Ich glaube wir waren alle unartig. Kinder wissen, dann gibt es vom Christkind keine Geschenke, bei den Großen kommt es stattdessen gar nicht. Strafe muss sein für die Disziplinlosigkeit der Bürgerkinder bei der Einhaltung der Corona-Maßnahmen, jetzt droht deswegen das Weihnachtsfest zu kippen. Dabei hatte Landesmutter Merkel doch bereits im Oktober mit strenger Miene verkündet, dass mehr Freiheiten an Weihnachten nur möglich wären, wenn es im November gelingt, die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Niemand hatte das mit dem Virus besprochen und so hat jetzt der Unterbietungs-Wettlauf in Politik und Medien begonnen, wer mit weniger Verwandtschaft feiern und sich dabei trotzdem weihnachtlich fühlen kann.
Der moralisch gute Mensch verzichtet auf Weihnachten
Immerhin: „Das Weihnachtsfest liegt noch im Bereich des Möglichen“, zitiert das ZDF den Epidemiologen Dr. Rafael Mikolajczyk. Die Evangelische Kirche frohlockte kurz: „Weihnachten findet statt“, hatte jedoch die Rechnung nicht mit ihrer ehemaligen EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann gemacht, die dem aufkeimenden Hoffnungsschimmer einen jähen Dämpfer zu verpassen wusste mit der Analyse, Maria und Josef wären schließlich zur Geburt Jesu auch nicht in einem großen Familienkreis zusammen gewesen. Ja, bei mir im Kreissaal waren Gott sei Dank auch nicht alle dabei, aber was haben die Geburtsumstände mit späteren Geburtstagsfeiern zu tun? Der moralisch gute Mensch übt Weihnachtsverzicht.
Nicht die Bürokraten haben zu entscheiden
Überall, weltweit in großen und kleinen Festen. Fröhlich, traurig, besinnlich, zerstritten und auch einsam. Nicht einmal der vorauseilende Gehorsam einer sich selbst abschließenden deutschen Amtskirche könnte Weihnachten verhindern. Dafür bräuchte es schon einen richtigen Weltuntergang, und der kann nicht politisch verkündet, sondern nur hautnah erlebt werden. Denn Weihnachten gehört niemandem, weder Staat noch Ordnungsamt und nicht einmal der Kirche selbst.
Überall weht derselbe Ungeist der Unfreiheit
Im Ergebnis weht überall derselbe Ungeist der Unfreiheit. Von dem Willen, das Kulturgut der Sprache beherrschen und reglementieren zu wollen, indem man bei ARD und ZDF neuerdings Gendersternchen in Wort und Bild mit Kunstpausen veratmet, bis hin zur Ambition der Justizministerin, sich der Definitionshoheit vorstaatlicher Gebilde wie der Familie zu bemächtigen, indem man Geburtsurkunden mit zwei Müttern, aber ohne Vater kreiert, ist es nicht weit zur Hybris, den Menschen die Religionsausübung, also die Form ihres persönlichen Glaubens zu reglementieren. Sind die Gedanken eigentlich noch frei?
Zur ungeschminkten Wahrheit gehört aber auch: Nicht wenige Menschen werden froh sein, dass es neuerdings als Akt gesellschaftlicher Solidarität gewertet wird, an Weihnachten nicht nach Hause zu fahren. Dass man sich mit gutem Gewissen entziehen kann mit Absolution aus dem Bundeskanzleramt. Denn sie können vielleicht erstmals das Weihnachtsfest so verbringen, wie sie es schon immer wollten, ohne Traditionsdruck und Großfamilienstress. Denn auch ihnen gehört Weihnachten, jedem auf seine Weise.
Dieser Beitrag von Birgit Kelle erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autorin und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.
Birgit Kelle, Noch normal? Das lässt sich gendern. Genderpolitik ist das Problem, nicht die Lösung. FBV, 250 Seiten, 19,99 €