Tichys Einblick
Gender-K(r)ampf

Wer Gender will, bekommt es bis zum bitterbösen Ende

Sie bezeichnet sich selbst als „weibliche Feministin“. Vor fünf Jahren schrieb Birgit Kelle den Bestseller „Gendergaga“. Heute ist klar, dass die Realität die Satire längst überholt hat. In ihrem neuen Buch „Noch normal? Das lässt sich gendern!“ legt sie jetzt nach.

Ach, wären wir doch bei den geschlechtssensiblen Spaßvögeln von einst geblieben, bei ihren Bums-Seminaren, queer-veganen Sexshops, den Gender*sternchen_Innen-Schreibweisen, den 60-LGBTQwas-auch-immer-Geschlechtern, bei den schwulen Mädchen auf ihren Unisextoiletten, den Ampelweibchen und Regenbogenfähnchen. All das hat zwar bereits Unmengen an Budgets und Ressourcen verbrannt, war aber dennoch harmlos und lächerlich im Vergleich zu dem, was inzwischen realpolitisch angerichtet wird, wenn man jenen freie Hand lässt, die sich im Kampf um sogenannte „Geschlechtergerechtigkeit“ weiter selbst ermächtigen. Wenn Gender sich an der Realität abarbeitet, wird es schnell bitterernst. Bis heute fehlt eine echte demokratische Legitimation – es gab keine einzige Bundestagsdebatte über die Frage: Wollen wir das überhaupt mehrheitlich, was im Namen von Gendergerechtigkeit auf allen politischen Ebenen und Institutionen getan und auch verboten wird?

Jahr für Jahr werden die Daumenschrauben hinsichtlich politisch korrekter Sprache, Verhaltensnormen und Meinungen weiter angezogen. War der Online-#Aufschrei noch ein Aufwärmspielchen des hysterischen Netzfeminismus, werden bei #MeToo weltweit längst etablierte männliche Karrieren im Namen des Kampfes gegen Sexismus handstreichartig ruiniert. Wen interessiert schon die Wahrheit, wenn der Grad von Diskriminierungserfahrung heute in der Maßeinheit des persönlichen Beleidigtseins gemessen wird? Wen interessiert in dieser angeblichen Emanzipation“ noch die ganz normale Frau, wenn eine große sexuelle Vielfalt weltweit um Aufmerksamkeit und Budgets buhlt? Und was ist überhaupt noch eine Frau, wenn jeder sich Frau nennen darf, der es unbedingt sein will, und Geschlecht heute angeblich selbst definiert werden kann? Nichts bedroht momentan die Errungenschaften der Emanzipation mehr als das Märchen, Weiblichkeit sei nur eine dekonstruierbare, soziale Angewohnheit, die sich jeder aneignen könne, der selbst gern eine Frau wäre.

Lächerlich, aber nicht witzig

Gender ist lächerlich, aber nicht witzig. Es steht nicht weniger als alles auf dem Spiel, was bisher als normal galt. Eine ganze Genderindustrie arbeitet fleißig an der Schaffung einer neuen Normalität, und jene, die nie gefragt wurden, dürfen das alles mit ihren Steuern finanzieren. Täglich tagt das Twitter-Gericht, wo selbst ernannte Sprachpolizist*innen (Sprech*pause nicht vergessen!) und Netzblockwarte reflexartig Shitstorms inszenieren, bei jedem „unsensiblen“, „antifeministischen“ oder gar „toxisch männlichen“ Wort. Akribisch wird jede „Mikroaggression“ geahndet oder gleich als „Hate Speech“ angezeigt. Wie schön und hilfreich, dass der Gesetzgeber die rechtliche Basis und Budgets geschaffen hat, um die Zensur missliebiger Meinungen unbürokratisch in den vorjuristischen Raum sozialer Netzwerke „outzusourcen“.

„Beyond Gender Agenda“
Jenseits von Gender: Nutznießer der Ideologie und eine kritische Filmreihe
Minderheiten sammeln fleißig Opferpunkte, um beim Wettlauf im Sturm auf die gefühlte Diskriminierungspyramide als Erste ganz nach oben zu gelangen. Dabei gilt: Gefühl sticht Fakten, Frau sticht Mann, Homo sticht Hetero, Schwarz sticht Weiß, Trans sticht alles. Galt persönliche Betroffenheit früher als Befangenheit, ist sie jetzt gar das Top-Qualifikationsmerkmal für Quotenjobs und Studienplätze.

