Wald ist, wenn überall Bäume stehen. Wenn die Romantik blüht. Wenn in der Stadt ohne Bäume der Wald behandelt, verteidigt, verramscht und sein Sterben beweint wird. Aber was ist er nun wirklich? Erste Erkenntnis: Den Wald gibt es nicht. Er verändert sich und wurde verändert; genutzt und neuerdings in der Stadt benutzt.
Es ist absurd: Das heutige Geschäftsmodell, mit dem Naturschutzorganisationen arbeiten, honoriert den Misserfolg. Denn sie generieren Umsätze aus Spenden oder Steuergeldern, die aber nur so lange fließen, wie das zu bekämpfende Problem besteht. Sobald eine Tier- oder Pflanzenart nicht mehr bedroht ist, versiegt die Finanzierung. Wollen wir die Natur und somit auch Wälder wirklich nachhaltig schützen, sollten wir grundlegend andere Geschäftsmodelle entwickeln, die Umsätze aus Erfolg statt aus Misserfolg generieren.
Von dieser Einsicht motiviert, setzt sich der Forstwissenschaftler Sven Herzog mit den – oft divergierenden – Interessen, Konzepten und Glaubenssätzen auseinander, die Naturschützer antreiben. Er stellt die wissenschaftlichen Grundlagen des Biotops Wald ebenso wie seine Nutzung durch den Menschen in Geschichte und Gegenwart in gut verständlicher Weise dar und liefert Informationen, die auch uns Laien in die Lage versetzen, aktuelle Debatten fundierter und differenzierter nachzuvollziehen.
Sven Herzog fordert dazu auf, sich selbst ein Bild zu machen sowie die zahlreichen und widersprüchlichen Aussagen kritisch zu hinterfragen, er befähigt seine Leser, Zusammenhänge zu erkennen und festzustellen, dass die Dinge nicht ausschließlich schwarz oder weiß sind. Herzog plädiert für einen „Schutz durch Nutzung“ und zeigt Wege zu intelligenten, nachhaltigen Konzepten, die sowohl gesellschaftlichen Bedürfnissen in Bezug auf Biodiversität, Klimaschutz und Erholung gerecht werden, als auch ermöglichen, Holz weiterhin wirtschaftlich zu nutzen.
Der Wald ist zu kostbar, um ihn Ideologen zu überlassen, die ihn zur Bemäntelung ihrer zerstörerischer Absichten mißbrauchen. Wer dieses Buch gelesen hat, weiß mehr über den Wald, geht mit anderen Augen zwischen den Bäumen durch, die ihn ausmachen, die Auen, die lichten Almen und dunklen Fast-Urwälder und blickt mit Sorge auf die Kahlschläge der Trassen, die für die Windräder gerodet werden.
Eigentlich ginge es ihm ganz gut, dem Wald, wenn man ihn richtig behandelte. Derzeit wird er – wie der Rest der Natur – fürs Klima besonders schlecht behandelt. Er wird es überleben. Aber wir?
Sven Herzog, Die Sache mit dem Wald. Neue Perspektiven und Konzepte für unser Ökosystem. Kosmos, Hardcover, zahlreiche Abbildungen, 352 Seiten, 28,00 €.