Tichys Einblick
Die EU muss europäisch werden

Was ist Europa? Eberhard Straub über eine Grundsatzfrage

»Das Brüssel-Europa widerspricht sämtlichen europäischen Überlieferungen praktischer Weltklugheit«, konstatierte der unlängst verstorbene Eberhard Straub. »Jetzt wollen Funktionäre Einheit und nicht Einigkeit, Monotonie statt Polyfonie, die Gleichheit der Lebensverhältnisse, des Denkens und Wünschens und Wollens, sie möchten die Freiheit ersticken.«

Die Frage nach dem, was Europa auszeichnet, kann nicht leicht beantwortet werden, Denn es ist gerade die Vielfalt seiner Traditionen, aus denen sich die europäische Identität speist. Es kommt aber viel darauf an, welche dieser Traditionen im 21. Jahrhundert aufgegriffen werden. Um die kulturelle Vielfalt Europas zu würdigen, muss man eine Unterscheidung treffen: Europa ist nicht identisch mit der Europäischen Union und schon gar nicht mit ihrer Deutung durch die Brüsseler Nomenklatura. Europa kulturell und geographisch genau zu definieren wird damit aber nicht leichter. Aus diesem Grund hat der kürzlich verstorbene Journalist Eberhard Straub, Autor zahlreicher Bücher zur europäischen Kulturgeschichte, seine Reflexionen versammelt, die sich dem widmen, was Europa ausmacht.

Europa ist Leopold von Ranke und Jacob Burckhardt zufolge ein einzigartiger Raum der Freiheit und des freien Geistes, da es niemals bereit war, sich einem einzigen System zu unterwerfen, das mechanisch angewendet werden konnte. Selbst das römische Imperium war auf der Anerkennung der konkreten Ordnungen erbaut, unter denen die Menschen ihre eigenen Lebensweisen verfolgen konnten, statt unter ein Joch einer wie auch immer gearteten “Wertegemeinschaft” gezwungen zu werden.

Untergegangen, aber nicht spurlos
Einzelgänger, Sonderfälle, Genies: Die letzten Europäer
Das Europa, an das Straub hier denkt, ist ein in entscheidender Hinsicht übernationales Gebilde – weil nämlich seine aristokratischen und künstlerischen Eliten ständig untereinander heirateten und damit einen übernationalen Stil entwickelten. Dieser sei aber nicht mit dem heutigen internationalen Stil zu verwechseln, der überall die gleichen Formen annehme. Straub erinnert an ein älteres Europa, in dem es möglich war, die Eigenheiten verschiedener Städte zu schätzen, die noch nicht durch die Präsenz der immergleichen Warenhausketten langweilig geworden waren.

Europa, so Straubs betrübte Diagnose, sei als kultureller und spiritueller Raum zu einer Sache der Vergangenheit geworden; heute erscheine sie mehr als ein vereinheitlichender Marktplatz, der aber für diejenigen, welche globale Ambitionen verfolgen, viel zu klein geworden sei. Straub zufolge wisse Europa nicht, wo es anfange und wo es aufhöre, es wisse aber auch nicht, woher es komme und wohin es sich entwickle. (Das scheint zumindest für die führenden Eliten zu gelten, die sich immer weiter von den christlichen Wurzeln Europas verabschieden.)

Ein geistiger und geistlicher Kontinent
Vielmehr eine Geschichte als ein Ort: das Abendland
Schon vor über hundert Jahren, im Jahre 1922, hatte der konservative österreichische Autor Hugo von Hofmannsthal die Frage gestellt, ob Europa als geistiges Konzept bereits eine Angelegenheit der Vergangenheit geworden sei. Nur eine “schöpferische Restauration” eines solchen Konzepts, wie er gemeinsam mit Benedetto Croce, Paul Valéry oder José Ortega y Gasset betonte, könne Europa die Chance geben, geistig und politisch zu überleben.

Für unsere Zeit bedeutet das: Die Europäische Union muss “europäisiert” werden. Das erfordere die Integration sowohl west-, als auch osteuropäischer Sichtweisen, aber auch die Weigerung, die reichhaltige kulturelle Textur der europäischen Geschichte der modernen ästhetischen Monotonie zu opfern oder sie gar nach den Maßgaben der jeweils aktuellen Form von politischer Korrektheit zu frisieren.

Straub diagnostiziert, dass Europa schon da war, bevor die Menschen davon sprachen. Heute aber spreche jedermann von Europa, obwohl wir selbst oft gar nicht viel über unsere Mit-Europäer wüßten und auch keine gemeinsame Sprache sprächen. Brüssel sei einst eine der schönsten und elegantesten Städte des Kontinents gewesen. Inzwischen aber, so Straub, sei es zu einem Symbol der antihistorischen und anti-europäischen Homogenisierung der Unterschiede geworden. Gegen die von den heutigen Bürokraten in Brüssel gesetzten Normen sollten wir Europäer ermutigt werden, unsere Unterschiede zu akzeptieren und zu respektieren. Auch sollten wir die Tatsache anerkennen, dass wir gerade deshalb miteinander verbunden seien, weil wir nicht alle dieselben sein und dasselbe denken wollten.

Dieser Beitrag von Till Kinzel erschien zuerst in der Printausgabe von Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Eberhard Straub, Europa. Ein ungesicherter Begriff. Edition EXIL im Buchhaus Loschwitz, Englische Broschur, 104 Seiten, 17,00 €.


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