„Die Zukunft ist weiblich“? Das ist T-Shirt-Feminismus für Anfänger. Ich wage eher die Prognose, sie gehört der genderfluiden schwarzen Transfrau mit Sexismuserfahrung als Schlüsselkompetenz. Denn je mehr darauf beharrt wird, dass individuelle Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft keinen Unterschied machen dürfen bei der Verteilung von Macht, Jobs und Rechten, umso mehr werden genau diese Eigenschaften betont. Was zählt, ist nicht mehr Leistung, sondern die richtige Identität; nicht mehr das Individuum, sondern die Zugehörigkeit zur richtigen Opfergruppe. Guten Tag, mein Name ist Kelle, ich bin cis-weiblich und heterosexuell.

Kämpften ganze Generationen von Minderheiten früher dafür, „Gleiche unter Gleichen“ sein zu dürfen und nicht wegen eines einzelnen Merkmals wie Hautfarbe, Geschlecht oder Sexualität herabgewürdigt zu werden, trägt man diese Merkmale heute wie eine Monstranz vor sich her und grenzt sich sehr bewusst von der Mehrheit ab. Was geht in Menschen vor, die unbedingt auf einem Extrafriedhof beerdigt werden wollen, weil sie bis in den Tod nur unter „ihresgleichen“ ruhen wollen? Haben sie keine Eltern, Geschwister, Kinder, Freunde, die zu ihnen gehören? Wenn die Frage, mit wem ich dieselben sexuellen Vorlieben teile, bis in den Tod mein alles bestimmendes Identitätsmerkmal ist, dann ist das keine Gesellschaft auf dem Weg zu mehr Toleranz für das Anderssein, sondern eine, die nicht nur separate Liegeplätze auf Friedhöfen, sondern auch wieder separate Sitzplätze in Bussen anbieten wird. Die Denkweise ist dieselbe.

Was zählt, ist nicht mehr Leistung,
sondern die Zugehörigkeit zur richtigen Opfergruppe

Statistik diskriminiert nicht. Sie hält nur den Status quo fest, von dem aus das Denken überhaupt erst beginnen kann. Dass die Mehrheit der Weltbevölkerung also trotz eines unermüdlichen Genderaktivismus stoisch in der Heterosexualität verharrt, ist kein Akt der Diskriminierung und auch keine Mikroaggression, sondern erst einmal nüchterne Realität. Wer damit ein Problem hat, möge sich bitte zunächst beim Schicksal, beim Universum oder bei seinem persönlichen Gott beschweren, aber nicht bei seinen Mitmenschen. Der Wunsch nach gesellschaftlicher Vielfalt ohne Abwertung Einzelner erscheint in dieser Realität, mit der man vielleicht hadert, absolut nachvollziehbar und verständlich. Ja, menschlich!

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Ein bisschen Gender
Die gute Nachricht ist: All das ist bereits gedacht worden und mit unwiderruflichen, universalen Menschenrechten in allen freien Gesellschaften weltweit in Verfassungen manifestiert. Alle Menschen sind gleich. Offensichtlich empfinden das jene, die statt von einer freiheitlichen Gesellschaft eher von einer „Zwangsheteronormativität“ ausgehen, anders. Ihr Heilsversprechen der Befreiung aus den Schranken und der Unterdrückung des derzeitigen Systems funktioniert aber nur unter Verzicht auf bisher bekannte Wahrheiten, Werte, Moral, Ethik und die Prinzipien der freiheitlichen Demokratie. Denn wenn alles erlaubt ist, weil alles gleich sein muss – was darf dann noch verboten sein, warum überhaupt und durch wen? Wer hält das Monopol und die Definitionshoheit über die Normalität, wenn es nicht die gelebte Realität, nicht die Tradition, nicht die Naturwissenschaft, nicht die Religion und nicht einmal die Statistik sein darf?

Nur Verschiebung von Macht

Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die große „Befreiung“ des Menschen durch Gendergerechtigkeit in Wahrheit nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern nur mit der Verschiebung von Machtverhältnissen, der Schaffung anderer Verbote und neu konstruierter Normen. Es wartet kein befreites Paradies hinter dem gendersensiblen Regenbogen, es wechseln nur die Aufseher.

Derzeit wird die Axt an die Natur des Menschen und die kleinste soziale Einheit jeder Gesellschaft angesetzt: die natürliche Familie. Ja, natürlich. Ohne Abstammungsrecht, Vormundschaftsgericht, Geburtsurkunde, Vaterschaftstest, Adoptionsurkunde, Standesamt, rechtliche Zuordnung und Sorgerechtsvereinbarung: Ein Mann und eine Frau tun sich zusammen und zeugen ein Kind. Dazu braucht es kein Recht, kein Gesetz und keinen Staat, sondern nur eine Gelegenheit. Es braucht keine Religion und auch keine Erlaubnis. Es ist die Basis des Fortbestands jeder menschlichen Gesellschaftsform. Es ist Natur, Biologie, Fortpflanzungstrieb. Nahezu reaktionär einfach.

Sie nennen es „Dekonstruktion“, so als könne man den Menschen wie aus Legosteinen zusammengesetzt auseinandernehmen und danach neu und Hauptsache vielfältig und „bunt“ zusammenstecken. Nach wessen Bilde wäre er dann geschaffen? Dekonstruktion ist per definitionem die Zerstörung des Bestehenden. Die Vorboten dieses Niedergangs kann man bereits betrachten, die ersten Opfer bereits zählen – und es werden immer mehr.

„Zivilisationen sterben nicht, sie begehen Selbstmord“, formulierte es treffend der britische Geschichtsphilosoph Arnold J. Toynbee. Und Genderpolitik ist einfach eine langsame Variante des Sterbens. Wir brauchen keine äußeren Feinde, um den viel zitierten Untergang des Abendlands herbeizuführen. Wir schaffen das auch ganz allein. Das „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ der Studentenrevolte der 1968er bricht sich in der Geschlechter- und Identitätspolitik gerade erneut Bahn. Zwar ist der „alte weiße Mann“ à la Trump zum Symbolfeind avanciert, in Wahrheit ist man aber bereit, jeden zu stoppen, der sich in den Weg stellt.

„Mann“ wollte Ruhe an dieser Front
Gender-Mainstreaming und was wir uns leisten wollen
Nichts bringt die Verfechter der Gendertheorien mehr in Rage als der Vorwurf, ihre Forschung sei überflüssig und keine echte Wissenschaft. Soziologisch betrachtet, diskutieren sie neue Ideen vom Menschen. Das ist legitim, auch wissenschaftlich betrachtet, manches davon sogar spannend und berechtigt – und das tun Philosophen schon seit Jahrtausenden.

Das Problem beginnt dort, wo nicht mehr wissenschaftlich gedacht werden darf, weil es nicht gedacht werden soll. Es beginnt dort, wo Wissenschaft verhindert wird, damit sie nicht mit politisch korrekten Grundsätzen kollidiert, dort, wo der Realität nicht mit freiem Denken, sondern mit Scheren im Kopf begegnet wird. Dort, wo mit bekannten Zügen einer Ersatzreligion gegenteilige Meinungen nicht etwa mit Argumenten, sondern mit Lehr- und Sprechverboten beantwortet werden. Ungläubigen droht gesellschaftliche Exkommunikation, das war bei Bekenntnisbewegungen schon immer so.

Niederbrüllen statt Diskurs

Es drängt sich die Beobachtung auf, je mehr „Genderforschung“ betrieben wird, desto größer statt kleiner wird das Problem, das man zu lösen vorgibt. Evolutionsbiologen, Genetiker und Hirnforscher zu ignorieren, alternativ für nichtig zu erklären oder an Universitäten niederzubrüllen, weil ihre Forschungsergebnisse dem eigenen Weltbild widersprechen, ist jedenfalls kein wissenschaftlicher Diskurs. Eine wissenschaftliche Hypothese, die nur funktioniert, wenn der Rest der Bevölkerung und alle anderen Wissenschaften den Mund halten und das Denken einstellen, ist keine Wissenschaft, sondern Ideologie.

Wer die richtigen Antworten finden will, muss die richtigen Fragen stellen. Was passiert aber, wenn das Stellen von Fragen, das Äußern von Einwänden oder berechtigter Kritik einen inzwischen Budgetmittel oder gleich den Job kosten kann? Universitäten, einst Horte des freien Denkens wider totalitäre Ideen und Enklaven ambitionierter Wissenschaft, zensieren sich heute lieber selbst, schaffen „safe spaces“, um ja nicht mit „verletzenden“, sprich anderen Meinungen in Berührung zu kommen. Was ist das für eine Studentengeneration, die glaubt, sich gegen Kontakt mit anderen Meinungen wie gegen ein Virus absichern zu müssen?

