippe beschäftigt, die für viele Menschen nur noch eine gehobene Kinderbelustigung darstellt, mit Ochs und Esel, nicht dem Christuskind, als Hauptakteuren, mag etwas befremdlich erscheinen, doch das Schreiben ist alles andere als läppisch.
Schließlich gilt die Krippe, nicht der Weihnachtsbaum, als das eigentliche Symbol des Weihnachtsfestes, auch wenn, oberflächlich betrachtet, ein armseliges Kind in einem armseligen Futtertrog, weniger Eindruck macht als eine prächtig geschmückte, perfekt gewachsene Nordmanntanne, der heute vorherrschenden Spezies postchristlicher Weihnachtsdekoration – selbst wenn es sich bei diesem Kind um Gottes Sohn handelt, was viele nicht mehr glauben können oder wollen.
Immerhin ist die Bedeutung des Weihnachtsfests der Mehrheit der Bevölkerung noch bekannt, anders als bei Pfingsten, das nur die Hälfte der Teilnehmer einer Umfrage noch mit dem Heiligen Geist in Verbindung brachte. Weihnachten als Fest von Christi Geburt ist hingegen noch 92 Prozent ein Begriff.
Als ursprünglich heidnisches Sinnbild immergrünen Lebens in der unwirtlichen und potenziell lebensfeindlichen Winterzeit wurde der Weihnachtsbaum nur recht oberflächlich christianisiert und hielt erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts Einzug in katholische Gotteshäuser. Papst Johannes Paul II. führte das Brauchtum 1982 im Vatikan ein, als erstmals ein Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz in Rom aufgestellt wurde. Noch heute soll es Geistliche geben, die einem Adventskranz und Christbaum im Altarraum, ganz im Gegensatz zur Weihnachtskrippe, skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.
Tradition datiert aufs 13. Jahrhundert
Die Geschichte der Weihnachtskrippe geht zurück ins 13. Jahrhundert, als sich der heilige Franziskus in Greccio im Rieti-Tal aufhielt, einem noch heute ziemlich wilden Landstrich rund 100 Kilometer östlich von Rom. Franziskus kam wohl aus der Ewigen Stadt, wo er am 29. November 1223 von Papst Honorius III. die Bestätigung seiner Ordensregel in Empfang genommen hatte.
Die Topografie des Rieti-Tals mit ihren zahlreichen, einst oft von einsiedlerisch lebenden Mönchen bewohnten Karsthöhlen, auch „Valle Santa“ („Heiliges Tal“) genannt, mochte ihn nach seiner Reise durch Palästina an die Landschaft von Bethlehem erinnert haben. Jedenfalls soll Franziskus 15 Tage vor Weihnachten einen Einheimischen namens Johannes um Hilfe bei der Verwirklichung eines Wunschs gebeten haben. Er wolle das „Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel stand, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar wie möglich mit leiblichen Augen anschauen“, schrieb der Ordensbruder und Verfasser der ersten Franziskus- Biografie Thomas von Celano.
Franziskus’ Wunsch war den Bewohnern von Greccio Befehl, und so wurde den Quellen zufolge am 25. Dezember 1223 in einer Grotte die erste „lebende“ Krippe der Christenheit gestaltet, man könnte auch von einem Krippenspiel sprechen. Denn damals, so der Papst, seien in Greccio keine Figuren zum Einsatz gekommen. „Die Anwesenden selbst stellten die Krippenszene dar und erlebten sie, inklusive einer Vision, die sich in jener Nacht ereignet haben soll. Nach dem Zeugnis von Thomas von Celano habe einer der Anwesenden das Jesuskind selbst in der Krippe liegen sehen. An diesem Weihnachtsfest im Jahr 1223 kehrte ein jeder, so Celano, „in seliger Freude nach Hause zurück“.
„Theatrum sacrum“
Auch wenn sich die Entfaltung „seliger Freude“ heutzutage in erster Linie auf das Auspacken von Geschenken und den Genuss des Weihnachtsmahls beschränkt, ist die Tradition der Krippendarstellung seit den Tagen des heiligen Franziskus nicht verloren gegangen, was in erster Linie den Jesuiten zu verdanken ist.
