„Während es im Westen als Unterdrückung gilt, findet die Mehrheit dort das Konzept okay.“ Das schreibt ein Spiegel-Autor über die Vielehe im Senegal – ohne allerdings eine Umfrage oder ähnlichen Beleg zu bieten. Fast schon wie Satire erscheint es, wenn das Magazin eine Senegalesin berichten lässt, die nach eigener Aussage „Gender Studies und Soziologie studiert“ hat: „Der polygame Haushalt gibt mir Freiheiten, die ich sonst nicht hätte. Hier im Senegal wird erwartet, dass man als Ehefrau immer für seinen Mann da ist und sich obendrein noch um dessen Familie kümmert. So will es die Tradition. Aber ich will auch Zeit für mich haben, meine eigenen Interessen verfolgen, unabhängig sein.“ Also sei die Vielehe „die beste Option, denn so kann ich mir die Last mit den anderen Frauen teilen“.
Wir sind weder die ersten noch die letzten Mädchen, die mein Vater und meine Onkel verheiraten werden. Im Gegenteil: Sie sind eher froh, ihre Pflicht so reibungslos erfüllt zu haben. Sie warten schon seit unserer Kindheit auf den Augenblick, in dem sie ihre Verantwortung endlich abgeben und als Jungfrauen einem anderen Mann übergeben können.“ (Seiten 16-18)
„Wir sind eine vielköpfige Familie. Mein Vater führt sie mit strenger Hand. Vier Frauen haben ihm um die dreißig Kinder geschenkt, von denen die ältesten, hauptsächlich Mädchen, verheiratet sind.“ (S. 23)
Beide Mädchen sind unglücklich in ihrer Ehe. Die Familie wacht jedoch darüber, dass sie als Ehefrauen ihren Männern „Unterwerfung und Respekt“ schulden. Es geht immer um emotionale Erpressung der Familie.
Hindou: „Alle wissen, dass Moubarak mich schlägt, und finden es normal. Es ist ganz natürlich, dass ein Mann seine Frauen zurechtweist, beschimpft oder verstößt. Weder mein Vater noch meine Onkel sind da eine Ausnahme. Sie alle mussten schon mal eine ihrer Frauen schlagen.“ (S. 90)
Safira ist verbittert, weil ihr Ehemann sich eine weitere Ehefrau, Ramla, nimmt. Ramla ist jünger als die erste gemeinsame Tochter. „Als er nach zwanzig Jahren Ehe den Wunsch nach einer neuen Frau äußerte, war das ein einseitiger Entschluss, der ihm zufolge überhaupt nichts mit mir zu tun hatte. Er hat sich einfach das Recht genommen und jede Diskussion abgelehnt.“ (S. 122)
Das Thema der drei Romanfiguren kreist um die Zwangsehe, Polygamie und häusliche Gewalt. Von den Frauen wird ständige Ergebenheit und Opferbereitschaft für die Familie erwartet. Die Mütter wissen, was ihren Töchtern angetan wird, aber sie fügen sich wegen der Tradition.
Djaïli Amadou Amal, die wie ihre literarischen Figuren in Maroua im Norden Kameruns in einer großen Gemeinschaft von Verwandten in der Fulani Tradition aufwuchs, wurde als gefügige Tochter mit 17 Jahren an einen älteren Politiker verheiratet. Damals begann sie Tagebuch zu schreiben. Nach fünf Jahren gelingt es ihr, diesen Mann zu verlassen. Sie will sich nicht mehr klaglos unterwerfen.
Dennoch ging sie mit einem polygamen Mann eine zweite unglückliche Ehe ein, aus der zwei Töchter stammen. Der Mann war bedenkenlos gewalttätig, aber sie kann sich erst nach 10 Jahren von der Ehe befreien. Amal sagte in Interviews, dass sie mit dem Buch keine Autobiografie verfasst habe, aber die Protagonistin Ramla sei ihr am ähnlichsten. Keimzelle des Romans sei ein Text in ihrer Muttersprache Ful gewesen: „Ratschläge eines Vaters an seine Töchter.“ In dem Roman wird der für uns schwer erträgliche Text auf den Seiten 14 und 15 wieder gegeben.
Zur Unterwerfung der Frauen im Islam schrieb auch Ayan Hirsi Ali (Ich bin eine Nomadin, Piper 2012):
„Verweigern die Frauen einem Mann die Unterwerfung, beschädigen sie ihn, seinen guten Namen, seine Autorität, den Eindruck, dass er loyal, stark, verlässlich ist. Diese Sitte rührt von der Grundüberzeugung her, dass das Individuum keine Rolle spielt. Die Entscheidungen, Wünsche des Einzelnen sind ohne jede Bedeutung, insbesondere, wenn es sich um eine Frau handelt. Diese Vorstellung von Ehre und männlichem Machtanspruch schränkt die Handlungsmöglichkeiten von Frauen drastisch ein…“
Erste Schreibversuch von Djaïli Amadou Amal
Amal gründete den Verein „Femmes du Sahel“ (Frauen des Sahel), der sich für Frauenrechte und Bildung einsetzt.
Das Buch widmet sie ihrem dritten Mann, dem Schriftsteller Hamadou Baba und ihren Kindern. Die Familie lebt heute in der kamerunischen Hafenstadt Duala (1600 km entfernt von der Familie). Amal gilt heute als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen Kameruns.
„Die ungeduldigen Frauen“ ist in drei Teile gegliedert. Jede Frau schildert ihr Schicksal (Zwangsehe, häufige körperliche Züchtigung und Polygamie) auf eine Weise, dass man das Buch kaum mehr aus der Hand legen will. Man merkt, dass die Autorin viel Autobiografisches verarbeitet hat und spürt ihre Empathie für die geschundenen Frauen. Sie weiß, wovon sie spricht, und wiederholt nicht nur Plattitüden des Mainstreams, sondern hat selbst fundiertes Wissen. Das Buch ist ein gelungenes Stück Aufklärung über das Tabu der Kinderheiraten und das abschätzige Frauenbild in Nordkamerun. Der Orlanda-Verlag schafft es durch Bücher wie dieses gegen das im Sahel herrschende Unrecht aufzubegehren – das erfordert nicht nur bei der Autorin Mut und Zivilcourage. Der Text tut weh, aber vielleicht hilft er, die weit verbreitete Mauer der Verleugnung der Missstände (leider manchmal auch in Europa) zu durchbrechen. Mit Verschweigen und Verharmlosen kommen wir nicht weiter.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge.