Scruton verstand Konservatismus nie als reinen Rückblick. Er trat immer – mit Edmund Burke – dafür ein, dass der Gesellschaftsvertrag zwischen drei Parteien geschlossen werden sollte: den Toten, den Lebenden und der kommenden Generation. Und er forderte andere dazu auf, nicht zuerst die Verluste zu beklagen, sondern auf die Ideen und Traditionen zu bauen, die bis heute existieren. Um diesen Gedanken kreist sein Buch.
Manchem deutschen Leser dürfte der Brite Roger Scruton schon ein Begriff gewesen sein, bevor die deutsche Übersetzung von „How to be a Conservative“ 2019 in der Edition Tichys Einblick (Finanzbuch Verlag) erschien. Im April 2019 twitterte ein Journalist des New Statesman angebliche Zitate aus einem Interview, das er mit Scruton geführt hatte – Beleidigendes über Chinesen, einen antisemitischen Kommentar über den Finanzier George Soros, aggressive Bemerkungen über den Islam. Nur vier Stunden später entfernte die britische Regierung unter Theresa May den Philosophen von seinem (unbezahlten) Posten einer Kommission für besseres Bauen. Der New-Statesman-Journalist postetet daraufhin ein Bild von sich selbst, auf dem er mit Champagner zu sehen war und den Abschuss des konservativen Publizisten feierte.
Nach einer Schamfrist (die Scham bezog sich auf den zuständigen Minister) bekam er sogar seinen Job in der Kommission zurück.
Wer ist der Philosoph, der diesen Sturm stoisch über sich ergehen ließ? Roger Scruton, Jahrgang 1944, besitzt die seltene Fähigkeit, über Ideen so zu schreiben wie Rudyard Kipling über Personen und Landschaften. Die Begriffe in „Von der Idee, konservativ zu sein“ bleiben nicht abstrakt. Denn seine Idee des Konservativseins ist die der Begrenzung: Eine Gemeinschaft freier Bürger kann für ihn nur in überschaubaren Gebilden und nur im freiwilligen Zusammenschluss existieren (weshalb Scruton auch den Brexit begrüßt). „Wenn die Gesellschaft von oben organisiert wird, entweder durch die vertikale Führung einer revolutionären Diktatur oder durch die unpersönlichen Verordnungen einer undurchschaubaren Bürokratie, verschwindet die Verantwortung schnell aus der politischen Ordnung ebenso wie aus der Gesellschaft. Eine vertikale Regierung gebiert verantwortungslose Individuen, und die Enteignung der bürgerlichen Gesellschaft durch den Staat führt dazu, dass die Bürger nicht mehr willens sind, für sich selbst zu sorgen.“
Was den Autor von vielen anderen westlichen Konservativen unterscheidet, ist seine Erfahrung des östlichen Totalitarismus. Er reiste schon in den siebziger Jahren zu Zeiten der Charta 77 nach Prag, um sich dort mit Dissidenten zu treffen. Wenn er von seiner ersten Begegnung mit diesem Untergrund in einer Prager Privatwohnung erzählt, ist Scruton gleichzeitig Historiker, Autobiograf und Philosoph. „In jenem Zimmer hatte sich der arg mitgenommene Rest der Prager Intelligenzia eingefunden: alte Professoren in abgenutzten Westen, langhaarige Poeten, Studenten mit frischen Gesichtern, Priester, Romanautoren, und Theologen […] Auch hatte ich entdeckt, dass sie alle den gleichen Beruf hatten: sie waren Heizer.“
In seinem Buch gibt es durchaus melancholische Passagen; den Verlust etwa der religiösen Spiritualität, den er für unumkehrbar hält, bedauert er außerordentlich. Dennoch lautet sein Appell an Konservative, nicht ständig über Verluste zu klagen, sondern vor allem darüber zu sprechen, was sich trotz aller Umbrüche im Westen an kulturellen Beständen erstaunlicherweise erhalten hat. Zum 30. Jahrestag der Samtrevolution reiste er im November 2019 noch einmal nach Prag, zwar gezeichnet von der Chemotherapie, aber auch mit Triumph. Im Spectator schrieb er vor wenigen Tagen, beim Fall der Mauer 1989 sei es Tschechen, Polen und den anderen Völkern nicht um Grenzenlosigkeit gegangen, sondern darum, dass sie nach dem Untergang des Ostblocks wieder in eigenständigen Staaten leben konnten: „We are celebrating the restoration of national sovereignty to people who had been absorbed and oppressed by a lawless empire.“
Renitente Bürger, die an Ideen festhalten, davon ist Scruton überzeugt, können mächtiger sein als Imperien.
Roger Scruton, Von der Idee, konservativ zu sein. Eine Anleitung für Gegenwart und Zukunft. Aus dem Englischen übersetzt von Krisztina Koenen. 288 Seiten, Edition Tichys Einblick im FinanzBuch Verlag. 22,99 Euro.
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