Weil es sich bei Franziskus um den ersten Papst handelt, der dem Orden der Societas Jesu angehört und dieser Papst noch dazu ein außerordentlicher Verehrer des heiligen Franziskus ist, scheint sein starkes Engagement für die Krippe nicht weiter erklärungsbedürftig. Denn die Jesuiten waren es, die zur Zeit der Gegenreformation die Attraktivität des „Theatrum sacrum“, des „Heiligen Theaters“ als wirksames Mittel pädagogischer Beeinflussung der Gläubigen erkannten und förderten.
Von ihren franziskanischen Ursprüngen her sei die Krippe, so der Papst in seinem Motu proprio, „in besonderer Weise eine Einladung, die Armut zu fühlen und zu berühren, die der Sohn Gottes bei seiner Menschwerdung für sich gewählt hat. Und so ist dies implizit ein Appell, ihm auf dem Weg der Demut, Armut und Entäußerung zu folgen, der von der Futterkrippe in Bethlehem zum Kreuz führt.“
Ein Appell, der bis heute nichts von seinem umstürzlerischen Gestus eingebüßt hat, auch wenn die biblischen Quellen im Hinblick auf das Geburtsgeschehen in Bethlehem eher spärlich sind. Die wichtigste und berühmteste findet sich im Lukasevangelium: Maria „gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“
1223 wurde in Greccio auf Wunsch des heiligen Franziskus in einer Grotte die erste „lebende“ Krippe der Christenheit gestaltet
Über das erste Aufscheinen einer Weihnachtskrippe gibt es keine gesicherten Nachweise. Vorläufer waren bildliche Darstellungen aus dem Themenkreis der Kindheitsgeschichte Jesu Christi. Sie verbanden sich mit dem geistlichen Schauspiel, wie es aus des heiligen Franziskus’ Tagen erstmals bezeugt ist.
Als älteste erhaltene figürliche Krippe gilt ein Altar mit verstellbaren Alabasterfiguren von höchster künstlerischer Qualität in St. Maria Maggiore in Rom, geschaffen 1291 von dem Florentiner Bildhauer Arnolfo di Cambio. Hinweise auf die Verwendung von Holzfiguren zur Gestaltung einer Krippenszene gibt es seit dem 15. Jahrhundert.
Doch erst ab dem 16. Jahrhundert machten die Jesuiten die Weihnachtskrippe als eigenständigen Typus kultischer Verehrung in ganz Europa populär. Sie wurden in Kirchen und Klöstern präsentiert, Fürstenhäuser nahmen die Tradition auf. Die Fürsten waren es allerdings auch, die im Zuge der Aufklärung dem
Krippenzauber ein Ende bereiteten, zumindest dessen öffentlicher Zurschaustellung.
Es wurden sogar regelrechte Krippenverbote für Kirchen und Ordenshäuser erlassen, viele schöne Barockkrippen oft mit lebensechten Szenerien aus dem Heiligen Land wurden auf staubige Dachböden verbannt oder zerstört. Überleben konnte die Krippentradition nur im privaten Bereich, gewissermaßen hinter dem Rücken der Obrigkeit – die Hauskrippe war geboren.
Miniaturisierung
Waren Krippenfiguren zunächst zuweilen fast mannshoch, wurden sie im Rahmen ihrer Verbürgerlichung zunehmend miniaturisiert und nahmen damit den Charakter von Spielzeugen an. Längst hatte man der Heiligen Familie neben den drei Weisen aus dem Morgenland sowie Ochs und Esel – die übrigens nur in dem apokryphen, um 600 nach Christus entstandenen Pseudo-Matthäus-Evangelium auftauchen – zahlreiche weitere Mitspieler zugesellt: allerlei Getier, Hirten und Kinder, denen nur eine Rolle zugedacht war: dem Kind in der Krippe zu huldigen.
Vor allem im holzreichen alpinen Raum entstand aus hausgewerblichen Ursprüngen eine regelrechte Krippenindustrie, die noch heute, mit überwiegend maschinell produzierter Ware, die ganze Welt beliefert. Die Schnitzer im Grödnertal, in Oberammergau oder in Berchtesgaden verlegten die Weihnachtsgeschichte in ihre Heimat. Statt in exotischer Umgebung mit Palmen und Kamelen fand sich das Christuskind nun in Berghüttengemütlichkeit.