Das Problem beginnt dort,
wo nicht mehr wissenschaftlich gedacht werden darf

Derweil ist der (Gender-)Kaiser immer noch nackt. Wie in dem Märchen von Hans Christian Andersen wandelt er durch die Straßen, lechzt nach Aufmerksamkeit, macht sich lächerlich, und alle schweigen. Niemand möchte der Erste sein, der die Wahrheit ausspricht, dass er gar nicht non-binärfluid-queer-oder-sonstwie-geschlechtlich ist, sondern auch nur ein alter weißer Mann. Ja, der Genderkaiser ist immer noch nackt, aber das Kind, das mit dem Finger auf ihn zeigt und lacht, lernt neuerdings in der Kita, dass auch Papas schwanger werden können.

Das ist zwar Unfug, aber moderne, geschlechtssensible Pädagogik. Das anfängliche Wording um „Toleranz“ oder gar „Akzeptanz“ auf dem Schulhof war nur Augenwischerei. Nur das Vorspiel, denn wenn die Genderlobby wirklich Ernst macht, dann erklärt die WHO die sexuelle Bildung von Kleinkindern zur Staatsaufgabe und belästigt in Kitas und Schulen die nächste Generation mit der Sexualität Erwachsener.

Frauen sind besser als wer?
Gender-Kernschmelze in Corona-Zeiten
Dieser Exhibitionismus ist aber nicht strafbar, sondern neuerdings „Bildung“. Und dann folgt nach der „Ehe für alle“ konsequent „Kinder für alle“, zu kaufen jetzt schon von der „Leihmutter“ auf dem Weltmarkt. Dann ist Familie im neuen Abstammungsrecht nicht mehr Generationenfolge, gar in natürlicher Verwandtschaft, sondern nur noch rechtliche Zuordnung, besteht nur noch aus Verträgen, die jederzeit und egal mit wie vielen geschlossen und wieder verworfen werden können.

Dann werden die Errungenschaften der Emanzipation den „kulturellen Eigenheiten“ des Islam unterworfen, weil die Nachwuchsfeministinnen lieber jene Frauen an den Pranger stellen, die auch die Frauenverachtung des „jungen schwarzen Mannes“ beklagen, als jene Frauen zu beschützen, die unter diesen Herren zu leiden haben.

Immer wieder bemühen die Protagonisten und auch die „*innen“ der Genderszene das Narrativ der angeblich irrationalen Angst, die Gendergegner vor der Veränderung der Gesellschaft hätten, so als gäbe es keine rationalen Gründe, sich gegen eine Idee zu wehren, die behauptet, wir könnten uns durch Gedankenkraft über unsere genetische Beschaffenheit erheben, und empfiehlt, ohne Beweis dieser durchaus steilen These dennoch die gesamte Politik freier Gesellschaften radikal nach diesem Denkmuster zu verändern. Es entbehrt zumindest nicht eines gewissen Humors, dass Menschen anderen Angst vorwerfen, die sich selbst gerade im „panic room“ ihrer Selbstbestätigungsblase verschanzt haben und auf alles schießen, was nach einer anderen Meinung aussieht.

Kampf gegen den eigenen Körper

Wir erleben aber auch eine Bewegung, die mit aller Kraft gegen den eigenen Körper kämpft und gegen seine eigene Vernunft. Während wir versuchen, jedes Ökosystem dieser Erde naturbelassen und unberührt für die Nachwelt zu erhalten, wird ausgerechnet die Ökologie des Menschen ignoriert. Das Ergebnis ist die Verleugnung der eigenen Biologie statt der Versöhnung mit ihr.

Wie viele scheitern und verzweifeln bei dem Versuch, sich über den eigenen Leib zu erheben, weil man ihnen fälschlich versprochen hatte, dass dies ihr Glückslos sei? Und wie aberwitzig ist aus dieser Perspektive die Behauptung, angeblich für Frauen zu kämpfen, wenn man nicht ein einziges Merkmal ihrer Weiblichkeit als natürlich anerkennt.

Wer Gender will, bekommt es bis zum bitterbösen Ende. Wagen wir also einen Ausblick Richtung Endziel dieser Theorien, denn es ist ja nicht so, als könne man nicht vorhersehen, wohin es führt. Es ist daher an der Zeit, diesen Wahnsinn in seine Schranken zu weisen.

Auszug aus: Birgit Kelle, Noch normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung. FinanzBuch Verlag, 250 Seiten, 19,99 €


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