Die berühmten neapolitanischen Weihnachtskrippen stellen dagegen das normale Leben in Neapel dar, inklusive ganz normaler Menschen wie Handwerkern, Händlern, Musikanten, Bettlern und Huren. „Die Armen und Einfachen in der Krippe erinnern daran, dass Gott Mensch wird für die, die am meisten spüren, dass sie seiner Liebe bedürfen und um seine Nähe bitten“, schreibt der Papst. Den Hintergrund süditalienischer Krippen bilden oft verfallene antike Tempel, Paläste und Grotten. Eine der schönsten Sammlungen neapolitanischer Krippen ist im Bayerischen Nationalmuseum in München zu bewundern.
Sonderformen der Krippe sind Simultan- oder Wandelkrippen, die nicht nur das unmittelbare Weihnachtsgeschehen im Stall zu Bethlehem zeigen, sondern mit der Erzählung des Heilsgeschehens schon bei der Verkündigung ansetzen. Solche Wandelkrippen werden oft bereits am Nikolaustag aufgestellt und bis zum Dreikönigstag immer wieder verändert und ergänzt.
Bei der Simultankrippe werden alle Szenen gleichzeitig dargestellt, bei der Jahreskrippe sind es die Stationen des ganzen Kirchenjahres. Einst waren es Ordensleute, oft Einsiedler, die sich hingebungsvoll um das Aufstellen und die Pflege von Krippen kümmerten. In Nußdorf am Inn wird diese Tradition bis heute gepflegt – von Bruder Damian in der Kirchwaldklause, einem Wallfahrtsort mitten im Bergwald.
Weihnachtsbaum wird Favorit
In protestantischen Regionen konnte sich die Krippe kaum durchsetzen, hier bevorzugt man den Weihnachtsbaum als Symbol des Festes zu Christi Geburt, wobei die radikalsten Reformatoren, insbesondere die Puritaner im angelsächsischen Raum, zeitweise auch dem Weihnachtsbaum als heidnischem Brauchtum den Kampf ansagten. Im Zeichen zunehmenden Glaubensverlustes scheint dem Siegeszug des Weihnachtsbaums auch in katholischen Gefilden heute kaum mehr etwas entgegenzustehen, wenngleich zumindest in katholischen Kirchen eine Renaissance von Krippendarstellungen zu konstatieren ist. Wie in den Zeiten der Gegenreformation scheint man sich auf die Wirkmacht ästhetischer Reize zu besinnen, wovon auch Papst Franziskus’ flammendes Bekenntnis zur Weihnachtskrippe zeugt.
Im Ulmer Münster hatte der zuständige Kirchengemeinderat im Oktober 2020 entschieden, die Figuren der Heiligen Drei Könige aus der Krippe zu entfernen, weil die in den 1920ern entstandene Darstellung des dunkelhäutigen Melchior nach Einschätzung von Dekan Ernst-Wilhelm Gohl „rassistisch geprägte Stereotype“ reproduziere. Doch dies blieb bislang offenbar ein Einzelfall, wobei sich bei der Inaugenscheinnahme der inkriminierten Figur Gohls Einschätzung nicht ganz von der Hand weisen lässt. Gohl ist übrigens seit 2022 Landesbischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Die Säuberungsaktion entfachte eine Debatte, in die sich auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz einschaltete. Christus werde von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und aus unterschiedlichen Völkern verehrt: „Wenn die Darstellung dieses Königs klischeehaft oder diskriminierend ist, sollte sie durch andere Darstellungen ersetzt werden, in denen dunkelhäutige Menschen sich wiedererkennen können. Eine Krippe ohne Melchior würde hingegen suggerieren, dass Christus nur für weiße Menschen zur Welt gekommen ist. Das wäre grundlegend falsch und würde zu Recht als rassistisch bezeichnet. Krippendarstellungen mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe spiegeln die Vielfalt der Kirche wieder.“
Das sollten sich auch die Bilderstürmer des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“ und des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hinter die Ohren schreiben, die sich willig in den menschenverachtenden Kreuzzug „gegen rechts“ einreihten und den Teilnehmern der Sternsingeraktion die ganz und gar unschuldige Verwendung schwarzer Schminke („Blackfacing“) zwecks lebensechter Darstellung des Melchior verleiden wollen. Dass die Krippe mitsamt den drei morgenländischen Königen unterschiedlicher Hautfarbe von der Liebe Gottes zu allen Menschen erzählt, haben die schrecklich Gutmeinenden wohl noch nicht ganz begriffen.